Und wieder unter französischer Besatzung
(...)

Grund genug für diese Wiedervereinigung zur SPD waren auch die heraufziehenden Gefahren und Nöte. Der galoppierende Verfall des Geldwertes, die rapide Inflation der Mark schuf auch in Steinbach Unruhe. Die Inflation des Geldes brannte allen auf den Nägeln.

Die Folge war u.a. eine Verknappung der Nahrungsmittel. Das wiederum traf die Arbeiterschaft am schwersten. Dagegen stiegen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse im Wert manchmal sogar ins Uferlose. Darüber berichtete der „Taunusbote" vom 3. Oktober 1923: „Größe Aufregung verursachte gestern in Frankfurt am Main ein Bauer, der laut Stadt-Blatt der 'Frankfurter-Zeitung' Kartoffeln zum Preise von 3 1/2 Millionen Mark das Pfund verkaufte; er wurde polizeilich abgeführt."

Tatsächlich brachte die Reichsbank immer größere Geldwertzeichen in Umlauf. Mitte 1923 war der Tausender „die gangbarste Geldeinheit'. Später waren es Billionen. Diese Entwicklung schuf Probleme bisher nie gekannter Art. Der Kassierer des RFV „Wanderlust" bekam z.B. durch „die grassierende Geldentwertung nie geahnte Schwierigkeiten ... Betrug der Monatsbeitrag seither 15 Pfennige, so stieg er Ende 1921 auf 1,50 Mark und verzehnfachte sich bereits 1922 auf 15 Mark. Wer seinen Obolus Anfang November 1923 entrichtete, kam mit 6 Mio. Mark noch relativ glimpflich davon, denn bereits am Ende des Monats hatte er 30 Milliarden hinzublättern. Nur allzu verständlich ist es also, daß Linke resignierte." Die Umstellung auf „Rentenmark" sorgte für eine Beruhigung des Geldmarktes. Dieser Währungsschnitt ging in erster Linie zu Lasten der unteren Schichten - und es traf auch so manchen Steinbacher Arbeiter.

Karl Molitor als Bürgermeister von Steinbach hat es in dieser Zeit nicht leicht gehabt. Damals holte er oftmals das Geld mit dem Rucksack nach Steinbach - und manchmal war die Mark durch den rasend schnellen Verfall des Geldes schon wieder weniger wert, wenn er in Steinbach eintraf.

1924 traf es die Arbeiter noch auf eine andere Weise hart. Frankreich besetzte weite Teile Westdeutschlands - auch Steinbach. Das war die französische Antwort auf die Einstellung der Reparationszahlungen durch die Reichsregierung. Und wieder verlief die Grenze zwischen dem Dorf und Frankfurt am Main. Die Fabriken lagen erneut auf militärisch neutralem Gebiet. Die Arbeitsplätze konnten nur mit einem Paß erreicht werden. Schikane war Trumpf.

Französische Besetzung 1923 in Essen

Einmarsch französischer Truppen 1923 ins Ruhrgebiet (Essen).


Für große Aufregung sorgte vor allem folgende Meldung des „Taunusboten" vom 12. März 1923: „Auf dem Heimweg von Griesheim nach Schwanheim am Main wurde am Freitag abend der 23-jährige Arbeiter Johannes Merz aus Schwanheim von marokkanischen Posten erschossen". Angst grassierte. Aber auch die folgende Praxis der französischen Truppen sorgte für Aufregung und manchmal sogar Panik: „Wie uns amtlich mitgeteilt wird, haben die Franzosen heute vormittag den Eilzug von Limburg, der um 10 Uhr die Station Weißkirchen durchfahren wollte, gewaltsam gestellt. Der Lokomotivführer wurde gewaltsam heruntergeholt und die Reisenden einer Paßrevision unterzogen. Sämtliche Reisende, die ohne Paß waren, wurden mit einer Geldbuße von 50.000 Mk. belegt". Und wer vergißt nicht schon einmal einen Paß?

Not macht erfinderisch. Die Steinbacher schlüpften durch die Absperrungsgrenze des besetzten Gebietes an der „Steinbacher Hohl". Das ging einige Zeit gut. Doch die Franzosen kamen alsbald dahinter und stellten Schilder hin mit der Aufschrift „Limite zone occupée" - Grenze des besetzten Gebietes.

