Gehlens Zwischenstation in Oberursel
Vor 60 Jahren entstand im Camp King die Vorläufer-Organisation des Bundesnachrichtendienstes / Dienstherren waren die Amerikaner

VON  LIA VENN

Der heutige Tag ist in Oberursel verknüpft mit dem früheren Camp King, mit den Amerikanern, mit Nazi-Deutschland, mit Geheimnissen und Geheimdiensten.

Vorläuferin des deutschen Geheimdienstes, dem Bundesnachrichtendienst (BND), war die Organisation Gehlen. Vor genau 50 Jahren, am 1. April 1956, ging diese Organisation im damals gegründeten BND auf. Dessen erster Präsident war Reinhard Gehlen - unter Hitler Generalmajor der „Abteilung Fremde Heere Ost", ab 1946 Leiter der Organisation Gehlen, ein von amerikanischen Besatzungsbehörden aus deutschem Personal gegründeter Nachrichtendienst für militärische und politische Geheimnisse aus dem Osten. „Die gesamte Zeitgeschichte von den 1930er Jahren bis 1993 können Sie an der Geschichte des Camp King ablesen", sagt Kuratoriumsmitglied des Vortaunusmuseums und Heimatforscher Manfred Kopp.

Das etwa 15 Hektar große Areal an der Hohemarkstraße, wo heute mit jungen Familien die Zukunft Oberursels lebt, war in der Vergangenheit ein Ort, an dem sich Gut und Böse abwechselten. In den 1930er Jahren entstand dort der Reichssiedlungshof, __ eine Lehr- und Musteranlage für deutsches Siedlungswesen mit 21 Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. „Ich habe noch eine Zeitzeugin aufgetan, die dort Geflügelzüchterin gelernt hat", sagt Manfred Kopp, der die Geschichte des Gebietes zurzeit für die Stadt aufarbeitet, ein Camp-King-Konzept für Stadtführer erarbeitet hat und ein Arbeitsheft für den Schulunterricht plant.

Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges beanspruchte die NS-Luftwaffe Teile des Gebietes rund um den Reichssiedlungshof für ein Kriegsgefangenen-Durchgangslager, kurz Dulag Luft genannt.

Das 1940 errichtete Lager habe Oberursel im Krieg weltweit bekannt gemacht, schreibt Angelika Baeumerth in ihrem Buch „Oberursel am Taunus: Eine Stadtgeschichte, denn die alliierten Flieger hätten gewußt, daß sie im Falle eines Abschusses dort landen würden. „Auf Wiedersehen im Dulag Luft", seien deshalb ihre Abschiedsworte untereinander gewesen. „Für Schüler machen solche Geschichten die Geschichte spannend", sagt Manfred Kopp. „Die Waldorfschule steht dort, wo diese abgestürzten Flieger früher verhört wurden, das ist Geschichte 'life' sozusagen."

Lokalhistoriker Manfred Kopp


Manfred Kopp aus Oberursel dokumentiert zurzeit die Geschichte des Camp King. Bild: Renate Hoyer

Mit dem Dulag Luft verbunden war das Vernehmungszentrum oder die Auswertestelle West, als zentrale Sammelstelle für alle gefangen genommenen Flieger; sie sollten unverzüglich nach Oberursel gebracht werden, wo sie vernommen und dann zu Kriegsgefangenenlagern weiter transportiert wurden. Die Informationen der alliierten Flieger wurden gesammelt und miteinander verknüpft. Rund 40.000 Kriegsgefangene mußten sich in Oberursel den Verhören der Nazis unterziehen und ihre strategischen Geheimnisse preis geben.

1945 drehten die Amerikaner den Spieß um und nutzten das Gelände kurzfristig als Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten. Dann vernahm der spätere Ankläger bei den Nürnberger Prozessen, Robert Kempner, frühere Nazi-Größen im Camp King. Kurze Zeit lebte dort auch der Nazi-Gegner Eugen Kogon als freiwilliger Chronist der US-Army und begann mit seinem Buch „Der SS-Staat".

Von 1946 an nutzte die Central Intelligence Agency, der amerikanische Geheimdienst CIA, das Gelände, unter dessen Protektion die Organisation Gehlen entstand. Namensgeber des BND-Vorläufers war Reinhard Gehlen, der 1920 in die Reichswehr eintrat und von 1933 an eine Generalstabsausbildung absolvierte.
Reichssiedlungslehrhof Oberursel

Im einstigen „Reichssiedlungslehrhof gründete die US-Regierung die „Organisation Gehlen", aus der der BND hervor ging.

