Als die Nachricht noch zu Fuß kam
Der Oberurseler Nicolaus Henricus druckte schon im 16. Jahrhundert die ersten Zeitungen / Originale im Stadtarchiv

Oberursel hat bei der Historie des Zeitungswesens ein kleines Mitspracherecht: In der St.-Ursula-Gasse druckte Nicolaus Henricus so genannte Meßrelationen - die ersten gedruckten und in regelmäßigen Abständen erscheinenden Nachrichtenperiodika in Europa.

Von Lia Venn

Oberursel - Hauten sich im 16. Jahrhundert Türken und Österreicher in Siebenbürgen mal wieder die Köpfe ein, informierte darüber der Oberurseler Nicolaus Henricus die geneigte Öffentlichkeit. Indem er nämlich zu Fuß gen Frankfurt eilte und sich dort mit Nachrichten versorgte. Diese druckte er dann in seiner Druckerei in der St.-Ursula-Gasse in den Meßrelationen ab, einer Art Zeitung. „Kriegerische Ereignisse, Friedensvertrage, Unwetter, der Kurfürst heiratet, ein Kalb mit zwei Köpfen wurde geboren - so was stand in den Relationen", sagt Heimatforscher Manfred Kopp, der sich seit den 1960er Jahren mit der Druckerei zu Ursel befaßt.

Die Meßrelationen erscheinen in Deutschland etwa ab 1583 und sind das erste gedruckte in regelmäßigen Abständen - zu den Handelsmessen in Frankfurt und Leipzig, manchmal auch zum Peter-und-Paul-Markt in Naumburg - erscheinende Nachrichtenperiodikum in Europa. Begründet von dem Kölner Juristen und Katholiken Michael Freiherr von Aitzing in politisch unruhigen Zeiten, findet diese Zusammenfassung nach Angaben der Historiker schnell Nachahmung und Verbreitung unter lateinischen und deutschen Titeln, etwa als Relatio historica oder Historische Beschreibungen. In Frankfurt gründet sich eine Herausgebergemeinschaft für eine protestantische Alternative: „Konrad Lautenbach, lutherischer Pfarrer an der Katharinenkirche und Historiker als Redakteur, Paul Brachfeld als Verleger, Jacques Bongars, Gesandter des Königs Heinrich IV. von Frankreich als Nachrichtenagent und Herausgeber sowie unser Henricus als Drucker", zählt Kopp auf. Die Relationen erscheinen von Herbst 1591 bis in die 1620er Jahre an zu jeder Messe.

Manfred Kopp, lokaler Historiker

Manfred Kopp zeigt eine Meßrelation von Nicolaus Henricus. Er forscht seit vielen Jahren über den Oberurseler Buchdrucker.

Der erste Druck erscheint 1557

Das erste Druckwerk, UD l (Urseler Druck 1), von Henricus kommt bereits im Jahre 1557 heraus. Der rechtgläubige Lutheraner ist nach Kopps Recherchen damals 25 bis 27 Jahre alt. Um die kaiserlichen Privilegien nicht zu gefährden, achtet der Rat in Frankfurt streng darauf, dass keine extremen theologischen Streitschriften in der Messestadt gedruckt werden. Der Rat zensiert jedes Werk, das gedruckt werden soll. „Es ist offensichtlich, dass die Vertreter des orthodoxen Luthertums in Frankfurt nahe der Stadt, aber außerhalb ihres Territoriums eine Druckerei brauchten", berichtet Kopp. So können sie der Zensur entgehen. Im Jahr 1561 erscheinen bei Henricus fast alle „Teufelsbücher" der streng lutherischen Autoren. Unsitten werden darin als Äußerung des Teufels angeprangert, etwa im Urseler Druck 30: Wider den Saufteufel.

Ein bißchen hat der Teufel womöglich auch Henricus selbst geritten, denn manche Zeit- und Berufsgenossen stellen ihm kein gutes Zeugnis aus. Historiker Kopp hat herausgefunden, dass Tilmann Heshus, Pfarrer in Neuburg, im Jahr 1566 großen Ärger mit Henricus hat, weil dieser Geld und Freiexemplare einfach nicht schicken will. „Dieser faule Kerl Henricus antwortet noch nicht einmal auf die Briefe", zitiert Kopp den Pfarrer. Ob der Urseler die Forderungen jemals erfüllt hat, bleibt offen.

Ein Jahr später schickt ein Autor sein Manuskript an einen Herausgeber und warnt: „Dem Urseler soll er es keinesfalls zum Druck geben." Dieser arbeite so schlampig und fehlerhaft, dass man sich beinahe dafür schämen müsse. Wie Manfred Kopp herausgefunden hat, gab es bei Henricus wohl auch häufiger Lieferschwierigkeiten. So zitiert Kopp einen Autoren: „Schärfe gegenüber dem Urseler auch die getroffene Vereinbarung ein, die doch längst abgesprochen ist!" Die kaiserliche Bücherkommission bezeichnete Henricus in einer Liste mit 100 Druckern gar als „tauber Idiota" - der einzige Zusatz zur Person auf dieser Liste. Kopp merkt dazu an, dass tauber idiota so viel heißen kann wie sturer Bock oder unbelehrbarer Kerl.

„Ob er ein bekanntes Original war?" überlegt der Forscher. Um 1600 starb Henricus in Ursel, vermutet Kopp. Geburts- und Sterbedaten seien nicht überliefert. Er war aber wohl verheiratet und hatte mindestens zwei Kinder. 1598 kaufte Cornelius Sutor die Druckerei. Der letzte Druck (UD 432) erschien um das Jahr 1623. „Im Dreißigjährigen Krieg ging nichts mehr, nicht nur, weil es allenthalben brannte, es gab auch keinen Markt mehr", erklärt Kopp.

Im Stadtarchiv in der Schulstraße können einige der Urseler Drucke im Original eingesehen werden. Dafür sollte ein Termin vereinbart werden, Tel. 061 71/581481.

NICOLAUS HENRICUS

  • Im Jahr 1557 hat Nicolaus Henricus die Druckerei zu Ursel gegründet. Ein genaues Datum konnten die Geschichtsforscher bisher nicht nachweisen. Fest steht aber, dass seine Buch-Erzeugnisse und theologischen Streitschriften lutherischen Inhalts ausweislich des Impressums erstmals vor 550 Jahren in Oberursel gedruckt wurden.
  • Der Frankfurter Drucker Peter Braubach erwähnt in einem Brief vom 17. Juli 1557 an den Hamburger Pfarrer Joachim Westphal einen Drucker aus Oberursel der „neulich mit nur einer Presse" die Arbeit aufgenommen habe.
  • Die Druckerei existierte bis 1623.

Frankfurter Rundschau - 17.2.07 - mit freundlicher Erlaubnis der FR