Keine Macht den Theologen
Ein Aufschrei von Arno WidmannKeine Macht - 080208_1029_widmann_arno_feu

Wer es nicht wußte, bekam es gestern schriftlich vom Bundesverfassungsgericht:

"Die Wissenschaftsfreiheit von Hochschullehrern der Theologie findet ihre Grenzen am Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften." Das Verheerende ist, daß das Bundesverfassungsgericht Recht hat. Das ist die Gesetzeslage.

Der protestantische Theologe Gerd Lüdemann hatte in einer Reihe von Veröffentlichungen klargemacht, daß er nicht mehr an die biblische Geschichte glaube, an Jungfrauengeburt, Kreuzestod und Auferstehung, daß er die Bibel nicht für Gottes Wort, Jesus Christus nicht für Gottes Sohn halte. Schon darum nicht, weil er auch nicht mehr an einen Gott glaube. In seinem Unglauben habe ihn das intensive Studium der Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte des Neuen Testamentes erheblich gestärkt.

Religionsgemeinschaften bestimmen, wie Pfarrer und Priester ausgebildet werden

Lüdemann wurde von der Fakultät und der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen die Lehrbefugnis für das Fach Protestantische Theologie abgesprochen. Das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur konnte den Beamten Lüdemann nicht entlassen und richtete für Professor Lüdemann das Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" ein. Soweit so gut oder so schlecht, könnte man sagen.

Lüdemann aber focht die Entscheidung an. Die Lehrfreiheit werde durch die Umdefinition des Lehrauftrags beeinträchtigt, das Wirkungsfeld des Lehrers erheblich beschränkt. Das Bundesverfassungsgericht gab Lüdemanns Einwänden Recht, aber "die Wissenschaftsfreiheit von Hochschullehrern der Theologie findet ihre Grenzen am Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften". Wir haben es jetzt also amtlich: Die deutsche Rechtslage im Jahre 2009 besagt, daß an deutschen Universitäten die Religionsgemeinschaften bestimmen, wie ihre Pfarrer und Priester ausgebildet werden.

Es ist höchste Zeit, die theologischen Fakultäten abzuschaffen

Wie es zu theologischen Fakultäten kam, kann man nachlesen. Es ist nicht die Geschichte des sich selbst offenbarenden Geistes Gottes, sondern der Kampf um die Macht über die Köpfe. Ein Kampf zwischen Landesfürsten und Universitäten, zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Lutheranern und Reformierten. Wen es interessiert, der kann sich zum Beispiel in die hessische Universitätsgeschichte vertiefen. Sie bietet Bizarrerien jeder Art.

Damit sollte Schluß gemacht werden. Wir werden unsere Probleme sonst multiplizieren müssen. Man stelle sich nur vor, demnächst gibt es muslimische, buddhistische und hinduistische Fakultäten. Wer wird bestimmen, was dort gelehrt wird? In welche Zänkereien wird sich der Staat dort noch hineinziehen lassen?

Die theologischen Fakultäten abzuschaffen ist höchste Zeit. Theologie ist keine Wissenschaft. Die Erforschung der Geschichte und Literatur des frühen Christentums kann eine sein. Theologenausbildung ist Sache der Religionsgemeinschaften, soll von ihnen organisiert und bezahlt werden. Wie zum Beispiel Mormonen und Satanisten es eh schon tun.

Frankfurter Rundschau - 19.2.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

 

Man kann ja nicht vorsichtig genug sein, nach 250 Jahren Aufklärung. Mildernd wiegelt FR-Bronski in der FR vom 21.2.09 ab:
Am 19. Februar haben wir auf Seite 1 den Text von Arno Widmann angekündigt, zu dem nebenstehend eine Auswahl von Leserbriefen veröffentlicht ist. In dieser Ankündigung steht der Satz: „Auch 2009 bestimmen also die Pfaffen, wie ihr Nachwuchs an deutschen Unis ausgebildet wird." Da ist uns ohne verletzende Absicht ein Wort hineingerutscht, das vielfach als Kampfbegriff mißbraucht wurde: Pfaffen. Dieser Begriff hat im Lauf der Jahrhunderte einen Bedeutungswandel erfahren: Ursprünglich war er eine würdevolle Bezeichnung für römisch-katholische Geistliche, wurde aber seit der Reformation zu einer abfälligen Bemerkung. Ich möchte mich an dieser Stelle im Namen der Kollegen dafür entschuldigen, daß der Eindruck einer unzulässigen Wertung entstanden ist.” Absolution erteilt, lieber Bronski.

 

Keine Macht den Theologen, Freiheit der Wissenschaft - warum dieser Aufschrei?

Was hat das mit der Historie zu tun? Historie, Geschichte bedeuten nicht, Zahlen und ein paar Fakten auswendig zu lernen, wie das in der Schule einmal Standard war. Das bringt nichts. Geschichte, das Befassen mit Geschichte, macht erst dann Sinn, wenn daraus gelernt werden kann, gelernt für Gegenwart und Zukunft. So auch an dieser Stelle.

250 Jahre Aufklärung, Freiheit der Wissenschaft, keine Inquisition: Ist alles Wissenschaft, was als Wissenschaft definiert wird? Nein. Warum?

Wissenschaft lebt vom Forschen nach Erkenntnis, heute aktuelle Erkenntnisse haben per se temporären Charakter, können morgen durch neue Erkenntnisse überholt sein, die Gemeinde der Wissenschaftler weltweit gibt das Maß vor. Das hat sich bewährt.

Was ist mit der Theologie? Sie forscht zwar auch, früher beispielsweise danach, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden oder an welchem Datum mit Tag, Stunde und Minute "die Schöpfung" erfolgte. Die Kreationisten sind da voll im Bilde… Doch ansonsten unterliegt die Theologie der Kontrolle durch die Oberen - nicht durch die schöpferische Kraft der Wissenschaft, anderer Wissenschaftler.

Gerd Lüdemann ist, als Theologe und Wissenschaftler, bei den einst gelernten Thesen nicht stehen geblieben. Als Wissenschaftler hat er erkannt, daß vieles an den überlieferten Glaubensgrundsätzen des Christentums mit der Realität, mit der nüchternen Erkenntnisfähigkeit der Wissenschaft nichts zu tun hat - eben nur geglaubt werden kann. Was aber nur geglaubt werden kann - und vor allem: nur geglaubt werden darf! - das ist keine Wissenschaft.

Theologie soll aber nach der herrschenden Interpretation durch die Vertreter der Kirchen Wissenschaft sein. Glaube = Wissenschaft, ist das Fazit. Gerd Lüdemann widerspricht vehement, als Wissenschaftler, als wissenschaftlich forschender Theologe. Das aber darf er nicht - lehren darf er nur, was den Oberen der Ev. Kirche genehm ist, Wissenschaft hin, Wissenschaft her.

Da er aber nicht zu Kreuze kriechen wollte, wurde er von Amts wegen, also von Staats wegen, von seinem theologischen Lehrstuhl verbannt, kann auch keine Prüfungen in diesem Fach mehr abnehmen.

Und das hat jetzt das Bundesverfassungsgericht als gültiges Recht erkannt. Mit anderen Worten: "theologische Wissenschaft" unterliegt nicht den Maßstäben der Wissenschaft, sondern den Lehrerlaubnissen der kirchlichen Vorgesetzten.

Deutschland. Im Jahre 2009…

Deshalb der Aufschrei von Arno Widmann.
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