Die Straßennamen erzählen Geschichte
Dr. Rolf Rosenbohm berichtet über Oberhöchstadt / Stuhl auf dem Berg

Oberhöchstadt. - Mit der Geschichte Oberhöchstadts beschäftigt sich ein ausführlicher wissenschaftlicher Bericht, den der Leiter des Oberurseler Stadtarchives, Dr. Rosenbohm, jetzt der TAUNUSZEITUNG zur Verfügung stellte und der in zwei Abschnitten veröffentlicht werden soll. Dr. Rosenbohm geht bei seinen Untersuchungen davon aus, daß es zwar einen Westbach in der hiesigen Gegend gibt, aber keinen „Osterbach". Da alle Bäche der Umgebung so gut mit Namen versehen seien, bliebe für den „Osterbach" eigentlich das „namenlose Gewässer, das in Oberhöchstadt aus dem Zusammenfluß des Wald-, Wiesen- und Jägerbaches gebildet wird und weiter unterhalb durch die Hohwiesen fließt." Rosenbohm nennt den Bach in seinem Bericht „Osterbach". Dieser wissenschaftliche Name soll der „Einfachheit halber" eingeführt werden.

Das Namenspaar Wester- und Osterbach ist recht aufschlußreich, da die Forschung die Oster- und Wester-Flurnamen als spezifisch nordniederländisch-niederdeutsch ansieht. Wir werden also annehmen dürfen, daß sich hier im hohen Mittelalter niederländische Kolonisten niederließen, und diese Namen aus ihrer Heimat mitbrachten. In jenen Jahrhunderten zogen viele Bauern, Handwerker und Kaufleute aber auch Adlige in größeren und kleineren Gruppen aus dem übervölkerten Westen des Reiches in größeren und kleineren Gruppen über den Rhein und die Ems nach Osten, um dort eine neue Existenz zu finden. Ihr Motto war: „Naar Oostland willen wij rijden (fahren), naar Oostland willen wij mee (wollen wir mit), al over de groenen heiden, daar is er een betere stee. (Stätte)." Der märkische Höhenzug „Der Fläming" erinnert noch heute an diese Ostkolonisation. Weniger bekannt ist, daß es gleichzeitig eine Binnenkolonisation gab, d. h. die Siedler zogen nicht nur nach Osten sondern auch ins mittlere Altreich, das ebenfalls von ihnen kultiviert wurde (12. bis 13. Jahrhundert). Außer dem genannten Namenspaar Wester- und Osterbach erinnert die Anhöhe „Der Flemig" in der einstigen Mittelstedter, heute Oberurseler Gemarkung an diese Einwanderung.

KIRCHGASSE UND DER STUHLBERG

Zwischen dem Osterbach und dem Käsbach befindet sich eine Anhöhe, die dem Radfahrer wohl vertraut ist. Sie erreicht ihre höchste Höhe etwa bei der Turnhalle an der Straße „Schöne Aussicht". Zur Waldsiedlung und zum Käsbach hin flacht sie allmählich ab, während sie bei der „Schönen Aussicht" und der Turnhalle steil abfällt. Hier, bei der Turnhalle, liegt der „Stuhlberg", ein rätselvoller Name, da heute nichts mehr an einen Stuhl erinnert. Die Stuhlbergstraße hält noch die Erinnerung an diese Stätte wach. Sie stößt rechtwinklig auf die „Kirchgasse", die vom Rathaus senkrecht bergauf führt. Auch hier begegnet uns wieder ein rätselvoller Name, denn eine Kirche ist weit und breit nicht zu sehen. Nur der Name der dritten hier befindlichen Gasse, „Schöne Aussicht", ist durchsichtig. „Schöne Aussichten" begegnen uns noch in Homburg v. d. Höhe, Niederhöchstadt, Vilbel und Wehrheim. In Bommersheim gab es früher eine Wirtschaft gleichen Namens. Er ist der um 1800 angelegten „Schönen Aussicht" am nördlichen Mainufer in Frankfurt entlehnt und nach dem Gesetz des sinkenden Kulturgutes im 19. Jahrhundert von dort aus in die benachbarten Städte und Dörfer gewandert.

DER NAME HÖCHSTADT

Nieder- und Oberhöchstadt, - hier liegt übrigens ein Namenspaar vor, das in Norddeutschland und den nördlichen Niederlanden kaum oder gar nicht vorkommt, bei uns jedoch häufig ist, bildeten einst eine Talschaft, d. h. eine geographische und politische Einheit, die zur Zeit Karl des Großen „Ecgistat, Eggistat (H)echistat)" bzw. „Hecgestat (Heckestat) hieß. Die ebenfalls vorkommende Form "Eichenstat" bzw. (H)eichensteter marca" stellt eine Nebenform dar. Da ein H-Vorschlag nicht ungewöhnlich ist, ist von der Form Eggi- oder Eggestat auszugehen, worin mit Förstemann und Adolf Bach ein Personenname zu erblicken ist. Der Ortsname “-höchstadt” bedeutet also „Stätte des Eggi" wie Stierstadt „Stätte des Steor" bedeutet. Übrigens heißen die Dörfer noch heute im Volksmund „Heckstadt".

