Zwischen Rußland und Frankreich
„Wir Berliner" - Eine Ausstellung über die deutsch-polnische Nachbarschaft
Von Harry Nutt

Anstelle eines politischen Programms gaben sich die geheimen Verschwörer einen Namen, der ihnen bis heute Aufmerksamkeit garantiert. Schon bald nach dem ersten Treffen im Jahr 2001 galt es als das bekannteste Hinterzimmer Berlins. Dabei hatten sich in der Torstraße 66 in Berlin-Mitte bloß eine Handvoll polnischer Künstler zum Gedankenaustausch getroffen. Weil sie sich aber „Club der polnischen Versager" tauften, riß die Neugier über das eigenwillig ziellose Zentralkomitee aus dem Osten nicht ab. Während sich die kulturellen Kader der Stadt fit machten für die Anforderungen des neuen Jahrtausends, schienen sich die gewitzten Polen auf oblomowsche Strategien des Aussitzens und der Selbststigmatisierung zu beschränken. Die Kunst des Versagens wollte gelernt sein.

Hinsichtlich der Versammlungsform hielten sich die subversiven Fortschrittsmuffel eher an traditionelle Gepflogenheiten. In den deutsch-polnischen Kulturbeziehungen gibt es kaum einen Gegenstand, zu dessen Förderung und Pflege in den letzten 300 Jahren nicht irgendwann ein Verein gegründet worden wäre. Für beinahe jede dieser Versammlungen hält die Ausstellung „My berlinczycy. Wir Berliner", die die Stiftung Berliner Stadtmuseum im Ephraim-Palais und im Märkischen Museum zeigt, einen weiß verkleideten Raum bereit, in dem Verein für Verein eine kleine Schachtel angelupft werden kann. Die interaktive Ausstellungsarchitektur verweist so auf die Vielfalt des Polnischen im Preußischen, das über eine reiche und wechselvolle Geschichte verfügt.

„Polen liegt zwischen Rußland und Frankreich", schrieb Heinrich Heine und erklärte sich mit Hilfe der selbstgebastelten geografischen Brücke die seltsame Mischung von Kultur und Barbarei, die er meinte, im Charakter und häuslichen Leben der Polen ausmachen zu können. Doch auf ihrem Weg nach Paris blieben nicht wenige Polen in Berlin hängen. Zu einem der bekanntesten wurde Ende des 18. Jahrhunderts Ernst Gotzkowsky, der bald zu einem patriotischen preußischen Kaufmann aufstieg und als Gründer der Königlich Preußischen Porzellanmanufaktur (KPM) nicht zuletzt ein Stück Design- und Industriegeschichte schrieb.

Auf ihrem Weg nach Paris blieben nicht wenige Polen in Berlin hängen

Der Zuzug von Polen nach Berlin steigerte sich noch, als nach der dritten Teilung Polens von 1795 Warschau an Attraktivität für den polnischen Adel verloren hatte und dieser neue kulturelle und politische Anknüpfungspunkte suchte. Eine der markantesten Persönlichkeiten dieser Bestrebungen war Fürst Anton Heinrich Radziwill, der zwischen Berlin, Posen, Warschau und St. Petersburg in diplomatischer Mission unterwegs, und stets darum bemüht war, die Wiederaufrichtung Polens mit preußischer Hilfe zu erreichen.

Dabei kamen ihm familiäre Verbindungen zu Gute. 1796 heiratete Radziwill Prinzessin Louise Friederike von Preußen, eine Nichte Friedrichs des Großen, und vertiefte so die polnisch-preußische Koalition. Der Berliner Wohnsitz des Fürsten blieb in der Folgezeit ein geschichtsgesättigter Ort. Das Palais Radziwill in der Wilhelmstraße 77 wurde später zur Reichskanzlei und war schließlich Hitlers letzter Wohnort, ehe das Gebäude nach 1945 abgerissen wurde.

Die gemeinsam von der Polnischen Akademie der Wissenschaften, dem Stadtmuseum Berlin und dem Nationalmuseum Posen entwickelte Ausstellung hat eine Fülle von Belegen für die deutschpolnische Nachbarschaft zusammengetragen, aus denen sich leicht eine kontinuierliche deutsch-polnische Freundschaft rekonstruieren ließe. Von einer deutschen Polenbegeisterung war sogar die Rede, nachdem der russische Zar Nikolaus I. 1830 eine Einschränkung der konstitutionellen Rechte und Freiheiten einführte und dadurch den Novemberaufstand der Polen provozierte. Das wiederum rief eine entschiedene Solidarität in den liberalen Kreisen Preußens hervor, die sich in zahlreichen zeitgenössischen Kunstwerken niederschlug. Der polnische Unabhängigkeitsgeist war in den verschiedenen autoritativen Phasen Deutschlands wiederholt ein Vorbild für demokratische Gegenwehr.

Mit einiger Beflissenheit haben die Ausstellungsmacher Belege für die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen ausgebreitet, die es weitgehend unverständlich erscheinen lassen, warum die regen Beziehungen der Nachbarn in Ressentiments und offenen Hass umschlugen und schließlich im Überfall Polens durch Hitler-Deutschland vor 70 Jahren eskalierten. Eine historische Zwangsläufigkeit lag kaum im Konflikt der beiden Staaten in der Mitte Europas.

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Trugen zum Berliner Salonleben bei: Marie und Anton Radziwill, gemalt von William Pape.

Aus den Belegen ließe sich leicht eine Freundschaft rekonstruieren

Die Botschaft der Ausstellung ist klar und wird durch ihren Materialreichtum bekräftigt. Die nationalen Stereotypen, die zur Stabilisierung von Feindschaftsverhältnissen benötigt werden, müssen bei genauerer Betrachtung zwischen den Fingern zerrinnen wie Fußballweisheiten. In vielen von uns steckt ein Lukas Podolski - und das ist auch gut so.

Warum dergleichen heute mit kalligrafischem Darstellungszauber und allerlei Anfaßdidaktik in die Schauräume gepfercht werden muß, bleibt das Geheimnis der ambitionierten Ausstellungsmacher. Eine etwas weniger künstlerische Darstellungswut hätte dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsprojekt gut getan.

Ephraim-Palais und Märkisches Museum, Berlin, bis zum 14.6.2009. Der Katalog ist im Verlag Koehler und Amelang erschienen und kostet 29,90 Euro.

Ausstellung im Stadtmuseum Berlin:  www.stadtmuseum.de

Frankfurter Rundschau - 1.4.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Folgen Sie auch dem Link zum
Zentrum für historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften:
http://www.cbh.pan.pl/de/

Mehr über den erwähnten Salon der Marie Radziwill: hier.

Erfreuliches aus der preußisch-polnischen Geschichte - das liest man doch mal gerne!
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