Und trotzdem „schmuggelten" Mitglieder des RFV „Wanderlust" Saalräder von außerhalb „illegal" über die Grenze. Das ging so vor sich: „Die Mitglieder Friedrich Braunroth und Wilhelm Eckert behielten den Brückenübergang oberhalb der Blockstelle ,Hähnäcker' im Auge, und derweil schoben Konrad Gissel, Richard Gensitz, Wilhelm Hirdt und Theodor Gissel bei strömendem Regen um Mitternacht von der Heerstraße kommend die wertvollen Räder durch die schlammigen Feldwege und Getreideäcker Richtung Steinbach. Am 16. August 1924 war das Vorhaben endlich gelungen, und man feierte es mit Fackelzug und Tanz im ,Darmstädter Hof'." Diese Zustände hörten erst mit dem Abzug der Franzosen Ende 1924 auf.1200 Jahre Steinbach: Feuerwehr

Ruhe zog ins Dorf ein. Das Leben verlief wieder in mehr normalen Bahnen. Die Wirtschaft erlebte einen allgemeinen Aufschwung. Die Jahre 1924 bis 1929 sind in die Geschichte als die „goldenen Zwanziger" eingegangen - golden zwar im Verhältnis zu vorher. Doch nicht im wörtlichen Sinn. Noch immer prägte harte Arbeit den Alltag der Dorfbewohner. Es waren große Löcher des häuslichen Bedarfs zu stopfen. Die Mark war wieder stabil und ein begehrtes Zahlungsmittel. Da lohnte sich verstärkter Arbeitseinsatz. Geld brauchte der Bauer vor allem für Neuanschaffung modernerer Maschinen. Angebote auf der Messe in Frankfurt/M. lockten. Aber auch die Bauwirtschaft florierte. Die Steinbacher Maurer und Zimmerleute hatten nach langer Zeit ausreichend Arbeit und Brot. Die Auftragsbücher der Unternehmer quollen über. Noch immer suchten die Steinbacher im Sport und Spiel einen Ausgleich zum manchmal recht grauen Alltag. Zuspruch erhielten insbesondere der „Turnverein Vorwärts" und die Ortsgruppe des „Arbeiter-Rad- und Kraftfahrer-Bundes Solidarität" (ARKB). Der ARKB gewann sogar in Berlin 1929 und dann in Halle/Saale 1932 den Deutschen Meistertitel im 4er Schulreigen. Aber auch in den anderen Vereinen stand das Leben nicht still. 1926 entstand eine Fußballmannschaft und 1927 erblickte eine Handballmannschaft das Licht der Welt. Das schon 1923 entstandene „Kultur- und Sportkartell" entwickelte neue Aktivität. Zuversicht zieht ins Dorf ein. Doch währte sie nicht allzu lange.

Die Krise schlägt zu

Der politische Horizont verdunkelte sich erneut. Der „Schwarze Freitag" am 29. Oktober 1929 mit dem Börsenkrach in New York markierte nämlich einen tiefen Schnitt in die weiteren zeitlichen Abläufe. Davon wurde auch unser Dorf schwer getroffen. Der Ruf aus der „rechten" Ecke nach einem „starken Mann" wurde lauter und drängender. Der Börsenkrach und Zusammenbruch, auch vieler renommierter Bankhäuser in Deutschland, hatte eine tiefe Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit zur Folge.

Das Dorf registrierte im April 1932 vier Fünftel der Steinbacher als erwerbstätige Arbeiter. Davon waren 72 Prozent arbeitslose Steinbacher. Und wieder grassierte Not und kehrte Hunger in manches Haus in unserem Ort ein. Die lockenden Töne der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) mit ihrem Führer Adolf Hitler (hinter ihm standen einflußreiche Industriekapitäne und Bankiers) fanden auch in Steinbach Gehör. 1930 ist der Ort noch Hochburg der SPD: So erhielt die SPD bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 eine deutliche Mehrheit. Pfarrer Schlaudraff kommentierte in seiner Pfarrchronik dieses Ergebnis so: „Man ersieht daraus, wie berechtigt die Bezeichnung Steinbachs als einer Hochburg der Sozialdemokratie ist". Das machte ihn allerdings nicht froh. Denn der Pfarrer zählte zu den Gegnern der SPD im Ort.

Die Krise schlug voll durch - auch auf das Leben in unserem Dorf. Die Finanzlage sah „überaus trostlos" aus. Notstandsgesetze engten den demokratischen Spielraum ein und höhlten Zug um Zug die Weimarer Verfassung aus. Die Weimarer Republik bewegte sich in Richtung eines politischen Abgrundes. Radikalität wuchs und schuf Unsicherheit.

