Ziegel für den Taunus - geformt und gebrannt in Oberhöchstadt
Hanspeter Borsch und Konrad Schneider

Natur- und kulturräumliche Voraussetzungen

Die alte und vom Klima begünstigte Kulturlandschaft des Vortaunus verfügt über eine geologische Struktur auf der Grundlage paläozoischer Gesteine wie Phylliten und Serizitgneisen mit lehmigem Gehängeschutt und Anlagerungen von Löß, Lehm und Lößlehm. In der Zwischeneiszeit vor dem großen Vorstoß der Gletscher der letzten Eiszeit (um 15.000 v. Chr.) war unsere Region ein Steppengebiet, auf dem zum Teil mehrere Meter dicke Schichten von feinem Material angeweht wurden (äolisches Sediment), dem Löß, der zunächst durch Grasbewuchs festgehalten wurde. Das gesamte Taunusvorland mit dem Maintal wurde weitgehend von einer dichten Lößdecke überzogen. Diese Lößdecke ist im Durchschnitt um die 5 m mächtig, kann aber auch bis zu 12 bis 15 m Stärke erreichen. Durch Auswaschung des beträchtlichen Kalkgehaltes verlor der Löß seine lockere Struktur und wurde in festeren Lehm verwandelt. Meist bewegt sich die Verlehmung des Löß um einen Meter. Der Lehm enthält Zusammenballungen von Kalksubstanz, die auch Lößkindel oder -puppen bzw. Erdmännchen genannt werden.

Oberhöchstadt um 1930

Ansicht von Oberhöchstadt, um 1930, Blick nach Westen
 

Löß und Lehm bilden einerseits eine gute Grundlage für Ackerbau und Obstkulturen, andererseits auch für die Anfertigung keramischer Erzeugnisse, wenn dies die Plastizität der Lehme und Tone zulässt. In der Oberhöchstadter Gemarkung lassen sich schon in der Bronzezeit Siedlungsspuren nachweisen. Der Ort hingegen ist eine fränkische Dorfgründung und wird 782 im Lorscher Codex erwähnt. In der Folgezeit häufen sich die urkundlichen Nennungen. Nach wiederholten Wechseln der Landesherrschaft gelangte Oberhöchstadt nach dem Tod des letzten Grafen von Stolberg-Königstein im Jahr 1581 an Kurmainz und blieb dort bis zur Säkularisation des Erzstiftes 1802/03. Im Jahr 1650 hatte es 18 Häuser, ein kleines Haus und 16 wüste Plätze, hatte also im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) sehr gelitten. In der Folgezeit erholte sich das Dorf. In den Jahren 1722/23 wurde die jetzige katholische Pfarrkirche St. Vitus aus Bruchsteinen gebaut, deren baufällig gewordene Vorläuferin oberhalb des Dorfes gestanden hatte. Mit Kurmainz kehrte die katholische Religion in die zuvor zumindest gemischtgläubige ehemalige Grafschaft Stolberg-Königstein zurück. Eine 1730 vorgenommene Zählung ergab 29 Bauern, von denen einer auch Schreiner war, je drei Zimmerleute und Tagelöhner, je zwei Wagner, Bierbrauer, Maurer, Schuhmacher sowie je einen Schreiner, Leineweber, Schlosser, Wollspinner, Hafermehlmüller und Hirten. Am 1. Dezember 1802 wurde Oberhöchstadt zusammen mit den kurmainzischen Besitzungen im Taunus von Nassau-Usingen übernommen, das sich 1806 mit Nassau-Weilburg zum Herzogtum Nassau vereinigte. Nassau wurde 1866 von Preußen annektiert und erhielt dessen Verwaltungsstrukturen.