Gehlen war an den Vorbereitungen für die Operation Barbarossa, den Überfall auf die Sowjetunion, beteiligt. Später wurde er Chef der „Abteilung Fremde Heere Ost", und damit Chef der Ostspionage unter Hitler. Nach dem Krieg mußte sich Gehlen beruflich nicht verändern: Er stellte sich - mit seinem Stab und dem gesamten Archiv - im Mai 1945 den Amerikanern, die ihn auf dem Militärgelände Fort Hunt nahe Washington des Ex-Nazi- Geheimdienstlers und der CIA schickte ihn der amerikanische Geheimdienst ins Camp King, wo Gehlen seine gleichnamige Organisation aufbaute.

„Im Sommer 1946 kam er nach Oberursel", berichtet Heimatforscher Manfred Kopp, „der US-Geheimdienst-Agent Eric Waldman holte Gehlen in Le Havre ab." Politisch korrekt waren die Verbindungen nicht. „Es war ja so, daß die Amerikaner im Camp King einerseits die Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Größen vorbereiteten, gleichzeitig bediente sich die CIA der NS-Leute, um ihre Geheimdienste zu füttern", beschreibt Kopp die widersprüchliche Situation und zitiert Adenauers umstrittenen Ausspruch: „Ich kann kein schmutziges Wasser wegschütten, wenn ich kein sauberes habe."

1947 endete die amerikanisch-deutsche Geheimdienstarbeit in Oberursel - mit dem Umzug der Organisation Gehlen in die ehemalige Rudolf-Hess-Siedlung im bayrischen Pullach. Von 1953 bis 1968 war die MIC, die Military Intelligence Group, im Camp stationiert - vergleichbar dem militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr. Später nutzte eine US- Transport-Brigade das Gelände. 1993 verließen die Amerikaner Oberursel dann endgültig.

 

HINTERGRUND
Der heikle Held Gehlen - NS-Freunde in US-Diensten
VON LIA VENN

Als Geheimdienstlegende wird Reinhard Gehlen bezeichnet, die nach ihm benannte Organisation legendär genannt. Er gilt als der Vater des bundesdeutschen Auslandsgeheimdienstes, den er unter der Obhut der Amerikaner aufgebaut habe. Er wurde erster Präsident des Bundesnachrichtendienstes BND, geehrt mit dem Bundesverdienstkreuz.

Gehlen, unter Hitler Generalmajor der Abteilung „Fremde Heere Ost", gilt als einer der Fluchthelfer von Alois Brunner, der als Mitarbeiter von Adolf Eichmann am Tod von 128.000 Juden mitverantwortlich war. Brunner soll auch für die Organisation Gehlen gearbeitet haben. Die Autoren Esther Schapira und Georg Hafner haben für ihr Buch „Die Akte Brunner" recherchiert, daß Otto Skorzeny, selbst Nazi und angeblicher Mussolini-Befreier, Brunner gleich nach dem Krieg an die Organisation Gehlen vermittelt habe. Auch Heinz Felfe, früherer SS-Offizier, ließ sich von Gehlen anwerben und arbeitete in der Organisation bis zu seiner Entdeckung 1961 als Spion für die DDR.

Im Jahr 2001 machte die CIA die Akten zur Organisation Gehlen öffentlich. Im Mai 2002 berichtete Der Spiegel über „landesverräterische Aktivitäten eines späteren Chefs des Bundesnachrichtendienstes". Daraufhin stellte ein Mitglied der PDS-Fraktion im Bundestag eine Anfrage, ob die Bundesregierung Kenntnisse dazu hätte. In ihrer Antwort teilte die Bundesregierung damals schlicht mit, daß die Organisation Gehlen keine deutsche Einrichtung gewesen sei und daß es im März 1956 noch keinen Bundesnachrichtendienst gegeben habe.

Auf der Internetseite des BND steht Reinhard Gehlen mit Bild an erster Stelle der ehemaligen Präsidenten - mit dem Zusatz: „An dieser Stelle möchten wir Ihnen sämtliche ehemalige Präsidenten des BND vorstellen. Vielleicht entdecken Sie andere Ihnen bekannte Personen."   www.bnd.bund.de

Frankfurter Rundschau - 1.4.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR