Börnes Bürde
Die wechselhafte und lange verdrängte Geschichte des ehemaligen Judenmarkts

Von Anne Lemhöfer

"Nächste Haltestelle, Börneplatz." Das sagen die Bandstimmen heute in den Straßenbahnen 10 und 11 und in den Bussen 30 und 36. „Nächste Haltestelle, Börneplatz." Viel anders als „Nächste Haltestelle Dom Römer" oder „Nächstehaltestellezuckschwertstraße" klingt das nicht, doch was so lapidar daherkommt, ist eine Geschichte für sich - es ist die Geschichte der schwierigen Auseinandersetzung Frankfurts mit seiner jüdischen Geschichte.

Den Börneplatz, benannt nach dem jüdischen Schriftsteller und Journalisten Ludwig Börne, sieht man nicht, wenn man an der Stelle aus dem Straßenbahnfenster schaut, an der die Durchsage kommt. Draußen rauscht nur der Verkehr der vierspurigen Kurt-Schumacher-Straße vorbei. Der Börneplatz ist eine Adresse, aber er ist kein Platz. Man muß schon aussteigen, und sobald man das tut, ist man mitten in der Geschichtsstunde.

Wer in die Rechneigrabenstraße einbiegt, steht als erstes vor fünf blauweißen Straßenschildern neben einer Freifläche aus losen Steinen. Auf dem ganz links steht „Neuer Börneplatz", so heißt dieser Platz seit dem 16. Juni 1996. Danach kommt das Schild „Börneplatz", das war der Name von 1978 bis 1987, von 1835 bis 1978 war das der „Dominikanerplatz" und vorher, vom 16. Jahrhundert an, der „Judenmarkt". Ein Straßenname, der sich fünfmal ändert, erzählt in diesem Fall viel: von Ausgrenzung, Verfolgung, Vernichtung, Wiederaufbau und schmerzhaftem Erinnern - und von der beharrlichen Weigerung, sich zu erinnern.

Die Frankfurter Judengasse war das von 1462 bis 1796 bestehende jüdische Ghetto - sowohl das erste, als auch das letzte seiner Art in Deutschland. Die auf ihrem Verlauf angelegte Börnestraße blieb ein Zentrum jüdischen Lebens, weil sich hier die liberale Hauptsynagoge und die orthodoxe Börneplatz-Synagoge befanden. Die Judengasse, der Börneplatz: Leerstellen der Erinnerung. Ein lange verdrängtes Stück Stadtgeschichte, das mit Verfolgung, Deportation und Vernichtung der meisten jüdischen Frankfurter endete. Und Jahrzehnte wie ein städtebauliches Vakuum blieb.

Ruppigkeit und Rüdigkeit

Bis zum 23. Januar 1986, als in einer Sitzung der Stadtwerke beschlossen wird, einen Verwaltungs-Neubau am Börneplatz nach den Plänen des Architekten Ernst Gisel anzustreben, auch wenn klar ist, daß bei einem solchen baulichen Eingriff Reste des jüdischen Ghettos zutage treten und zerstört würden. Die Schriftsteller Eva Demski und Valentin Senger sind die ersten, die protestieren. „Ich glaube, daß die Ruppigkeit und Rüdigkeit, mit der mit diesem Platz umgegangen wird, auch was mit Verdrängung zu tun hat", sagt Demski am 24. März 1986 im Hessischen Rundfunk. Sie beginnt die Unterschriftenaktion „Rettet den Börneplatz", und übergibt dem Stadtparlament die Liste mit tausenden Unterzeichnern.

Im Mai 1987 stoßen die Bagger auf gut erhaltene Mauern einer Mikwe, einem jüdischen Ritualbad. Im Verlauf der Ausgrabungen, an denen das Museum für Vor- und Frühgeschichte beteiligt ist, treten noch mehr Fundamente in der 7000 Quadratmeter großen

Grube hervor, darunter die Häuser mit Namen Weißer Widder, Roter Widder, Sperber, Steinernes Haus und Warmes Bad. Die Kirchen und zahlreiche Frankfurter fordern einen Baustopp. Den lehnt Oberbürgermeister Wolfram Brück am 27. August 1986 ab. Es gibt die Idee, die Häuser der Judengasse an einem anderen Ort zu rekonstruieren. Einen Tag später gelingt es 30 Demonstranten, mit einer Blockade des Bauplatzes den Abriß weiterer Kellermauern zu stoppen. Im Anschluß an eine Kundgebung ziehen rund 800 Menschen von der Braubachstraße zum Börneplatz.

Graffiti am Bauzaun ziehen eine Linie von mittelalterlichen Pogromen über die Reichspogromnacht der Nazis bis zum Börneplatz-Konflikt. „1462 - 1938 - 1987". Demonstranten und Künstler, bemalen den Zaun um die Grube. Sie tragen Transparente: „Macht ihr der Judenstadt den Garaus, dann braucht's auch kein Goethehaus !" Ein satirisches Flugblatt kursiert, in dem die „Initiative Rettet den Dom" informiert: „Skandal! Dom soll in den Hessenpark!"

Am 2. September 1987 vertreiben Polizisten die Besetzer aus der Baugrube. Das „Museum Judengasse" im heutigen Mainova-Bau stand als Kompromiß am Ende des langen Streits. Im Keller ist die „Archäologie der Judengasse" als eigene Abteilung ausgestellt. An der Rechneigrabenstraße entsteht der „Neue Börsenplatz" als Gedenkstätte. In die Außenmauern des alten jüdischen Friedhofs werden 11.000 Plaketten mit den Namen von im Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Frankfurtern eingelassen. Spaziergänger legen Steine und Kastanien darauf.

FRANKFURT FÜR ANFÄNGER:
BÖRNEPLATZ

Mit dem Abriß der letzten Häuser wurde 1885 die Judengasse in Börnestraße und der Judenmarkt in Bömeplatz umbenannt. Hier war bereits drei Jahre zuvor eine der großen Synagogen Frankfurts errichtet worden. Sie war für den konservativen Teil der Gemeinde bestimmt, der die von der Gemeindemajorität durchgesetzten Reformen in Gottesdienst und Ritus zwar ablehnte, sich aber auch scheute, die alte Einheitsgemeinde zu verlassen und sich der orthodoxen Austrittsgemeinde anzuschließen. Als erster Rabbiner wurde Markus Horovitz an die Börneplatz-Synagoge berufen.

Die Börneplatz-Synagoge wurde am 10. November 1938 wie alle anderen großen Frankfurter Synagogen zerstört. Die Reste wurden auf Kosten der Jüdischen Gemeinde in den Monaten danach abgerissen. 1987 bis 1990 wurden bei Grabungen am Börneplatz auch die Reste der Synagoge freigelegt. Die wenigen erhaltenen Fragmente werden in einer Sonderausstellung im Museum Judengasse präsentiert.

Frankfurter Rundschau - 3.1.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

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