Abstieg der Fürsten beunruhigt die Region
Die Familie zu Ysenburg und Büdingen hat den Stammsitz mit Arbeit und einem kulturellen Wahrzeichen versorgt - jetzt droht der Ruin
VON ANITA STRECKER (BÜDINGEN)
 

„Der Fürst kommt." Ein Satz, der ehrfürchtige Schauer über den Rücken jagt. Die Mittfünfzigerin aus Wächtersbach-Leisenwald spürt es „noch wie heut" wie sie als Kind „vor Respekt erstarrt ist", wenn vom Fürsten die Rede war. Vom Fürsten im trutzigen Schloß zu Büdingen. Dem die ganze Welt gehörte. Zumindest die um Leisenwald: von Wächtersbach bis Birstein, von Büdingen bis Gelnhausen. Samt dem riesigen Wald, der die Landschaft zwischen Main-Kinzig, Wetterau und dem Vogelsberg bestimmt. „Gehört dem Fürsten." Ebenso Schlösser und Burgen und die großen Höfe rundherum. In Wächtersbach, Gettenbach, Meerholz, die Ronneburg, den Weyerhof, den Christinenhof, das Forsthaus in Rinderbügen - „alles dem Fürsten". Der Fürst war wie König Drosselbart für das Mädchen aus Leisenwald. „Alles war seins."

Einmal im Jahr ist der adlige Großgrundbesitzer über die Dörfer gezogen. Der Alte. Otto Friedrich Fürst zu Ysenburg und Büdingen. Vater des „heutigen", so glücklosen Schloßherren Wolfgang Ernst und dessen Frau Leonille, geborene Sayn Wittgenstein. „Durchlaucht" wurde der alte Otto Friedrich noch genannt, obwohl es den Adelsstand seit 1919 nicht mehr gibt. Er war trotzdem „der Fürst". Schloßregent bis 1990, als er 86-jährig starb. Otto Friedrich ist einer, mit dem man reden kann, haben die Erwachsenen damals immer gesagt. Die Leisenwalderin hat es noch im Ohr. Ihr Vater, gut über 80, nickt. „Der war der Patriarch, der hat sich um alles gekümmert."

Jobs in Keramikfabrik und Sägewerk

Und er hat den Kleinbauern aus der Gegend Arbeit gegeben: im 10.000 Hektar großen Forst. Im Sägewerk. In der Keramikfabrik in Schlierbach. Im Basaltsteinbruch. In der fürstlichen Brauerei in Wächtersbach. In der Möbelfabrik in Eisenhammer. In der Gärtnerei in Büdingen, der Pflanzenzuchtstation in Wächtersbach, wo die eigenen Waldbäume gepäppelt wurden, ehe sie Frauen aus der Gegend gepflanzt haben: „Wir gehen auf die Schanz", hieß das damals.

Mitte der Fünfziger hat auch der Leisenwalder beim Fürsten angeheuert. Damals hatten Stürme weite Waldflächen umgefegt. „Zwischen Gettenbach und Wittgenborn hat alles dagelegen." 600 Mann aus der Umgebung schufteten Tag für Tag im Wald. Sogar eine Arbeitskolonne aus Österreich wurde eingesetzt. „Damals hat der Fürst gewaltige Summen mit dem Holz erwirtschaftet." Und heute? Alles dahin. Der Forstbetrieb in Konkurs, das Fürstenhaus pleite.

Der Abstieg zeichnet sich seit Jahren ab. Die Brauerei ist längst verkauft und stillgelegt, bald sollen Wohnungen auf dem Gelände entstehen. Die Möbelfabrik ist geschlossen, seit Januar auch „die Keramik" in Konkurs. Immerhin 250 der einst 300 Arbeitsplätze scheinen fürs Erste gesichert. „Trotzdem haben die Leute Angst, wie's weiter geht", sagt die Leisenwalderin. Viel zu holen scheint nicht mehr: Die Schlösser, Gutshöfe und Anwesen hat die klamme Fürstenfamilie schon verscherbelt oder sie verfallen langsam. Verkauft sind kostbare Roentgen-Möbel und Bibliotheksbestände aus dem Büdinger Schloß, auf dem gleichfalls ein Berg von fünf Millionen Euro Schulden lasten soll.

Wie der millionenschwere Besitz binnen weniger Jahren zerrinnen konnte? Wolfgang Ernst zu Ysenburg Büdingen gibt „keine Stellungnahmen dazu ab", heißt es im fürstlichen Sekretariat. Gleiches ist auch vom Anwalt der Familie zu hören. Und die, die Näheres wissen müßten, mögen zumindest öffentlich nichts sagen: langjährige Leiter des Forstbetriebs oder des Archivs, Leiter der Rentkammer, der Verwaltungszentrale für alle fürstlichen Unternehmen. Über die Fürstenfamilie spricht man nicht - zumindest nicht namentlich in der Öffentlichkeit. Obwohl man sich natürlich viel erzählt, zig Erklärungen liefert: großspuriger Lebensstil, Fehlinvestitionen im Osten, glücklose Geschäfte in Südamerika, Fehlspekulationen. „Es kursieren viele Gerüchte, Genaues weiß niemand", sagt die Leisenwalderin, die ihren Namen gleichfalls nicht in der Zeitung lesen mag. Sicher ist nur: Die Fürstenfamilie steht vorm Ruin. Dabei hatte der alte Fürst lange vor seinem Tod eine vermeintlich sichere Zukunft geregelt: Seinen ältesten Sohn, Wolfgang Ernst, der bereits in den 70ern geschäftliche Mißerfolge verschmerzen mußte, drängte er 1977 zum Erbverzicht zugunsten dessen Sohnes Casimir-Alexander. Der heute 38-Jährige sollte der künftige Fürst werden. Zwei weitere seiner Kinder fand Otto Friedrich ab, die übrigen beiden Söhne sowie Enkel Casimir-Alexander bilden seit 1977 eine Erbengemeinschaft und wurden neben dem „Alten" Teilhaber fürstlicher Unternehmensgesellschaften. Sie sollten verhindern, was in der Vergangenheit immer wieder die Wirtschaftskraft des Hauses bedroht hatte: Schwäche durch Erbteilung.

