Bad Homburg in Flammen: Am 8.3.1945, also vor 65 Jahren, bombardierten die Amerikaner die Stadt.
Die Uhr blieb einfach stehen
Gastbeitrag: 33 Menschen kamen beim Bombenangriff auf Bad Homburg ums Leben

Von Ulrich Hummel

Am Donnerstag, 8. März 1945, ertönten kurz nach 14 Uhr die Sirenen und gleich darauf fielen schon die Bomben. Ohrenbetäubendes Krachen war zu hören. In unserem Haus in der Unteren Brendelstraße rannten alle Hausbewohner eilig die Treppen herab zum Keller, wobei sich meine Großmutter an einem defekten Gitterwerk vor der steilen Kellertreppe die Pulsadern eines Arms aufriß und fürchterlich blutete. Schnell wurde sie verbunden.

Wir alle zitterten vor Angst bei dem Höllenlärm der Sprengbomben, die in der Innenstadt fielen. Man hatte den Eindruck, daß sie unmittelbar in der Nähe oder sogar auf das Haus selbst gefallen seien. Wir hatten Glück gehabt: Als wir nach oben gingen, sahen wir im Garten einen silbermetall-farbenen Blindgänger, auf der Brendelstraße stand ein großer Mann mit einem Helm auf dem Kopf und kickte mit seinem Fuß eine Brandbombe in den Rinnstein. Es war unser Nachbar Carl Stolz, der Luftschutzwart der Gegend. Weitere graubraune Brandbomben fand man auf der Straße. Einige Häuser weiter holte ein Mann eine Brandbombe vom Dach herab.

Meine Tante war Lehrerin an dem Mädchengymnasium, das man zu einem Lazarett umgestaltet und mit Rot-Kreuz-Zeichen auf dem Dach versehen hatte. Es ist das untere Gebäude des heutigen Rind'schen Bürgerstifts. Das Schulgebäude  war von einer Brandbombe getroffen und brannte im Dachstuhl. Unsinnigerweise hatte man das Schulmobiliar, die Lehrbücher und die Sammlungsgegenstände im Dachgeschoß     untergebracht. Meine Tante half mit, Matratzen aus dem Fenster zu werfen, die Feuerwehr suchte den Brand zu löschen, wurde aber vorzeitig zum (ebenfalls getroffenen) Kurhaus gerufen. Nun begann das Gebäude lichterloh zu brennen, ein Bild, das ich nie vergessen werde.

Zwischen Unterer Brendelstraße, Ottilienstraße und Gymnasiumstrasse hatte die Abwurfschneise ihren Anfang genommen. Sie zog südlich über die obere Promenade, untere Elisabethenstraße zur mittleren und unteren Louisenstraße, dann über die untere Dorotheenstraße bis fast hin zur Marienkirche, zum unteren Mühlberg und der oberen Schönen Aussicht bis hin zum Hasensprung und zur Frölingstraße.

Zerstört wurden das Mädchengymnasium, die Kaserne (das heutige Finanzamt), das Kurhaus, das Rathaus (oberhalb der heutigen Commerzbank) mitsamt der danebenstehenden Hofapotheke und alle weiteren angrenzenden Häuser bis zur Thomasstraße außer der alten Post; das Thalia Kino oberhalb vom heutigen Karstadt-Kaufhaus, zum Teil das Amtsgericht (heute die Stadtbibliothek), zahlreiche Betriebe und vor allen Dingen Wohnhäuser. Die Marienkirche erlitt nur Glasbruchschäden an der Ostseite. Die meisten Schäden gab es in der Louisenstraße, in der Dorotheenstraße und am Mühlberg, 188 Wohnungen waren verloren gegangen.

33 Tote waren zu beklagen. Besonders tragisch war der Tod der drei Referendarinnen Edel, Kloster und Rau. Eine von ihnen, Frau Edel, hatte bei meiner Tante im Englischunterricht hospitiert und noch am gleichen Vormittag Unterricht gegeben. Alle drei hatten sich zunächst in den Luftschutzkeller der Dorotheenstraße 38 begeben, wo auch die Kinder des Kindergartens des Katholischen Schwesternhauses und zahlreiche andere Bürger Zuflucht gesucht hatten. Die drei jungen Lehramtsanwärterinnen begaben sich von dort aus in einen 12 Meter tiefen ehemaligen Brauereikeller, der als absolut sicher galt.