1200 Jahre Steinbach: Arbeitslosenspeisung

Arbeitslosenspeisung. Ein alltägliches Bild in Frankfurt und seinen Nachbargemeinden.

Nutzen zogen daraus die Nazis. Die NSDAP versprach den Arbeitern „Brot und Arbeit", den Bauern ein Ende der „Zinsknechtschaft" und dem Bürgertum „Ruhe und Ordnung". Auch Steinbacher schenkten diesen Parolen Glauben - offensichtlich im Vertrauen auf Wahrhaftigkeit dieser Nazi-Versprechungen.

Die NSDAP und auch die SA faßten im Dorf organisatorisch Fuß.

Mehr Sorgen bereitete der Gemeinde vorerst noch die Wasserversorgung. Noch immer gab es keine Wasserleitung. Der Gemeinderat berät darüber in der Sitzung vom 10. Januar 1930 sehr ausführlich. Er beschließt folgendes: „... für die Finanzierung der Wasserleitung ist eine Holzfällung vorzusehen". Zugleich soll eine „Holzversteigerung für den Distrikt Heidewald stattfinden. Den Erwerbslosen wird eine Zahlungserleichterung gewährt."

Für besondere Aufregung im Dorf sorgte zu dieser Zeit der Steinbacher Bürgermeisterkonflikt. Worum ging es da in der ersten Hälfte 1932?

Die Wahl für das Amt des Bürgermeisters rückte kam näher. Es bewarben sich diesmal erstmals zwei SPD-Mitglieder. Das war einmal der bisherige Bürgermeister Karl Molitor. Er war schon seit 1919 im Amt. Scheinbar stieß seine Amtsführung bei einem Teil der Steinbacher Bürger auf Kritik. Auch innerhalb der sozialdemokratischen Reihen waren die Meinungen über seine Arbeit geteilt. Nach Abwägung der Lage nominierten die Steinbacher Sozialdemokraten „als stärkste politische Kraft des Ortes mit Mehrheit" Jean Heinrich - Sohn des früheren Bürgermeisters Carl Heinrich Heinrich. Zugleich kandidierte für die KPD der Steinbacher Bürger Lorey. Die Wahl am 29. Mai 1932 ging ohne Sieger aus. J. Heinrich erzielte zwar mehr Stimmen - aber keine Mehrheit. Die endgültige Entscheidung hing von einer Stichwahl ab. Darauf rüsteten beide „Lager". Flugblätter zum Wahlkampf aus dieser Zeit zeugen von einer erbitterten „Wahlschlacht".

Was kam in dieser Auseinandersetzung zum Ausdruck? Vorwürfe persönlicher Art standen zwar im Vordergrund der Wahlagitation. Doch hatte der Bürgermeisterkonflikt eigentlich einen politischen Hintergrund. Hier schlug Unmut über die Politik durch. Die Gemeinde war harten Belastungen ausgesetzt - mit verursacht durch die Krise und den rapiden Sozialabbau der Reichsregierung. Die hohe Arbeitslosigkeit im Dorf schaffte zusätzlich politischen Sprengstoff. Die sozialen Differenzierungen traten stärker als früher hervor. Die Auswirkungen der Krisen-Politik traf die sozial schwächeren Schichten, also die kleinen bäuerlichen Betriebe und die arbeitslosen Metaller und Bauleute, stärker. Steuerlast erdrückte auch die Gewerbetreibenden am Ort. Der Riß ging mitten durch die SPD.

Karl Molitor vertrat als langjähriger Amtsträger mehr die offizielle SPD-Politik. Diese tolerierte wiederum die Praxis des Sozialabbaus und der Notstandsgesetze der Papen- Regierung. Der mehr „radikalere Flügel" der Steinbacher SPD murrte. Jean Heinrich als zweiter Kandidat setzte eher auf diese Kräfte. Aber so war das Kräfteverhältnis nicht auszuloten. Sicherlich spielten auch persönliche Erfahrungen, man kannte sich ja genau, eine nicht untergeordnete Rolle. Trotzdem wird die Schwäche der SPD insgesamt deutlich. Sie verliert an Einfluß. Die politische Arbeiterbewegung ist aufgesplittert. Dagegen finden die rechten Kräfte immer mehr zusammen. Die NSDAP erhält großen Zulauf - und zunehmend mehr tonangebende Männer aus Industrie und Banken setzen auf die Nazi-Partei. Hier in unserem Arbeiterdorf als SPD-Hochburg sieht das Stimmenverhältnis bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 so aus: 47,5 Prozent = SPD; 28 Prozent = NSDAP und 20 Prozent = KPD.