Schafhof Kronberg

Kalk auf einem Feld beim Schafhof, Kronberg
 

Die Voraussetzungen für die Ziegelherstellung waren in Oberhöchstadt günstig. Es gab wie an vielen Stellen im Vortaunus ausreichende Mengen von Lehm oder Ziegelton, der je nach Qualität für Häfnerware oder Ziegel verwendet wurde. Eine Erhebung von 1858 meldet drei Lehmgruben, von denen zwei der Gemeinde gehörten und eine den Gebrüdern Sachs, die nicht tiefer als vier bis fünf Schuh (2 bis 2,50 m) ausgegraben wurden und als ungefährlich galten. Hinzu kamen je eine kommunale und private Tongrube, in der im Winter bei der größten Kalte gegraben wurde. In allen - so der Bürgermeister - habe sich seit Menschengedenken kein Unfall ereignet. Leider hat er die Standorte nicht angegeben. Nördlich des Dorfes am Waldwiesenbach ist eine ehemalige Lehmgrube im Gelände noch deutlich erkennbar. Der Waldwiesenbach, der durch Oberhöchstadt fließt und sich mitten im Dorf am Dalles mit dem Stuhlbergbach zum Hohwiesenbach vereinigt, sorgte für das nötige Wasser zur Ziegelbereitung.

Eine weitere Voraussetzung war die Beschaffung von Brennstoff im waldarmen Vortaunus. Bei der Aufteilung der Kronberger Waldmark 1809 unter die Markgemeinden erhielt Oberhöchstadt nach den Vermessungen von Forstjäger Nathan von 1804 Anteile am Hoch- und Niederwald sowie am Ödland. Das Waldsteuerkataster weist nur die Gemeinde als Waldeigentümer mit 16 Morgen Hochwald mit Kiefern, 55 Morgen 80 Ruten Niederwald mit gemischtem Hart- und Weichholz neben Wiesen und Ödland aus, insgesamt 304 Morgen 105 Ruten 80/620 Schuh. Der Wald grenzte an die Hohemark, das Oberhöchstädter Feld und die Gemeindewälder von Schönberg und Niederhöchstadt. 1824 waren es 10 Morgen Niederwald mit gemischtem Hart- und Weichholz und 77 Morgen Kiefernhochwald in den Distrikten Rosengärten und Rotlauf sowie auf dem Hühnerkopf. Die Nachbargemeinde Niederhöchstadt hatte in der Oberhochstädter Gemarkung 10 Morgen Niederwald und 77 Morgen Hochwald. Das in der Oberhöchstädter Gemarkung zur Verfügung stehende Holz reichte für die Ziegler nicht aus, die ihr Brennholz aus den Wäldern bis zum Limes auf dem Taunuskamm bezogen.

Bauen, Dachdecken und Brandschutz

In der Zeit des vorindustriellen Bauens war Lehm in vielen Kulturkreisen ein wichtiger Baustoff, der ungebrannt und zu Ziegeln gebrannt verwendet worden ist. In den trockenen Gebieten Südeuropas, Nordafrikas und Vorderasiens sowie verbreitet auch in Amerika wie bei den Puebloindianern sind ganze Städte mit großen Gebäuden aus ungebranntem Lehm errichtet worden. Lehm ist besonders günstig für die Wärmedämmung und daher zum Bauen in heißen Ländern ideal. In Mitteleuropa war Lehm unverzichtbar für das Auskleiden der Gefache von Fachwerkbauten sowie für Lehmputz, Lehmdecken und Lehmestrich. Der reine Lehmbau ist jedoch nicht auf warme und trockene Länder begrenzt: Auch in Mitteleuropa entstanden dauerhafte mehrgeschossige Gebäude aus gestampftem Lehm, der durch einen besonderen Putz gegen Nasse geschützt ist. Diese Bauweise wird Pisé-Bau (Stampfbau) genannt. Pisébauten können aus gestampftem Lehm, der zwischen gemauerten Lehmsteinwangen oder Brettschalungen eingebracht wird, bestehen. Als bemerkenswerte Beispiele entstanden ab dem späten 18. Jahrhundert in Weilburg an der Lahn Wohnhäuser mit bis zu sechs Stockwerken und in Finsternthal (Gemeinde Weilrod) eine heute zum Wohnhaus umgebaute Scheune.