Entweder wollten sie sich dort in Ruhe auf ihre Lehrprobe vorbereiten oder besonders sicher sein. Nach einiger Zeit kamen sie nach oben und erfuhren von der Entwarnung. Sie gingen zurück, um ihre Sachen zu holen. Unglücklicherweise hatte zuvor eine Bombe das Erdreich über dem Verbindungsgang getroffen, die Erdmassen stürzten erst jetzt in den Gang und verschüttete die drei Frauen. Man konnte sie trotz einer großen Suchaktion nicht mehr retten.

Erst 1983, als man den Komplex Ecke Dorotheenstraße/Thomasstraße neu bebaute, konnten die sterblichen Überreste der drei jungen Frauen geborgen werden. Man fand eine Uhr, die auf fünf Uhr stehen geblieben war. Die Skelette wurden auf dem Ehrenfeld des Waldfriedhofs beigesetzt.


Die Uhr blieb einfach stehen


Dieses historische Bild zeigt das zerstörte Kurhaus. Stadtarchiv

 

Viele Theorien, keine handfesten Beweise
Gastbeitrag: Der Geschichtslehrer suchte nach den Gründen für die Bombardierung der Kurstadt

Warum wurde Bad Homburg überhaupt angegriffen, obwohl es doch Lazarettstadt und künftiger Wohnsitz von General Eisenhower, der nachfolgenden Militärgouverneure und zahlreicher prominenter Amerikaner war?

Es gibt dazu vier Theorien, aber keine handfesten Beweise: Die einen sagen, daß man eigentlich die Heddernheimer Kupferwerke habe treffen wollen, aber durch einen  Navigationsfehler seien die Bomben zehn Kilometer zu früh über einer geschlossenen Wolkendecke abgeworfen worden. Dagegen spricht allerdings, daß nach den Aussagen der meisten Zeitzeugen der Himmel an diesem Tag nur leicht bewölkt war, man habe die Flugzeuge sehen können.

Andere sagen, daß der Gauleiter Sprenger am 8. März im Kurhaus ein Treffen hoher Parteifunktionäre angesetzt habe, wovon die Amerikaner erfahren hätten und deshalb das Kurhaus als Hauptziel bestimmt hätten. Das Treffen war übrigens kurz vor dem Angriff abgesagt worden.

Bombenlast losgeworden

Dritte sagen, im Kurhaus habe es ausgelagerte Industriebetriebe gegeben, etwa von Lurgi, deshalb der Angriff. Sehr wahrscheinlich gehört der Angriff auf Bad Homburg in die Reihe jener Terrorangriffe, die in den letzten Kriegswochen noch zahlreiche deutsche Städte verwüsteten, zum Beispiel Würzburg eine Woche später.

Eine Zeitzeugin erzählte mir, daß ihr Vater nach dem Krieg Kontakte mit höhergestellten Amerikanern gehabt habe. Er sei der Frage des Bombenabwurfs nachgegangen und habe dabei erfahren, daß die Flugzeuge auf dem Rückflug von einem Luftangriff ihre restliche Bombenlast noch loswerden wollten und befehlswidrig über Bad Homburg abgeworfen hätten. Angeblich sei der Fliegerkommandant sogar später bestraft worden.

Ulrich Hummel wurde 1939 In Bad Homburg geboren. Drei Jahrzehnte arbeitete er hier als Geschichtslehrer. Er ist Mitautor des letzten bisher erschienenen Bandes der Stadtgeschichte, der die Zeit von 1948 bis 1990 umfaßt. Darin hat er vor allem die Nachkriegsgeschichte der Stadt aufgearbeitet. prop

Frankfurter Rundschau - 8.3.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Erstaunlich, was überlebende Zeitgenossen in ein solches profanes Ereignis “hinein- geheimnissen”! Da hat’s der Historiker nicht leicht... Die Bomben waren einfach “über”. Nix Gutes für den Heimflug.