Offensichtlich ist der Bürgermeisterkonflikt der örtlichen NSDAP positiv zu Buche geschlagen.
Und wie ging dieser Konflikt aus?
Zunächst gab es bei der ersten Wahl am 29. Mai 1932 keinen Sieger. Die Wahl endete mit einem Patt der Stimmen. Dann gewann bei der Stichwahl zwei Wochen später mit hauchdünnem Vorsprung Jean Heinrich. Kehrte jetzt wieder Ruhe in das Dorf ein?

Nein. Zunächst nicht. Der zurückliegende Wahlkampf voller Bitterkeit hatte tiefe Wunden geschlagen. Das Dorf war mehr oder weniger gespalten. Dabei geriet die „große" Politik oft aus dem Blickfeld. Aber gerade zu diesem Zeitpunkt bewegte sich die Weimarer Republik an den Rand des Abgrundes. Ihre Feinde bliesen zum Sturm. Die 28 Prozent NSDAP-Stimmen im Ort signalisierten eigentlich wesentliche Veränderungen im Kräfteverhältnis der Politik.

Tatsächlich übergab der Reichspräsident von Hindenburg auf Drängen einflußreicher industrieller Kreise dem Führer der NSDAP Adolf Hitler am 30. Januar 1933 die Reichskanzlerschaft.

Die Nazi-Diktatur

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers und seiner Nazi-Partei erfolgte systematisch die Umwandlung Deutschlands von der parlamentarischen Demokratie zur faschistischen Diktatur.

Doch noch standen wir am Anfang dieses Weges. Millionen jubelten ihrem „Führer" Adolf Hitler zu. Auch die Anhänger der NSDAP hier im Ort. Allerdings besaßen sie nicht die politische Mehrheit im Dorf. Die hatte nämlich noch im März 1933 bei den Wahlen gegen die NSDAP gestimmt. Jedoch die örtliche „Prominenz" stand hinter den Nazis.

Mitmachen - anpassen - oder Auflösung: vor diesen Alternativen standen wie überall Anfang 1933 auch die Arbeitervereine. Die Jubiläumsschrift „75 Jahre Radsportverein Wanderlust 1905 Steinbach/Ts" berichtet stolz: „Die Mehrheit der Steinbacher Radsportler blieb trotz langjähriger Arbeitslosigkeit den Versprechungen der Nationalsozialisten gegenüber immun. So entging auch der Steinbacher Radfahrverein nicht der nationalsozialistischen Säuberungsaktion". Konrad Gissel, langjähriger Kassierer des ARKB, schildert in seinem Tagebuch die Ereignisse so: „...Unsere Ortsgruppe wurde am 16. Mai 1933 vom Stützpunkt Steinbach der NSDAP gleichgeschaltet. Das heißt, der Vorstand wurde abgesetzt und dafür drei Kommissare eingesetzt - ohne Mitglied bei uns zu sein". Das gleiche Schicksal erlitten die anderen Arbeitervereine. Friedrich Hill berichtet folgendes: „...am 15. Mai 1933 wurde unser (Turn-)Verein, zusammen mit vielen weiteren Ortsvereinen, die der Arbeiterbewegung nahestanden, von der NSDAP-Ortsgruppe verboten und seines Eigentums beraubt."

SPD und KPD verloren auch auf örtlicher Ebene ihre politische Legalität. Kommunisten wie Jean Hirt waren direkter Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Auch Sozialdemokraten drohte die örtliche Nazimacht. Der letzte aufgefunden Beleg des SPD-Ortsvereins datiert vom 20. April 1933. Heinrich Wenzel erhält für 4,17 Mark ein Kilo Kalk und 3 1/2 Kilo Ölfarbe. Sicherlich war soviel Farbe nicht für den Eigenbedarf notwendig. Doch - man schrieb den 20. April 1933. Das war der Geburtstag des „Führers Adolf Hitler". Die Naziführung feierte ihn mit viel Pomp. Die Nazigegner malten an dieser Tag Parolen wie „Nieder mit der Hitlerdiktatur!"

