Der Schreiner, der Hitler töten wollte
Am 8. November 1939 scheiterte Georg Elsers Attentat im Münchner Bürgerbräukeller. Erinnerung an einen mutigen Mann

Von Hans-Hermann Kotte

Bis heute steht er im Schatten des Mannes mit der Augenklappe: Georg Elser, der proletarische Hitler-Attentäter, war den Deutschen nie der strahlende Held des deutschen Widerstands, als den sie Claus Graf Schenk von Stauffenberg verehren.

An Stauffenberg, dem Adligen, dem hohen Militär mit abendländischer Bildung, kann sich die deutsche Elite festhalten und sich der Illusion hingeben, daß man Verbrechen begangen oder hingenommen hatte, aber im Kern anständig blieb. Daß Stauffenberg Anti-Demokrat war und sich erst gegen Hitler stellte, als er den Krieg verloren sah, geht in der öffentlichen Helden-Verehrung meistens unter.

Georg Elser, der fünf Jahre vor Stauffenberg, am 8. November 1939, Hitler töten wollte, mit einer Bombe im Bürgerbräukeller von München, war hingegen ein Mann aus dem Volk. Ein pietistischer Schreinergeselle mit Volksschulabschluß, der seinem Gewissen folgte, weil er früh erkannte, was viele hätten erkennen können. Und der bei seinem Attentat auf sich allein gestellt handelte.

Bereits ein Jahr vor Kriegsbeginn faßte er den Entschluß zum Attentat; wenige Wochen vor dem Überfall auf Polen begann er, die Installation der Bombe vorzubereiten.

Elsers Mut und sein tragisches Scheitern fanden im kollektiven Gedächtnis des Nachkriegsdeutschlands lange Zeit keinen Platz. Im Gegenteil: Elser wurde von der Öffentlichkeit verschwiegen und verdrängt, Historiker stempelten ihn noch bis in die späten 1960er Jahre als Sonderling ab, als einfältigen gar.

Der 20. Juli, der Tag des Attentats der Wehrmachtsoffiziere, war zu jener Zeit längst eine Art nationaler Ehrentag geworden, an dem die Spitzen der Politik den Familien der militärischen Verschwörer und der Bundeswehr ihre Aufwartung machen.

Schon Anfang der 1950er Jahre wurde in Berlin ein Ehrenmal errichtet. Und bei jedem Gedenken im Bendlerblock fällt auch immer etwas Glanz des Widerstands auf deutsche Soldaten - ablenkend von den Verbrechen der Wehrmacht, ablenkend von personellen KontinGeorg Elser - 800px-Georg_Elser_Bodenplatte 500uitäten beim Aufbau der Bundeswehr.

Warum dem 8. November bis heute nicht annähernd diese Bedeutung beigemessen wird, dafür gibt es reichlich Gründe: Schon allein Elsers Sympathie für Kommunisten dürfte eine Rolle gespielt haben. Doch entscheidender war wohl, daß viele schlicht nicht glauben wollten, daß ein Einzelner zu einer solchen Aktion fähig gewesen sein sollte; daß ein einfacher Bürger den Eingriff in den Lauf der Geschichte wagen konnte. Zu beschämend war wohl Elsers Beispiel, das zeigte, daß man keineswegs Mitläufer sein mußte. Noch lange wirkte die von den Nazis verbreitete Legende nach, daß hinter Elsers Tat der britische Geheimdienst gesteckt habe; auch hielt sich in den ersten Jahren nach dem Krieg das diffamierende Gerücht, Elser habe mit den Nationalsozialisten ein Komplott geschmiedet, um zu demonstrieren, daß Hitler von der „Vorsehung" geschützt sei.

Erst Ende der 1960er Jahre gelang es Historikern, mit den negativen Mythen um Elser aufzuräumen. Die Debatte um dessen öffentliche Würdigung begann schließlich Anfang der 1970er Jahre; 1984 wurde eine Straße in seinem württembergischen Heimatort Hermaringen nach Elser benannt.

1989 machte ein Spielfilm von und mit Klaus-Maria Brandauer eine breite Öffentlichkeit mit der Geschichte vertraut.

Im Februar 1998 wurde im württembergischen Königsbronn, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte, eine Gedenkstätte eingerichtet. Da ehrte auch Baden-Württemberg Elser ganz offiziell als „großen Sohn" des Landes. Das war 20 Jahre nach der Ära Hans Karl Filbinger, des CDU-Ministerpräsidenten, der während des Nazi-Regimes ein gnadenloser Marinerichter gewesen war.