    Gut 800 Jahre lang haben die Menschen rund um Wächtersbach und Büdingen von und mit den Fürsten Ysenburg und Büdingen gelebt. Sie arbeiteten im fürstlichen Forst, in den fürstlichen Betrieben, im Schloß schlummert das Gedächtnis der Region. Jetzt steht die Familie vorm Ruin.

 

VERARMTER ADEL
Die Finanznot der Fürsten zu Ysenburg und Büdingen und ihre Folgen für die Allgemeinheit. Eine Kurzserie der FR.

 

Doch die Erben erwiesen sich als glücklose Unternehmer, zumal Hoffnungsträger Casimir- Alexander seinen „kalt gestellten" Vater Wolfgang Ernst per Generalvollmacht de facto doch zum Fürsten und Chef des Familienimperiums machte. Zum Chef vieler Fehlentscheidungen, wie ein Architekt kommentiert, der „viel fürs Fürstenhaus gebaut hat" und deshalb ungenannt bleiben mag. Einbrüche in der Holzwirtschaft, schlechte Berater, Fehleinschätzungen von Entwicklungen und in den Sand gesetzte Bauprojekte im Osten zählt er als Gründe auf.

Wie's weiter geht? Schulterzucken. Mehr fällt auch Einheimischen auf den Straßen nicht ein. „Es ist ein Jammer, wie alles kaputt geht", sagt eine Frau, die ihren Namen lieber für sich behält. Schloß und Park, die alte Postkutschenstation, die Schloßmühle: früher beliebtes Lokal, „jetzt steht sie leer und wird wohl auch verfallen". Aber Büdingen ohne Fürst und Schloß? „Das wäre eine furchtbare Amputation." Für Willi Luh, Leiter des Heusonmuseums in Büdingen, steht das Erbe der ganzen Region auf dem Spiel. Notfalls müsse das Land einspringen, das „einzigartige Kulturgut" zu retten. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat nach dem Schloßkauf zu Erbach jedoch schon abgewunken: Hessen hält sich in Büdingen raus.

 

Trotz leerer Kasse repräsentiert Wolfgang Ernst zu Ysenburg in der Büdinger Gesellschaft nach wie vor den Fürsten.

FÜRSTENIMPERIUM ZU YSENBURG UND BUDINGEN

- Otto Friedrich Fürst zu Ysenburg und Büdingen (1904 bis 1990) konnte die Jahrhunderte währende Teilung des Hauses Ysenburg in die Linien Meerholz, Wächtersbach und Büdingen überwinden. Der Meerholzer Zweig war mangels männlichen Nachwuchses den Wächtersbachern zugefallen, dem Stammhaus Otto Friedrichs. Als auch der Büdinger Fürst Carl (gestorben 1941) keinen Sohn zeugte, adoptierte er den Wächtersbacher Neffen Otto Friedrich. Familienbesitz, Kulturgüter der ganzen Region und der dreigeteilte, rund 10.000 Hektar große Forst wurden zum zweitgrößten Waldbesitz Hessens vereint.

- Stammsitz der Fürstenfamilie wurde 1943 das Schloß in Büdingen. Otto Friedrich zog mit seiner Familie vom preußischmodernen Wächtersbach ins eher rückständige, traditionell geprägte Büdingen, das zu Hessen gehörte.

- Als moderner Großunternehmer führte der gelernte Forstwirt Otto Friedrich moderne Betriebsstrukturen ein: Ende der 80er wurde der Wald in den Forstbetrieb zu Ysenburg GBR überführt, Kulturgüter wie Schloßmuseum, Bibliothek und antikes Mobiliar der Kulturgut GBR zugeschlagen, Liegenschaften und sonstiges Vermögen flossen in die Kameralvermögen GBR Fürst zu Ysenburg Büdingen. ANA

Frankfurter Rundschau - 25.3.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Also, ehrlich: mir kommen da die Tränen. “Abstieg der Fürsten” - gibt es da keine Vorgeschichte, keine Begleiterzählungen? Bei all den Leuten, die auch heute nix sagen wollen, liebe Frau Strecker?
Webmaster

Eine andere Betrachtung lasen Sie hier! Doch diese FR-Seite gibt es nicht mehr.

Noch viel mehr Detail-Informationen über die Behandlung von Recht und Gesetz durch die “Ysenburger” finden Sie hier. Das Lesen lohnt für jeden, der weiß, daß das Vergangene noch lange nicht vergangen ist.
Aber der Steuerzahler von heute kommt immer noch für die “Fürsten” auf. Ungefragt. Ehrensache.
Ungefragt? Wie immer. Es hat sich nichts geändert.

Lesen Sie auch über den Büdinger Wald! und die verhinderte Fürstenenteignung. Vorbei. Aber gründlich.

Noch “hintergründiger” über die Fürstenenteignung: hier!

Abstimmungs-Ergebnisse über den Volksentscheid in Eschborn und im Landkreis Höchst lesen Sie hier!