Dann wird am 23. Mai 1933 der Demokratie in Steinbach endgültig das Lebenslicht ausgeblasen. Die sozialdemokratischen Ratsmitglieder „werden für die Dauer von allen Sitzungen ausgeschlossen" - wie im Protokoll der Gemeinde zu lesen ist. Kaspar Braunroth, der Sprecher der SPD, drückte trotz Redeverbot seinen Protest mit folgenden Worten aus: „Ihr fangt mit Musik an und hört mit Katzenjammer auf". Tatsächlich wurde die Nazi-Diktatur eine blutige Wirklichkeit mit tödlichem Ausgang für mehr als 55 Millionen Menschen. Die SPD verließ an diesem Tag geschlossen die Sitzung.

Sozis raus - "Volkskanzler" rein!

Aus der Gemeinderatsitzung vom 23. Mai 1933: Handschrift.

Zug um Zug wurde auch in unserem Dorf das politische Leben „nationalsozialistisch" ausgerichtet. Der Gemeinderat stand lange Zeit unter der Aufsicht von NSDAP- Beauftragten und erhielt im Laufe der Zeit NSDAP-Mitglieder als Bürgermeister. Aber auch sie verrichteten keine Wunder. Denn „wie in der alten Zeit holen die Dorfbewohner ihr Wasser am Dorfbrunnen. Denn es gibt keine Wasserleitung in Steinbach" - so 1934 ein Zeitungsbericht.
1200 Jahre Steinbach: SA-Trupp

SA marschiert durch das Dorf.

Doch kam so manche Illusion auf. Die Massenarbeitslosigkeit fand ein schnelles Ende. Dann brachten die Nazis für „nur" 98 Mark den sogenannten Volksempfänger auf den Markt. Ja - selbst der Kauf eines Autos für 999 Mark rückte in die Nähe des Möglichen auch für den „kleinen Mann". Denn 1938 lief die Produktion des VW-Käfers an.

Zu dieser Zeit des „Mehr-Stabilität-Gefühls" geschah im Dorf „die Umbenennung des Freien Platzes in Adolf-Hitler-Platz und der Bahnstraße in Hermann Göringstraße" - so das Protokoll der Gemeinde vom 20. Juli 1939. Das war aber zugleich die Zeit der Pogrome und Rassenhetze gegen jüdische Bürger mit dem Höhepunkt der „Reichskristallnacht" am 9. November 1938. Josef Schwarzschild aus unserem Dorfe wurde ihr Opfer.

Steinbach war jedoch durchaus nicht voll nationalsozialistisch gleichgeschaltet. Es gab auch das „andere" Steinbach, nämlich jene, die - wie im „Steinbacher Kurier" zu lesen ist -„...in der Frankfurter SS-Kaserne solange geschlagen wurden, bis sie den verhaßten 'Deutschen Gruß' tadellos ausführen konnten, jene, die während des Krieges als 'Wehrkraftzersetzer' oder ,Drückeberger' das ,Strafbatallion 999' kennenlernten".

Und wieder leidet Steinbach sehr unter dem Krieg

Die Ruhe in Deutschland war nur relativ. Schon nach kurzer Zeit steuerte das „Dritte Reich" auf den Krieg zu. 1935 wurde unter Bruch internationaler Abkommen die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. 1936 bis 1938 erprobte die deutsche „Legion Condor" in Spanien im Bürgerkrieg ihre militärische Schlagkraft. 1938 besetzten Truppen Deutschlands Österreich und 1939 die CSR. Der Einmarsch in Polen am 1. September 1939 löste den zweiten Weltkrieg aus. Bald stand ganz Europa in Flammen.

Das Dorf zählte bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges ungefähr 1150 Einwohner. 24 bäuerliche Betriebe bzw. Halbbetriebe ernährten noch einen großen Teil Steinbacher. Diesmal traf der Krieg das Dorf im Gegensatz zu früher direkter. Zwar verdrängten „Blitzsiege" zunächst manche Sorgen und nährten die Hoffnung auf einen baldigen Endsieg.

Auch die Turnhalle wurde von den Nazis beschlagnahmt!

    Darüber berichtet Friedrich Hill folgendes:

    Seit den zwanziger Jahren hatten wir durch Sammlungen, Spenden, Bausteinverkauf und Stiftungen jene Mittel zusammengetragen, die es uns ermöglichten, Ende 1930 in Frankfurt-Rödelheim eine ehemalige Lagerhalle (300 m2) zu kaufen. Diese trugen wir Stein für Stein ab und transportierten sie nach Steinbach. Im August 1931 begannen wir mit dem Turnhallenbau in der Obergasse, die noch im gleichen Jahr benutzt werden konnte. Lange sollten wir allerdings keine Freude an unserem schönen Vereinshaus haben. Denn am 15. Mai 1933 wurde unser Verein, zusammen mit vielen weiteren Ortsvereinen, die der Arbeiterbewegung nahestanden, von der NSDAP-Ortsgruppe verboten und seines Eigentums beraubt. Unsere Turnhalle wurde ein Tummelplatz der Nazihorden. Die Marmorplatte mit Baudaten und Zeichen des Arbeitersports habe ich mit einer neutralen Platte zugemauert und so vor faschistischer Zerstörungswut gerettet.