Scheune in Finsternthal


Scheune in Pisébauweise im Finsternthal (Gem. Weilrod), 19. Jhdt., heute Wohnhaus

Nach den Römern, die Mauerziegel verwandten und ihre Dächer mit großformatigen, kuchenblechgroßen Dachziegeln (Leistenziegeln) deckten, gab es über Jahrhunderte in unserem Raum keine Ziegel. Burgen, Kirchen und Wehrbauten wurden massiv aus Natursteinen errichtet, Wohnhäuser, Scheunen, Ställe und Schuppen dagegen aus Fachwerk erbaut, deren Gefache mit Strohlehm ausgefüllt wurden. Die Dächer der Massivbauten bestanden aus Naturschiefer. Das gilt auch für Oberhöchstadts 1722/23 erbaute Kirche. Holzhäuser wurden mit Stroh oder Holzschindeln gedeckt. Die Verwendung von gebrannten Steinen war ab dem späten Mittelalter eng mit dem Brandschutz verbunden.

Das Wohnhaus aus der Zeit der fränkischen Landnahme im frühen Mittelalter kannte nur eine einzige Feuerstätte, das Herdfeuer. Das war so bezeichnend für das Heim einer Familie, daß man die Größe einer Siedlung mit der Anzahl der Herdfeuer umschrieb. Der Schornstein war bis ins späte Mittelalter weitgehend unbekannt. Gekocht und gebraten wurde auf offenem Herdfeuer. Der Herdrauch des offenen Feuers in der Küche zog über eine Esse gemächlich durch den hohlen Dachraum unter dem First durch eine Öffnung in der Giebelspitze ab. Auf diese Weise wurde gleichzeitig tierischen und pflanzlichen Schädlingen das Leben schwer gemacht. Der langsam aufsteigende Rauch konnte kaum Funkenflug ermöglichen, der den lange dominierenden Strohdächern gefährlich werden konnte. Mit der Erfindung geschlossener Feuerstätten in Form von Öfen ging die Errichtung von Schornsteinen in der Regel bis ins 16. Jahrhundert in den Städten einher, während auf dem Land das Rauchhaus noch länger erhalten blieb. Die langen noch hölzernen und mit Lehm ausgekleideten Schornsteine erzeugten mit ihrem starken Sog auch Funkenflug bis über die Dächer, der beim bisherigen Rauchhaus nicht vorgekommen war. Verheerende und oftmals ganze Siedlungen zerstörende Brände waren die Folge. Daher mußten Brandschutzmaßnahmen ergriffen werden. Eine davon war das harte Dach aus Schiefer oder Ziegeln, eine andere waren Regelungen zum Bau von Schornsteinen. Frankfurt erließ zwischen 1418 und 1455 allein fünf Verordnungen für den Bau von Schornsteinen. 1578 wurden in Frankfurt steinerne Schornsteine zur Pflicht.

Feierabendziegel



Mit der völligen oder teilweisen Abkehr von der Holzbauweise setzten sich in Süd- und Westdeutschland im städtischen Bereich eher und regional unterschiedlich Fachwerkbau und Bruchsteinmauerwerk durch, im Norden hingegen die Backsteinbauweise bis zur künstlerischen Vollendung. In Norddeutschland begegnen wir ebenfalls Fachwerkbauten, deren Gefache mit Backsteinen ausgemauert sind. Doch auch in Mittel- und Süddeutschland wurden Dachziegel und Backsteine gebrannt. Das Wasserschloß von Babenhausen (Kreis Darmstadt-Dieburg) aus der Stauferzeit ist ein Beispiel für einen markanten frühen massiven Backsteinbau in Südhessen. Auf dem Lande herrschte in unserer Region bis ins 19. Jahrhundert der Fachwerkbau vor. Massiv wurden lediglich Kirchen, Burgen und nicht immer Herrenhäuser oder größere Hofanlagen gebaut.

Deutlich ist dies zum Beispiel in Kronberg zu erkennen, das 1330 zur Stadt erhoben wurde. Hier wurden die Kirchen, die Amtsgebäude, die Stadttürme und die Hauptgebäude der Burg massiv aus heimischem Naturstein errichtet und mit Schiefer gedeckt, während die übrigen Häuser aus Fachwerk bestehen und mit Ziegeln gedeckt sind.

Pfarrscheune in Oberhöchstadt

Pfarrscheune in Oberhöchstadt
 

Der Fachwerkbau ist ein Holzskelettbau und erreichte seine Blütezeit im 16. und 17. Jahrhundert. Fachwerkbauten des 18. und 19. Jahrhunderts bestehen im Gegensatz zum vielgestaltigen Zierfachwerk der Periode zuvor aus konstruktivem Fachwerk und wurden verputzt. Der Fachwerkbau entwickelte sich sowohl im

Konstruktionsprinzip als auch in der Art der Gefachfüllung regional unterschiedlich. Man unterscheidet grob einen norddeutschen, mitteldeutschen und oberdeutschen (auch niedersächsischen, fränkischen und alemannischen) Fachwerkbau. Das mitteldeutsch-fränkische Fachwerk zeichnet sich mit seinem Formenreichtum im Balkengefüge besonders aus und bewahrt eine frühe Technik, Wände mit dem Baustoff Lehm zu errichten. Bei der Lehmausfachung der Fachwerkfelder war es üblich, in die Flanken des Gebälks Nuten einzukerben, in die die senkrechten Stakhölzer - schlanke, an beiden Enden zugespitzte Holzscheite - eingezwängt wurden. Mit biegsamen, eingewundenen Ästen, den Ruten, entstand so ein Geflecht, das als Untergrund für den Bewurf mit angeteigtem Lehm diente, der zur besseren Haltbarkeit mit Stroh vermischt wurde. Für die Aussteifung der Wand wurden Verstrebungen erforderlich, die in den unterschiedlichsten Formen auch dem Schmuckbedürfnis gerecht wurden. Lange, gebogene Fußstreben bis zum Halsriegel bilden mit den Kopfwinkelhölzern und den aufwärts gerichteten Gegenstreben die "Mannfigur", bezeichnend für das Fachwerk im Bereich des fränkisch-mitteldeutschen Fachwerks. Die Raumaufteilung im Innern des Hauses, als Zone bezeichnet, ist von außen sichtbar.

Das Fachwerk unserer Region benötigt für die Füllung der Fächer, für den Estrich und die Decken einschließlich verzierter Lehmstuckdecken größere Mengen von Lehm. Es gab den eigenen Beruf des Kleibers für all diese Aufgaben. Auch der gleichnamige Vogel (Sitta europaea) weiß geschickt mit dem Baustoff Lehm umzugehen. Wenn er eine Nisthöhle eines größeren Vorgängers übernimmt, verkleinert er sie mit einer Mischung aus Lehm und Speichel, die später aushärtet, auf das ihm passende Maß. Als die Herrenmühle in Oberursel im Jahr 1645 mitsamt vielen anderen Gebäuden von französischen Truppen niedergebrannt worden war, konnte in Kirdorf bei Bad Homburg eine Fachwerkscheune erworben, abgebaut und in Oberursel wieder errichtet werden. Dabei übernahmen Oberhöchstadter Kleiber die erforderlichen Arbeiten.

Die Städte unserer Region blieben mit geringen Ausnahmen im Gegensatz zu anderen deutschen Landschaften bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert Fachwerkstädte. In Frankfurt verlangte die 1578 in Kraft getretene "Reformation" als neue Zivilrechtskodifikation, daß zumindest das Erdgeschoß zur Straße hin gemauert sein sollte, 1711 folgte nach dem Brand der Judengasse die Auflage, das gesamte Erdgeschoß aus Stein zu bauen. Fürstprimas Karl von Dalberg ordnete 1809 an, Neubauten völlig massiv auszuführen, nachdem die ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts errichteten Neubauten aus verputztem Fachwerk bestanden hatten.

Zwänge zur Ziegeldeckung sind allerdings schon seit dem Mittelalter belegt. Insbesondere in den Städten setzten die Obrigkeiten Dächer aus Ziegeln oder Schiefer ab dem 14. Jahrhundert durch, und verboten in zunehmendem Maße Stroh-, Reet- und Schindeldächer. Frühe Belege stammen aus Nürnberg (14. Jahrhundert), Straßburg (1394), Basel (1417), München (1489) und Kreuznach (1495), während erste Strohdachverbote in Nord- und im nördlichen Mitteldeutschland oft erst sehr viel später verhängt wurden, wie in Köln (1605), Berlin (1691) und Kassel (1732). Ab 1764 galt das Strohdachverbot auch für die hessen-kasselischen Landstädte. Die Stadt Kronberg verfügte 1432 die Ziegeldeckung.


Scheune mit gebrannten und ungebrannten Steinen


Scheune in Kronberg mit gebrannten und ungebrannten Steinen, 18. Jhdt.


Feierabendziegel von Ludwig Sachs 1684

In Frankfurt a. M. waren seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert Ziegler anzutreffen und wurden 1290 erstmalig genannt. Unklar ist, ob sie Ziegler, Ziegeldecker oder beides waren. Von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis ins frühe 16. Jahrhundert bewegte sich ihre Anzahl zwischen einem und vier. Während die Dächer der Privathäuser in Frankfurts Nachbarstädten mit Ziegeln in der Form des Biberschwanzes gedeckt wurden, zogen die Frankfurter im Laufe der Zeit Schiefer vor, der ab dem 16. Jahrhundert durchgängig für Dächer, aber auch für Wände und Giebel verwandt wurde, nachdem der Rat ab dem ausgehenden 14. Jahrhundert die Strohdächer zu bekämpfen begonnen hatte. Die Schiefer- oder Steindecker gründeten im 14. Jahrhundert eine Zunft. 1389 sind die ersten Ziegeldecker erwähnt, von denen es in der Mitte des 15. Jahrhunderts fünf gab, die aber weder in einer eigenen Zunft organisiert waren noch eine besondere Bedeutung besaßen, so daß der Rat 1655 feststellte, seit Jahren keinen Ziegeldecker mehr registriert zu haben. Im Jahr 1446 kaufte die Stadt außerhalb Sachsenhausens einen Kalkofen, um dort eine langlebige Ziegelhütte anzulegen. Nachdem der Rat noch 1362 städtische Neubauten mit Stroh hatte decken lassen, machte er 1386 ärmeren Leuten das Angebot, ein Drittel der Kosten für eine Ziegeldeckung zu bezahlen. 1439 folgte das wiederholte Gebot, neu erbaute Häuser mit Ziegeln oder Schiefer zu decken.

Aus dem Vortaunus haben sich Ziegel und Backsteine aus einzelnen älteren Gebäuden in Oberrosbach, Köppern (Köhlermühle), Oberstedten, Burgholzhausen und dem 1995 abgebrochenen, in Fachwerkbauweise errichteten Herrenhaus des Unterhofes in Ober-Eschbach erhalten. Manche davon sind mit Stempeln versehen. Für die Ausmauerung von Gefachen beim Fachwerk wurden Backsteine genutzt; für Getreideschuttböden konnten Bodenplatten des 17. und 18. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Diese Ziegel stammten mit großer Wahrscheinlichkeit aus nahe gelegenen Ziegelöfen. Im 18. Jahrhundert begann man ähnlich wie in Norddeutschland, Gefache beim Fachwerk mit Backsteinen auszumauern. In Kronberg sind noch einige Beispiele wie der Neubau der 1786 abgebrannten und heute als Wohnhaus genutzten Spitalscheune erhalten, deren Gefache nicht mehr gestakt und mit Strohlehm ausgefacht, sondern mit flachen Backsteinen ausgemauert wurden. Im 19. Jahrhundert setzte sich in den Städten und Dorfern gleichermaßen der Backsteinbau durch. Im großherzoglich-hessischen Dorf Nieder- Eschbach wurden nach 1830 errichtete Neubauten teils noch mit Fachwerkobergeschoß, in einem Fall mit Lehmsteinen ausgemauert, aber auch aus Back- und Bruchsteinen erbaut und grundsätzlich mit „Plattziegeln", also Biberschwanzziegeln, gedeckt. Im Jahr 1887 meldete der Kreisarzt des seit 1886 bestehenden Kreises Höchst, daß in seinem Sprengel die älteren Häuser in Fachwerkbauweise und die jüngeren massiv aus Feldbacksteinen errichtet worden waren.

Feierabendziegel: jeder ist ein Original

Feierabendziegel mit Verzierungen

Deckungsarten

Deckungsarten Spließdach, Doppeldach und Ritter- oder Kronendach
 

Die überwiegende Form der Flachziegel, auch Plattziegel genannt, ist der Biberschwanz-Ziegel. Die Ausbildung des Ziegelfußes, der das Erscheinungsbild eines Daches bestimmt, hat sich seit dem ersten Aufkommen im 11. Jahrhundert mehrfach gewandelt. Zunächst war der Gradschnitt mit geraden oder gerundeten Ecken, später in gotischer Zeit der spitzwinklige Zuschnitt beliebt. Der Rund- oder Bogenschnitt ist aus dem 16. bis 18. Jahrhundert bekannt, der vom Segmentschnitt in der Zeit des Barocks abgelöst wurde und bis heute als gängigste Form Verwendung findet. Wie die 1684 gefertigten und unversehrten Feierabendziegel aus Oberursel belegen, stehen sie keineswegs hinter der Dachdeckung aus Naturschiefer zurück, dem man üblicherweise längere Dauerhaftigkeit zugesteht. Noch heute sind deshalb auf vielen Dächern die besonders schönen Biberschwänze mit dem Schuppenschnitt zu sehen. Dabei ist der Durchmesser des Rundbogens etwas geringer als die Breite des Ziegels, so daß kleine Ecken zu beiden Seiten des Fußes entstehen.
Ziegel Firsthaube

Firsthaube von Anton Sachs 1772
 

Drei verschiedene Deckungsarten sind mit Biberschwanzziegeln möglich. Die sparsamste ist das Spließdach, die übliche das Doppeldach, außerdem das Ritter- oder Kronendach. Die Dachlandschaft unserer Region wird noch immer von der Doppeldeckung bestimmt. Um den Halbverband der Ziegel an der Giebelkante, dem sogenannten Ortgang, zu ermöglichen, wurden Sonderformate hergestellt, die die anderthalbfache Breite aufwiesen, wie sie noch heutzutage Verwendung finden. Eine Sonderform wurde für die Eindeckung des Dachfirstes entwickelt. Die Firsthauben wurden nebeneinander angeordnet und deren Fugen mit einem darüber gelegten Mörtelwulst geschlossen. Sie sind heute noch gelegentlich auf alten Scheunen zu finden.

Eine Besonderheit in unserer Region ist die Nassauische Deckung mit einer Umrandung der Biberschwanzziegel mit Schiefer. Sie dürfte wohl im 19. FeierabendziegelJahrhundert während der Zeit des Herzogtums Nassau entstanden sein. Dabei ändert sich das Material bei der Ausführung von First und Ortgang. Naturschiefer ersetzt den roten Ton der gebrannten First- und Ortgangziegel bei einzelnen Bauten außerhalb der Altstädte. Die lebendige, aber geschlossene Dachlandschaft aus roten Ziegeln, über Jahrhunderte das Stadtbild prägend, wird bei Neueindeckungen empfindlich gestört. Das 1609 von den Rittern von Kronberg als den Stadtherren und der Kronberger Bürgerschaft errichtete und 1611 um einen Anbau erweiterte Spital in Kronberg ist ein hervorragender Fachwerkbau der Renaissance und gehört zu den bemerkenswertesten Gebäuden der Kronberger Altstadt. Bei einer gründlichen Sanierung im Jahre 2006 erhielt das Spital in Kronberg erstmals in seiner vierhundertjährigen Geschichte auch ein neues Erscheinungsbild. Die Dachfläche aus roten Biberschwänzen wird nun eingerahmt durch einen First und einen Ortgang aus Naturschiefer und ist zu einem Fremdkörper in der geschlossenen Dachlandschaft der historischen Altstadt von Kronberg geworden.

Eine behutsam ausgeübte Denkmalpflege hat den Lehm als Baustoff längst wieder entdeckt. Es gibt inzwischen einen Markt für Lehmsteine. Damit verbunden ist auch die Rückbesinnung auf alte Techniken, die noch in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts angewandt wurden, als ein Bau noch so errichtet wurde wie in den Jahrhunderten zuvor.

Gebrannter Kalk wurde gelegentlich noch auf der Baustelle gelöscht und eingesumpft, Grubenkies wurde zur Baustelle geliefert, der erforderliche Sand zur Herstellung von Mörtel gewonnen, indem er durch ein schräg stehendes Sieb, den Durchwurf, gesiebt wurde. Das Mischen des Mörtels erfolgte durch Handarbeit in einer Mörtelpfanne. Gerüste wurden aus Rundholz erstellt, das zuvor im Wald als Stangenholz gefällt wurde, um es dann mit einem Pferdefuhrwerk an die Baustelle zu transportieren. Backsteine, aber auch aus Bims gefertigte Hohlblocksteine für Außenwände und Schwemmsteine für Innenwände fanden Verwendung. Eine Neuerung waren bereits aus den Trümmern des zerbombten Frankfurt von der Trümmerverwertungsgesellschaft Frankfurt am Main (TVG) geformte großformatige Schwerbetonsteine, die beim Errichten von Kellermauerwerk rationelleres Bauen ermöglichten. Geschoßdecken wurden wie seit altersher aus Holzbalken hergestellt, die vom Zimmermann geliefert und eingebaut wurden. Selbst Strohlehm wurde auf der Baustelle angeteigt. Damit wurden die Wandschlitze verschlossen, in denen zuvor Heizungsrohre installiert wurden. Aus Sand, Kalk und Gips wurde der Mörtel für den Innenputz gemischt, für Rabitzdecken Kuhhaare zugegeben, um Rißbildungen zu vermeiden. Bestandteile des Feinputzes als Oberputz waren neben Feinsand, Kalk und Gips auch Lehm. Der Anstrich von Kellerwänden und Außenfassaden erfolgte mit Kalkmilch, oft unter Zusatz von Leinöl. In Bayern hat sich die Verwendung von Sumpfkalk für Hausfassaden und Ställen verschiedentlich noch bis heute erhalten.

In den Jahren ab 1950 setzte mit dem Wirtschaftswunder zunehmend die Rationalisierung im Bauwesen ein, um die ärgste Wohnungsnot der Nachkriegsjahre zu beheben. Maschineneinsatz und Verbesserung der Arbeitsbedingungen förderten den Wohnungsbau. Aber auch Neufassungen der DIN-Normen trugen dazu bei. So wurde z. B. das bisherige Reichsformat des Mauerziegels von 25 x 12 x 6,5 cm auf das DIN-Format 24 x 11,5 x 7,1 cm verbessert. Mit den vielen notwendigen und sinnvollen Verbesserungen ging aber auch eine Abkehr von traditionellen Baumaterialien und deren Verarbeitungstechniken einher. Zudem wollte man sich auch ganz bewußt vom Bisherigen trennen. Erst die Rückbesinnung auf alte Baukultur führte in den 70er Jahren zur Gründung vieler Denkmalschutzvereine und -Institutionen. Im Jahr 1974 wurde das Hessische Gesetz zum Schutze der Kulturdenkmaler geschaffen. Zu diesem Zeitpunkt aber waren traditionelle Handwerkstechniken bei der Ausbildung von Facharbeitern unter Verwendung "natürlicher" Baumaterialien in Vergessenheit geraten, erwachen aber im Sinne einer behutsamen Denkmalpflege zu neuem Leben.

Feierabendziegel aus Kronberg

Feierabendziegel aus Kronberg, einer mit Monogramm AM S = Anna Margareta Sachs
 

Fast jede unserer alten Städte hat im Lauf ihrer Geschichte zum Teil verheerende Brände erlebt, die oft nicht Folge von Kriegen und Belagerungen waren, sondern in der engen Bebauung und den dabei verwendeten Materialien begründet waren. In Kronberg sind allein aus dem 18. Jahrhundert Großbrände in den Jahren 1726, 1780, 1786 und 1792 belegt. 1726 brannten 119 Häuser nieder, 1780 u. a. das bekannte Gasthaus zum Adler, 1786 u. a. die Spitalscheune. Daher hat es schon früh Bemühungen um vorbeugenden Brandschutz und Feuerlöscheinrichtungen gegeben. Einen Anstoß zur Gründung von handwerklichen Zieglerbetrieben in Oberhochstadt gab die kurmainzische Feuerassekuranzordnung vom 15. Juli 1780, die für Kurmainz eine Brandkasse schuf. Weil Häuser mit Dächern aus Stroh, Rohr oder Holzschindeln besonders brandgefährdet waren, wurden sie mit 125 % ihres Wertes in die von nun an angelegten Brandkataster eingetragen, Schäden aber nur mit 100 % vergütet. Neubauten sollten mit Ziegeln oder Schiefer gedeckt werden. Die kurmainzische Feuerassekuranzordnung war nicht die erste ihrer Art. Schon 1751 bestanden in Nassau-Weilburg Überlegungen, wie Brandgeschädigten gemeinschaftlich Hilfe geleistet werden konnte, und führten 1767 dazu, daß ein Drittel des Schadens über eine Brandsteuer entschädigt werden sollte. Nach Studien der Brandkassenordnungen von Braunschweig-Wolfenbüttel von 1753 und Preußen von 1755 richtete Nassau-Oranien 1774 eine Brandkasse mit Zwangscharakter für private Gebäude ein, in der auch öffentliche Gebäude und Kirchen freiwillige Mitglieder werden konnten. 1767 und 1777 führte Hessen-Kassel Brandkassen ein. Kurtrier folgte 1783 zunächst mit einer freiwilligen Brandkasse und 1788 mit einem Zwangsinstitut. Am 12. Januar 1771 verbot Hessen-Homburg das Decken mit Stroh und Schindeln, an deren Stelle Ziegel und Schiefer treten sollte.

Kollergang, Zeichnung um 1730

Kollergang mit Göpelantrieb, Rötelzeichnung um 1730

Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 fielen die kurmainzischen Besitzungen im Taunus an Nassau-Usingen, das ab dem 31. Juli/30. August 1806 mit Nassau-Weilburg zum Herzogtum Nassau vereinigt wurde. Fürst Friedrich August von Nassau-Usingen, ab 1806 Herzog, setzte am 17. Januar 1806 für seinen Landesteil eine Brandversicherungsordnung in Kraft. Alle Gebäude mit Ausnahme von Pulvermühlen, Edelmetallscheideanstalten, Glas-, Ziegel- und Töpferhütten sowie Porzellan- und Fayencefabriken, Siedehäuser und Salinen, Salmiak- und Salpetersiedereien sowie benachbarte Wohnhäuser sollten versichert und zur Erfassung der Gebäude Brandkataster angelegt werden, von denen für Oberhöchstadt keines erhalten ist. Wie ihre Vorgängerinnen, so sah auch diese Ordnung die besondere Feuergefahr, die von Schindel-, Rohr- und Strohdächern ausging. Diese wurden zunächst nur aufgenommen, wenn die Eigentümer bei vollem Beitrag im Schadensfalle nur zu 75% entschädigt wurden. In der Ergänzung vom 28./29. Dezember 1807 - jetzt für das gesamte Herzogtum - wurde diese verringerte Entschädigung wieder aufgehoben, doch sollten derart brandgefährdete Dächer bei Neudeckungen möglichst vermieden werden. Doch schon am 8. Mai 1809 verschärfte Nassau die Bestimmungen, verbot die Anlage neuer Strohdächer und ließ dabei höchstens begründete Ausnahmen zu. Die Behörden des Landes wurden angewiesen, darauf zu achten, daß nur Bedürftige ihre Dächer noch mit Stroh decken durften.
Fertigungssprogramm

Fertigungsprogramm:
Lehmstein, Backstein, Firstziegel, Bodenplatte, Biberschwanz

Biberschwanzform

Biberschwanzform (Schuppe) aus Buchenholz, mit Eisen beschlagen, 20 x 40 cm; aus der Ziegelhütte Dinges in Oberhöchstadt

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Und: Denken Sie an “F11 - ganzer Bildschirm”.