Ein begehbares Familienalbum
Bad Homburg: Gotisches Haus zeigt die sehenswerte Ausstellung „Schule aus - Der Kaiser kommt"

Von Anton J. Seib

Neben der Schultafel hängt eine Lederpeitsche mit Holzknauf. Auf einem Plakat sind die Regeln für die Eleven festgehalten. „Die Füße der Schüler müssen mit ihrer ganzen Sohle auf dem Boden oder Fußbrett ruhen", steht da unter anderem geschrieben. In einem anderen Raum werden wilhelminische Erziehungsideale in Sprichworte gefaßt. „Die Rute macht aus bösen Kindern gute". Oder: „Ein gutes Kind gehorcht geschwind." Es war wahrlich nicht leicht, in der Kaiserzeit Kind zu sein.

Einen Blick darauf wirft die sehenswerte Ausstellung „Schule aus - Der Kaiser kommt. Kindheit und Jugend in Homburg 1871 -1918", die am Sonntag, 3. Oktober, im Gotischen Haus eröffnet wird.

Der Gang durchs Kinderleben ist in mehreren Stationen den Entwicklungsstufen des Kindes nachempfunden, von der Wiege bis zum Erwachsenwerden. Er endet an den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs, der viele Kinderseelen verhärmte und junge Erwachsene vor eine ungewisse Zukunft stellte. Was die Ausstellung so einzigartig macht, ist die Vielzahl der authentischen Exponate, die ein Stück lokaler Geschichte lebendig werden lassen.

Sozusagen als Abschiedsgeschenk an die Bad Homburger hat Museumsleiterin Roswitha Mattausch, die nächstes Jahr in den Ruhestand geht, die Ausstellung konzipiert. Kuratiert wurde sie von der Mainzer Kulturwissenschaftlerin Astrid Wegner, die zum gleichen Thema bereits in Wiesbaden eine Ausstellung ins Werk setzte. Neun Monate hat sie für die Bad Homburger Schau recherchiert und mußte dabei „sehr tief gründeln", wie Museumsleiterin Mattausch sagt.

Denn allein mit Material aus dem Fundus von Museum und Stadtarchiv ließ sich die Ausstellung nicht bestücken. Fündig wurde Astrid Werner (von der FR einst als „Frau mit dem Trüffelgespür" vorgestellt) bei Bad Homburger Bürgern. Sie kramte in Alben, stöberte nach alten Stücken in Wohnungen und Dachböden. Und sie fand unzählige Bilder, Dokumente und Memorabilia, die jetzt als Leihgaben die Ausstellung bereichern.

Das größte Exponat ist die sogenannte Weihnachtsecke der Familie Lepper aus der Löwengasse. Die hat Astrid Wegner zunächst auf einem Foto entdeckt und später, in Kisten verpackt, auf einem Speicher ausgekramt. Jetzt steht das Ensemble aus mehreren Spielhäusern, darunter Kaufladen, Conditorei und Gästehaus, liebevoll in Szene gesetzt im Museum. Und es gilt heute wie vermutlich auch damals: nur anschauen, nicht anfassen!

Dinge, die sich die armen Leute nie hätten leisten können

Das Ergebnis der Mühen kann sich sehen lassen. „Herausgekommen ist ein begehbares Familienalbum", sagt Astrid Wegner. Das allerdings eher das bürgerliche Bad Homburg abbildet, wie die Ausstellungsmacherin einräumt. Denn nur wohlhabende Familien konnten ihre Kleinen mit Hochrädern, pompösen Puppenstuben oder teuren Kleidern verwöhnen; alles Dinge, die nun im Gotischen Haus zu sehen sind, und die sich eine Tagelöhnerfamilie nie hätte leisten können. So fehlen, der Not gehorchend, Einblicke in das Kinderleben der ärmeren Viertel. Die Diskrepanz wird im Obergeschoß zumindest angedeutet.

An einer Wand prangt die Fotografie des Homburger Hutfabrikanten Möckel samt Familie beim Spaziergang. Das Söhnchen im Ausgehanzug und mit steifer Pose schaut mit eher trauriger Miene in die Ferne. Von der Wand gegenüber grinst ein Faxen machender Frechdachs aus der Altstadt, als wolle er zeigen, wie gut er Klicker spielt. „Man kann sich fragen, welche Kinder glücklicher aufgewachsen sind", sagt Roswitha Mattausch. Denn die Kinder aus gutem Haus mußten wie kleine Erwachsene funktionieren, ihr Leben war vorbestimmt, auch das macht die Ausstellung deutlich. Mädchen wurden auf ihr Dasein als Hausfrau und sorgende Mutter vorbereitet, die Buben im wilhelminischen Geist früh ans Kriegshandwerk herangeführt: In einer Vitrine hängt eine Kinderuniform samt Stahlhelm und Säbel.

DATEN ZUR SCHAU

Die Ausstellung wird am Sonntag, 3. Oktober, um 11 Uhr im Gotischen Haus, Tannenwaldweg 102 , von Kulturdezernentin Beate Fleige eröffnet.

Zu sehen ist die Schau danach vom 5. Oktober bis zum 30. Januar 2011.

Öffnungszeiten: dienstags, donnerstags und samstags von 14 bis 17 Uhr, mittwochs von 14 bis 19 Uhr und sonntags von 12 bis 18 Uhr.

Familienführungen ohne Anmeldung ab 7. November jeden Sonntag, 15 Uhr.

Zur Ausstellung gibt es Workshops und Führungen für Kinder.
Anmeldung unter Telefon 06172 / 37618. Dazu gibt es ein Museumsheft für Kinder. tob

Frankfurter Rundschau - 1.10.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Wann kommt ein Museum einmal auf die Idee, das Leben der “einfachen Leute” nachzuzeichnen? Die haben  viele Nachfahren hinterlassen, die sich bestimmt sehr dafür interessieren könnten...