    Aus:
    Steinbacher Hefte Nr. 19

Der Krieg bestimmte immer mehr das alltägliche Leben. Nahrung und Kleidung waren rationiert. Die Belastung der Frauen nahm sprunghaft zu. Sie mußten wieder einmal die Männer „ersetzen". Das gaben selbst die Nazis zu. Da hieß es in einer Flugschrift im 3. Kriegsjahr: „Gerade die Landfrau hat es gewiß nicht leicht. Der Mann und die Söhne stehen draußen an der Front; zu den Sorgen um ihr Leben kommen die Sorgen um den Hof... Wie ihre Mitschwestern in der Stadt zu Millionen in der Rüstungsindustrie mithelfen, Waffen für die Front zu schmieden, so schmiedet die Landfrau auf den Äckern ... die Ernährung aus eigener Scholle".

Rüstungsproduktion verdrängte den Konsum. Arbeitskräfte waren wirklich knapp. Zwar füllten Zwangsarbeiter oft diese Lücke einigermaßen aus. So wurden 1944 auch in unserem Dorf zwei Massenlager eingerichtet: das „Italienerkommando" in der Turnhalle und das „Russenkommando" auf dem alten Sportplatz. Die Dorfbewohner kamen jedoch mit ihnen kaum in Berührung.

Die Siegesfanfaren der Nazipropaganda wurden alsbald vom Lärm englischer und US- amerikanischer Bomber verdrängt. Trauer zog auch in manche Steinbacher Familie ein. 1941 beschlagnahmten die Nazis sogar die Kirchenglocke. Sie wurde ein Werkzeug des Todes: Granate, Geschütz oder Bombe.

Im August 1942 trifft der Krieg unser Dorf mit voller Wucht. Es war am Wochenende vom 24. zum 25. August. Die Ernte zwang trotz Wochenende zu einer „Mehrarbeit". Trotzdem war der Tag voller Sonne. Etwa Zufriedenheit? Nein. Da waren die Auswirkungen des Krieges zu sehr zu spüren. Überall gab es Engpässe. Der Krieg forderte an der „Heimatfront" ständig Tribut. Jetzt von unserem Dorf auf eine ganz andere schreckliche Art und Weise.

Nachts heulten die Sirenen auf und rissen das Dorf aus dem verdienten Schlaf. Vorwarnung? Nein - im Dunklen verborgen zogen in der Nacht Bomber tief über das Dorf hinweg und warfen ihre tödliche Last auf Steinbach herab. Tausende Phosphorbomben erleuchteten hell die Nacht. Minna Brandl schrieb darüber: „Man glaubte wirklich, die Hölle sei los, denn eine volle Stunde dröhnten die Bomber dicht über unseren Köpfen und Bombe auf Bombe sauste nieder. In unserer Gemarkung wurden 21 schwere Spreng- und 2000 Phosphor- und Stabbrandbomben geworfen. ... Unsere schöne Schule ist abgebrannt. (Bei) Milchhannen und gegenüber dem Milchpaulehannes sind sämtliche Wirtschaftsgebäude und bei Dudel, Lepps und Philipp Heinrich sind die Scheunen abgebrannt. Es brannte an allen Ecken... Fast keine Nacht hat man mehr Ruhe. Da könnt Ihr Euch ein Bild machen, wie es jetzt hier zugeht". Diese Zeilen waren an Verwandte gerichtet.

1200 Jahre Steinbach: Bombenangriff 1942

Der Bombenangriff in der Nacht vom 24. zum 25. August 1942 legte die 1910 erbaute Schule in Schutt und Asche.

Das ganze Ausmaß an der Zerstörung war noch schlimmer. 26 Brände wurden gezählt. Nicht nur Gebäude fielen den Bomben zum Opfer. Auch Vieh kam zu Tode und Menschen wurden schwer verletzt. Ganz Steinbach war auf den Beinen and rückte den Bränden auf den Leib. Die Bürger bildeten lange Schlangen mit Wassereimern von der „Butt" zu den einzelnen Brandherden. Die gegenseitige Hilfsbereitschaft war „groß und vorbildlich".

Das Dorf fand in der Tat keine Ruhe mehr. Am Tage wartete schwere körperliche und lange Arbeit auf die Steinbacher.

Die schon erwähnte Flugschrift beschrieb die Lage im dritten Kriegsjahr folgendermaßen: „Die deutsche Landwirtschaft stand in dem nunmehr zu Ende gehenden Jahr vor überaus schweren Aufgaben. Neben allen Schwierigkeiten des Krieges nachte ihr vor allem die Witterung sehr zu schaffen und behinderte ihre Arbeit in den entscheidenden Wochen oft ungemein, Ein überaus spätes Frühjahr verzögerte den Fortgang der Bestellung, den Aufgang und die Entwicklung der Saaten sehr erheblich. Große Feuchtigkeit in der Ernte verursachte oftmals Doppelarbeit und zog die Einbringung des Getreides über Gebühr in die Länge. Endlich störte der ungewöhnlich frühe Eintritt des Winters, verbunden mit unerwartet zeitigen und heftigen Kälteeinbrüchen, die Bergung der Hackfrüchte in manchen Gebieten ganz wesentlich..." Abends suchten seit einem Luftangriff dann viele Dorfbewohner den „nahen Wald (die Loshecke)" auf. Mitte 1943 diskutiert der Gemeinderat den „Bau eines Splittergrabens am Parteiheim und dessen spätere Verwendung". Dazu drängte nach der Zunahme der Überflüge „feindlicher" Flugzeuge der „Reichsluftschutzbund".

Doch Luftschutzkeller und Splittergräben nutzen nicht immer. Die Lufthoheit der Nazis über ihrem eigenen Land war gebrochen. Tausende Bomber warfen Tag für Tag ihre tödliche Last auf Dörfer und Städte ab. Auch die verlorene Schlacht bei Stalingrad 1943 markierte eine Wende im Krieg. Es ging mit dem Nazi-Regime militärisch rapide bergab. Auch unser Dorf geriet am 30. November 1944 wieder direkt in die Räder der Kriegsmaschinerie. Dieses Mal noch schrecklicher als zwei Jahre zuvor. Mittags schreckte die Sirene wieder einmal lautstark die Steinbacher auf. Sorgenvoll war der Blick vieler Dorfbewohner nach dem Himmel gerichtet. Fliegeralarm! Die Flugzeuge glitzerten geradezu gespenstisch im grellen Sonnenschein. Angst machte sich breit. Denn - so ein Augenzeugenbericht - „plötzlich scherte ein Pulk von 37 Flugzeugen aus dem Verband aus und senkte sich schnell herab. Wir konnten noch knapp den Keller erreichen, als auch schon die ersten Bomben fielen. In wenigen Sekunden war das Vernichtungswerk geschehen".

Das schreckliche Ende

Richtig - nur in Sekunden war das Aufbauwerk von mehreren Generationen Steinbacher Einwohner zerstört. Aber auch der Glaube an einen „Endsieg". Daran vermochten auch die „Siegheil-Durchhalteparolen" der Nazis nichts zu ändern. Gründe dafür gab es insgesamt mehr als genug. Auch im Dorf: Tod, Schutt und Asche sind Zeugnis.

Das „Heimatbuch" dokumentiert dieses schreckliche Vernichtungswerk am 30. November 1944 mit folgendem Augenzeugenbericht:

„Ich zählte später, von den Dornwiesen bei Kriegers bis zum Friedhof am Praunheimer Weg, 19 schwere Einschläge. Unser Haus zitterte, denn 2 Bomben gingen in meinen Hausgarten und eine in den Pfarrgarten, noch keine 15 m vom Keller entfernt, nieder. Kinder, die ich von der Schule mitgebracht hatte, weil sie zu weit weg wohnten, fingen an zu weinen, Frauen beteten. Es mochte gegen 13 Uhr sein, als mein Nachbar, Herr Pfarrer Schlaudraff, erschien und sagte: ,Wir müssen schnell zu Kirchners, dort ist der Keller eingestürzt, und die Leute sind eingeschlossen! Wir liefen sofort hin, aber es war nichts mehr zu retten. Die Bombe hatte Scheunendach, Strohlager, Balken durchschlagen und war im Keller explodiert, wo 13 Leute Schutz gesucht hatten. Alle, vom Säugling bis zum Greis, waren bis zur Unkenntlichkeit zerrissen.

Dicht daneben fand man in seinem Häuschen, auf einer Bank liegend, neben sich einen Krug Apfelwein, den alten Peter Schreiner, Jahrgang 1868, der ganz friedlich dalag. Eine vor dem Greis krepierte Bombe hatte ihm die Lunge zerrissen. Nicht weit davon hatte eine Bombe den Stall von Fritz Lorey getroffen und einige Kühe getötet. Eine weitere Bombe war in der Straßenverengung bei Karl Hirdt explodiert und hatte die Hauptverkehrsstraße gesperrt. Während die meisten Bomben tief in die weiche Erde eingedrungen waren, wo sie keinen Schaden anrichten konnten, hatte diese Bombe auf der festen Eschborner Straße große Splitterwirkung gezeigt, schwere Brocken waren bis zu 200 m weit geflogen.

Eine Begebenheit, die an ein Wunder grenzt, soll noch geschildert werden. Philipp Becker, der vom Felde kam, suchte im Keller bei Kirchner noch Unterschlupf. Er brachte aber die Kellertüre nicht auf, hörte über sich das unheimliche Rauschen der Bomben und sprang mit einem Satz hinter den Misthaufen. Da schlug die Bombe krachend in den Keller, aber Philipp B. war gerettet, während da drinnen seine Schwester mit einem Säugling und zwei kleinen Kindern den Tod fand.

Der Augenzeuge notierte noch eine wichtige Veränderung: „Jeder wünschte sich ein baldiges Ende des furchtbaren Krieges. Dazu kam, daß sich die Verlustmeldungen von der Front häuften. Die Zahl der Gefallenen im Jahre 1944 betrug soviel wie in den beiden Kriegsjahren 1942 und 1943 zusammen. Draußen auf dem Acker konnte man nicht mehr ruhig arbeiten, die Lebensmittel wurden knapper, denn vom Januar 1945 ab brachte man infolge der dauernden Alarme die meiste Zeit im Keller zu, obwohl man wußte, daß auch sie keine Sicherheit boten!'

Überall wurde keine Sicherheit mehr geboten. Denn das Nazi-Regime näherte sich in Windeseile seinem Ende zu. Der „Rußlandfeldzug" kehrte sich um. Alsbald verlief die Ostfront auf deutschem Boden. Italien hatte kapituliert. Die westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich vertrieben die deutschen Truppen über den Rhein. Die Niederlage des sogenannten Dritten Reiches stand fest.

Und wie sah das Ende des Krieges konkret für Steinbach aus?

Es war ein Ende mit Schrecken. Die Front rückte immer näher. US-amerikanische Panzer rollten auf Frankfurt am Main zu. Es gab kaum Widerstand. Das Grollen des Geschützfeuers war im Dorf Mitte März 1945 ganz deutlich zu hören. Panzersperren sollten den „Feind" aufhalten. Dazu wurde von Männern des Volkssturmes 1500 Kiefernstämme aus dem Heidewald und der Loshecke gefällt. Jabos (Jagdbomber) griffen selbst einzelne Frauen und Männer am Tage an. Es gab Tote und Verwundete. Übernachtet wird meistens im Keller - und zwar angekleidet. Chaos durch Flüchtlinge herrscht auf den Straßen. Täglich durchziehen auch zurückweichende deutsche Truppen das Dorf.

Und so sah der letzte Tag am 29. März 1945 im Nazi-Regime aus:

Gegen 10 Uhr herrscht Stille - unheimliche Stille. Jeder fühlt, es kommt nun die Entscheidung, und jeder wünscht, daß der Schrecken doch bald ein Ende nehmen möge. Dieses Hangen und Bangen in schwebender Pein dauert bis 14.30 Uhr. Da läuft jemand an meinem Kellerfenster vorbei und ruft: ,Sie kommen, die Panzer rollen von Eschborn heran, hängt weiße Tücher heraus! Schnell! Schnell!' Einige Minuten später rollen nun die Panzer donnernd heran, und überall sieht man weiße Tücher aus den Fenstern wehen. Vom Dorfeingang bis zum Dorfausgang, sowie in allen Seitenstraßen halten die Panzer und bleiben einige Stunden hier liegen. Es folgen die üblichen Bekanntmachungen über Waffen- und Foto-Ablieferungen."
 

Aus:
1200 Jahre Steinbach: Das Buch