Zunächst müssen wir uns das moderne Verbindungsstück zwischen der Sodener Straße, von der Stelle, wo diese nach Norden in das Dorf hinein abbiegt, und der Oberurseler Straße bei der katholischen Kirche wegdenken. Noch zur Zeit Goethes lief der Verkehr in einem großen Bogen am leider kürzlich abgebrochenen Backhaus, das im spitzen Winkel zwischen der Sodener Straße und dem Fußweg zum Kirchberg stand, sowie an der alten Schule, später Rathaus und heute leider ebenfalls abgerissen über den ..Schulplatz" und durch die „Meistergasse" (heute das Straßenstück zwischen dem Rathaus und der Kirche) zur Oberurseler Straße, wo sie ihre alte Südwest- Nordost-Richtung wiederaufnahm.

Wir wissen ferner, daß das um 1400 erstmals erwähnte Gotteshaus ursprünglich oben auf dem Hang stand und zwar an der Dorfseite der „Schönen Aussicht" gegenüber der Einmündung des Verbindungsweges zum Altenheim Hohenwald. Von dieser Kirche führte noch vor 150 Jahren ein Fußweg in gerader Richtung zum Dorf hinab, dessen unterstes Stück vom Gänsborn ab noch erhalten ist. Auf der Karte, dem unser Plan entnommen ist, ist er noch eingetragen.

Ein Gericht von überörtlicher Bedeutung

Jetzt wird uns auch der rätselhafte Name „Kirchgasse" verständlich. Diese Gasse führte als Reit- und Fahrweg zum Gotteshaus hinauf, jedoch war dieses nicht ihre alleinige und wohl auch nicht ihre eigentliche Funktion. Die Kirchgasse führt nämlich auffallenderweise unmittelbar auf den höchsten Punkt der Anhöhe zu: 236,4 m auf dem Meßtischblatt, die Kuppe des „Stuhlberges".

Ein Stuhlberg ist ein Berg, auf dem sich ein Stuhl, in diesem Falle ein Gerichtsstuhl befand. Die hervorragende Lage auf der Höhe läßt es als gewiß erscheinen, daß es bei diesem Gericht nicht um ein gewöhnliches Dorfgericht, sondern um ein Gericht von überörtlicher Bedeutung handelt.

Unsere alten Dorfgerichte lagen nämlich hart am Ortsende wie z. B. noch heute in Stierstadt, Dortelweil und Bieber bei Offenbach. Die überörtlichen Gerichte hingegen wurden ihrer Bedeutung entsprechend an besonderen Plätzen, sei es eine Brücke oder eine Anhöhe, abgehalten, wie z. B. das Freigericht Kaichen in der Wetterau und das Mechthildshäuser Gericht an der Stelle, wo der alte Römerweg (heute Rhein-Main-Schnellweg) den Sulzbach überquert). Da der Stuhlberg an der Scheide des Kronberger und der Hohemarker Waldgenossenschaft liegt, ist es möglich, daß der ursprüngliche Sitz des Gerichtes Grafschaft Ursel war, bevor dieser auf die Aue vor Oberursel verlegt wurde. Dieses alles bedarf jedoch noch einer eingehenden Untersuchung.

Wir dürfen also in der heutigen Kirchgasse einen alten Gerichtsweg erblicken, der vom Dorf hinauf zur Gerichtsstätte führte, während die eigentliche Kirchgasse der heute größtenteils verschwundene Fußweg war. Der Umstand, daß bislang noch keine Nachrichten über dieses Gericht gefunden worden sind, weist auf seinen frühen Untergang und mithin auf ein hohes Alter hin.

So befanden sich auf der Höhe des Berghanges wahrscheinlich bereits im frühen Mittelalter ein Gotteshaus, das sich bis ins 14. Jahrhundert hinein zurück verfolgen läßt, sowie eine Gerichtsstätte, deren Ursprung noch einer Untersuchung bedarf. Unten im Tal saßen die Bauern, wobei es noch offen bleiben muß, ob zu beiden Seiten des Baches oder etwa nur in der „Meistergasse". Oberhöchstadt erweist sich als typisches Bachübergangsdorf wie z. B. die Homburger Unterstadt Tittingesheim. Dem Grundriß nach ist es ein Straßendorf mit zwei Kümmergassen: Am Gänsborn und dem Rest des ehemaligen Kirchpfades.

Höchster Kreisblatt/Taunuszeitung - 13.8.73 - mit freundlicher Erlaubnis des HK

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