Vorschläge für drei Stolpersteine
Stadtarchivarin Dittrich hat Namen und Geschichten von Nazi-Opfern recherchiert / Stadtparlament entscheidet
Köppern, Adolf-Hitler-Straße

So sah sie aus - die „Adolf-Hitler-Straße" in der Mitte von Köppern. Am linken Bildrand das Gasthaus zum Taunus.

Georg Emil Habermehl, Frieda Rosa Müller und Christian Heinrich Friedrich Mank - drei Friedrichsdorfer, die von den Nazis ermordet wurden. Ihre Namen hat Stadtarchivarin Erika Dittrich für das Stolpersteine-Projekt ausfindig gemacht.

Friedrichsdorf - Die Nachforschungen dauerten Monate und gestalteten sich äußerst schwierig. „Da kann man nicht einfach in Akten nachschlagen um zu sehen, was mit den Menschen geschehen ist", so Dittrich. So musste sie sich mühsam durch einen Wust von Unterlagen aus Standesamt, Sterberegister oder Einwohnermeldeamt durcharbeiten. Und sie nutzte die Archive von Gedenkstätten in Konzentrationslagern, derzeit laufen noch Anfragen beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes.

Das Ergebnis ihrer Arbeit: Das Schicksal von drei Friedrichsdorfer Nazi-Opfern ist eindeutig geklärt, der Magistrat wird vorschlagen, ihrer mit so genannten Stolpersteinen, die ins Pflaster des Gehwegs vor ihrer letzten Wohnung eingelassen werden, zu gedenken. Die endgültige Entscheidung trifft das Stadtparlament. Inzwischen haben sich mehrere Bürger gemeldet, die Patenschaften für die Aktion übernehmen wollen, darunter auch Angehörige von Opfern. Georg Emil Habermehl wurde am 17. September 1896 in Köppern geboren. Zuletzt lebte er in der Mühlstraße 14. Die Nazis denunzierten ihn als asozial und lieferten ihn zur Zwangsarbeit ins Konzentrationslager Dachau ein. Dort starb er laut dem örtlichen Standesamt am 20. März 1942 „an Versagen von Herz und Kreislauf bei Darmkatarrh".
Köppern480

Frieda Müller lebte an der Köpperner Straße, ehe sie von den Nazis ermordet wurde.

Ebenfalls in die Kategorie asozial eingestuft wurde Christian Heinrich Friedrich Mank aus Seulberg. Er wurde als 37-Jähriger im KZ Sachsenhausen ermordet. Die Nazis hatten ihn als „Asozialer" abgestempelt. Frieda Rosa (Sara) Müller wurde in Burgholzhausen geboren und im KZ Auschwitz ermordet. Die Lagerleitung teilte ihrem Ehemann am 10. Dezember 1944 folgendes mit: „Ihre Ehefrau Frieda Sara Müller, geborene Oppenheimer, geb. am 12.1.1906, ist am 3.12. 1943 an den Folgen von Myocardinsuffienz im hiesigen Krankenhaus gestorben." Ihr letzter Wohnort war die Adolf-Hitler-Allee 63, heute Köpperner Straße in Köppern.

Nach den Recherchen von Erika Dittrich ist von den wenigen Friedrichsdorfer Juden einzig Frieda Müller ums Leben gekommen. Ihre Familie wanderte bereits 1938 nach Argentinien aus und entkam so den Nazi-Schergen. Das lässt sich belegen durch ein Schreiben des Regierungspräsidenten in Darmstadt in der Entschädigungssache Ludwig Oppenheimer aus dem Jahr 1955. Daraus geht hervor, dass die Familie in Buenos Aires eine neue Heimat gefunden hatte.

Auch die Familie Scharf konnte sich retten. Sie floh 1937 in die USA, nachdem Ignatz Isidor Scharf ins Visier der örtlichen Behörden geraten war. Noch nicht völlig geklärt ist das Schicksal eines weiteren mutmaßlichen Nazi-Opfers. Es handelt sich um Georg Knecht aus Köppern. Dittrich: „Im Archiv finden sich keine Hinweise auf sein Verbleiben, die bisherigen Ergebnisse beziehen sich auf Auskünfte seines Enkels Thomas Knecht."

Hakenkreuzfahne abgehängt

Georg Knecht war Mitglied der Kommunistischen Partei und holte aus Protest gegen die Nationalsozialisten am 1. Mai 1933 die Hakenkreuzfahne von der Dorflinde. Er wurde denunziert und einige Wochen später verhaftet. Vermutlich kam er ins KZ Osthofen, wurde später entlassen, für wehrunwürdig erklärt und dann wohl doch ins Strafbataillon 999 eingezogen. Die meisten Mitglieder kamen im Krieg ums Leben, einige wurden in Buchenwald ermordet. Anton J. Seib

 

STOLPERSTEINE
Der Künstler Günter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Bis heute hat er über 5500 Steine in 97 Ortschaften verlegt. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", sagt Günter Demnig. Mit den Steinen vor den Häusern hält er die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten. Für 95 Euro kann jeder eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines „Stolpersteins" übernehmen.

Das Friedrichsdorfer Stadtparlament hat im Juli 2004 einstimmig beschlossen, sich an der Stolperstein-Aktion zu beteiligen. TOB

 

IM WORTLAUT
„ ...dringend verdächtig"
Das
Schicksal der Familie Scharf

Am 3. Mai 1937 erstattete der Friedrichsdorfer Bürgermeister einen als geheim eingestuften Bericht über Ignatz Isidor Scharf an das Landratsamt.

„In der Anlage bringe ich die Nachweisung über die hier wohnhaften polnischen Staatsangehörigen zur Vorlage. Sämtliche hier wohnhaften Polen sind Juden und zwar handelt es sich um die Familie des Ledertechnikers Ignatz Isidor Scharf. Für den Fall einer Sondermassnahme wird eine Ausweisung der Familie Scharf befürwortet. Die verschiedenen Mitglieder der Familie machen sich durch öftere Reisen ins Ausland, vor allem in die Tschechoslowakei, dringend verdächtig, technische Rezepte, über die der Ignatz Scharf aus seiner Tätigkeit in den hiesigen Lederwerken verfügt, oder auch Geld ins Ausland zu verschieben. Eine Postsperre und sonstige Ueberwachungsmassnahmen haben jedoch keinen Anhaltspunkt ergeben. Sein Verhalten als technischer Betriebsleiter und somit als Vorgesetzter deutscher Arbeiter hat in der Belegschaft verschiedentlich Unruhe hervorgerufen und mit zu seiner Entlassung beigetragen."

Die Familie Scharf flüchtete in die USA, ohne sich abzumelden. Am 8. Oktober 1937 meldet sich Ignatz' Vater Richard Scharf schriftlich beim Friedrichsdorfer Bürgermeisteramt. Ein Beleg dafür, dass sich die gesamte Familie in die USA gerettet hatte:

„Auf die gebührenpflichtige Verwarnung vom 17.9.37 - wegen Nichtabmeldung - möchte ich erwidern, dass ich lediglich besuchsweise nach Amerika gefahren bin und es hierfür meines Erachtens einer polizeilichen Abmeldung nicht bedurfte. Sollte meinerseits jedoch ein Versäumnis vorliegen, so bitte ich hiermit, dies gütigst entschuldigen zu wollen. Sehr ergebenst, Richard Scharf."

Frankfurter Rundschau - 11.1.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Stolperstein in Eschborn?
Wir berichten in Kürze.

“Eschborner Modell” - schlimmer geht’s nimmer. Lesen Sie!

Nicht gedenken, nein, verkleistern!