Anläßlich Elsers 100. Geburtstags am 4. Januar 2003 schließlich gab die Deutsche Post eine Sondermarke heraus, mit einem Foto und einem Zitat Elsers: „Ich hab den Krieg verhindern wollen."

Langsam würdigen die Deutschen Elser. Mittlerweile sind mehr als 30 Straßen nach ihm benannt

Bundesweit sind inzwischen mehr als 30 Straßen und Plätze sowie drei Schulen nach Georg Elser benannt worden. Es gibt mehr als ein Dutzend Gedenktafeln, Mahnmale und Büsten. Zwei weitere Denkmale sollen bis Jahresende hinzukommen, in München und in Königsbronn.

Daß der lange Jahre Verkannte öffentlich gewürdigt wird, dazu haben neben vielen anderen auch drei Personen beigetragen, die hier zu Wort kommen: der Schriftsteller Peter Paul Zahl, der Journalist Helmut Ortner und der engagierte Hobby-Historiker Manfred Maier.

Die Art und Weise, wie Peter Paul Zahl 1969 auf Elser aufmerksam wurde, mutet zunächst profan an: In einer Kneipe mit Fernseher in Berlin-Britz sah er eines Abends statt des erwarteten Hollywood-Films das TV-Dokudrama „Der Attentäter" von Regisseur Rainer Erler und Drehbuchautor Hans Gottschalk. „Ich begann sehr wütend zu werden", erinnert sich der Schriftsteller. „,Warum kennt keiner diesen Elser?', fragte ich die Anwesenden. ,In Frankreich, Italien, Jugoslawien würde man große Denkmäler für solche Helden errichten.'"

Später sollte Peter Paul Zahl die Gelegenheit erhalten, Elser ein literarisches Denkmal zu setzen. Da saß Zahl allerdings selbst im Gefängnis - der linke Politaktivist hatte in der Zeit der Studentenbewegung Pässe für desertionswillige US-Soldaten gefälscht, Kontakt zur terroristischen „Bewegung 2. Juni" geknüpft und 1972 bei einer Polizeikontrolle auf einen Beamten geschossen und ihn schwer verletzt. Von 15 Jahren Haft mußte er zehn absitzen. Im Gefängnis von Werl erreichte ihn eine Bitte des Schauspielhauses Bochum, dessen Intendant Claus Peymann war. Er möge doch ein Stück schreiben, mit einem Thema seiner Wahl.

„Mir fiel sofort ein Thema ein, ich brauchte keine zehn Sekunden dafür." Zahl begann seine Recherchen, auch in Elsers Heimat, wofür ihm Haftferien gewährt wurden. „Johann Georg Elser. Ein deutsches Drama" wurde 1982 in Bochum uraufgeführt. Das Stück ist keine Helden- oder Märtyrergeschichte, es stilisiert die Ereignisse von 1939 in Parallelmontagen zu einem Zweikampf - zwischen dem auf der Bühne vom Volk umgebenen Elser und dem von Soldaten umgebenen Hitler.

Elser wird hier nicht als Einzeltäter gezeigt, sondern als jemand, der von der Gesellschaft einen unausgesprochenen Auftrag erhalten hat. „Es verwundert mich bis heute, daß die meisten, die sich intensiv mit Elser beschäftigt haben, ihn immer als Einzelgänger hinstellten", sagt Zahl. Elser sei aus Verantwortungsgefühl gegenüber seinen Bekannten und Verwandten eigenbrötlerisch und verschwiegen gewesen. Er habe niemanden in seine Pläne hineinziehen wollen.

Ein Mann „mit Eigensinn und Mut in einem Ozean von Opportunismus" sei Elser gewesen, sagt der Journalist Helmut Ortner, der 1989 die Elser-Biografie „Der Attentäter" geschrieben hat. Auch für ihn ist Elser ein Vorbild, eines aber, das für die breite Masse nicht zum Helden taugt. Schließlich habe der mutige Schreiner „die Deutschen an ihr schlechtes Gewissen erinnert, sofern sie eines hatten". Es gebe immerhin Anzeichen für einen Wandel, „die öffentliche Würdigung Georg Elsers ist wahrnehmbar".

Verhalten versöhnlich klingt auch Manfred Maier, der den Georg-Elser-Arbeitskreis im schwäbischen Heidenheim mitgegründet hat. Der Hobby-Historiker, Maschinenbautechniker im Ruhestand, setzt sich seit 1988 in der Heimatregion Elsers für dessen Anerkennung ein. Man habe zu lange zu wenig über ihn gewußt, sagt Maier, dabei habe auch „die Arroganz des Bildungsbürgertums eine Rolle gespielt". Allerdings habe es Veränderungen gegeben, „wenn auch nur langsam". So wird Elser mittlerweile in Schulbüchern erwähnt.

Dieser Tage hielt Manfred Maier eine Rede bei einem Widerstands-Symposion in Stuttgart. 72 Jahre ist er alt, aber das ist seine feste Überzeugung, für die er auch künftig viele andere gewinnen will: „Georg Elser verdient in der Geschichte des deutschen Widerstands einen Platz weit vor Stauffenberg."

DAS ATTENTAT

Am 8. November 1939 um 21.20 Uhr explodierte Georg Elsers Bombe im Münchner Bürgerbräukeller, wo die Spitze des NS-Regimes zur Gedenkveranstaltung anläßlich des Hitler-Putschs von 1923 versammelt war. Anwesend waren neben Adolf Hitler u.a. Propagandaminister Joseph Goebbels und SS-Chef Heinrich Himmler.

Hitler hatte jedoch eine kürzere Rede gehalten als üblich und die Veranstaltung mit seiner Entourage früher als geplant verlassen, um 21.07 Uhr. Der Grund: Weil der Diktator wegen Nebels kein Flugzeug nach Berlin nehmen konnte, mußte er den Nachtzug erreichen. Die Explosion der Zeitzünder-Bombe, die in eine Säule des Saals eingebaut war, tötete sieben ehemalige Putschteilnehmer und eine Kellnerin, 63 Personen wurden zum Teil schwerverletzt.

Noch am Abend des 8. November 1939 wurde Elser in Konstanz festgehalten, als er über die grüne Grenze in die Schweiz flüchten wollte. Wegen verdächtigen Tascheninhalts - u.a. Zünderteile und eine Postkarte des Bürgerbräukellers - wurde er der Polizei übergeben.

Nach tagelangen Verhören gestand er, den Anschlag allein geplant und durchgeführt zu haben. Aus den Verhörprotokollen: „Ich wollte durch meine Tat noch größeres Blutvergießen verhindern." In Berlin wird Elser weiter verhört und gefoltert und dann in das KZ Sachsenhausen verlegt. Er kommt in Isolationshaft und soll in einem Schauprozeß verurteilt werden. Doch dazu kommt es nicht mehr.

Ende 1944 oder Anfang 1945 wird Elser ins KZ Dachau bei München verlegt. Am 9. April 1945 wird er dort ermordet, wenige Wochen vor der Befreiung durch die US-Truppen.


Literatur:
„Johann Georg Elser - Autobiographie eines Attentäters" (basierend u.a. auf Verhörprotokollen), Hrsg. Lothar Gruchmann, Deutsche Verlagsanstalt München 1989.

Helmut Ortner, „Der Attentäter", Nomen Frankfurt 2008 (Erstauflage 1999).

Helmut G. Haasis - „Den Hitler jage ich in die Luft - Georg Elser, eine Biographie", Nautilus Hamburg 2009 (Erstausgabe 1999).

DVD: „Georg Elser - Einer aus Deutschland", Deutschland 1989, Regisseur und Hauptdarsteller: Klaus-Maria Brandauer, Hoanzl Vertrieb GmbH.   hahe

Frankfurter Rundschau - 4.11.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Georg Elser 2004 002

Gedenkanzeige aus der FR vom 6.11.2004.

BGeorg Elser Briefmarke 001riefmarke Georg Elser:

 

 

Erfreulich, daß die FR sich endlich zu einer Würdigung von Georg Elser im gebührenden Rahmen aufrafft. 1999 sah man das noch ganz anders...

Übersehen wollen wir nicht, daß die Stauffenberg-Attentäter nach 1945 in der alten Bundesrepublik über lange Zeit als Hoch- und Landes-Verräter galten. Die herrschenden Meinungen erkannten erst langsam, welchen Stellenwert Stauffenberg und Co. zukommen mußte.

Lesen Sie mehr über Georg Elser. Hier...

Lesen Sie vor allem den Beitrag von Hans Wallow:
“Der stille Held”.

Ein weiterer Bericht.
Hier...

Georg-Elser-Initiative München

Mahnzeichen für Elser”

Und in der SZ der Historiker Peter Steinbach: “Kein Terrorist - ein Held”

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