Entschädigungen lösen Welle der Dankbarkeit aus
Nach fast fünf Jahren Recherche sind die Ausgleichszahlungen an rund 5000 frühere Frankfurter Zwangsarbeiter, meist aus Osteuropa, überwiesen.

1057 Euro - das entspricht in Ländern Osteuropas 30 Monaten Rente. 1057 Euro hat die Stadt Frankfurt all denen überwiesen, die in den 40er Jahren zwangsweise in Betrieben oder Behörden schuften mussten.
VON JUTTA OCHS

Erinnerungen an eine furchtbare Zeit: Mancher Zwangsarbeiter hat Tagebuch geführt.

Ende Oktober 2000 haben die Römer-Fraktionen den Beschluss gefasst, eine „Soforthilfe" an Menschen zu zahlen, die zu Zeiten der NS-Diktatur in Frankfurt Zwangsarbeit leisten mussten. Es war die Zeit, da Unternehmen und der Bund die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" gründeten, um Entschädigungen zu regeln.

Die Stadt Frankfurt wollte sich aber auch selbst „der Verantwortung stellen", eine „Geste des Respekts und der Würdigung" an die vornehmlich aus Osteuropa zur Ausbeutung an den Main Verschleppten senden. Und dies möglichst unbürokratisch. 2000 Mark (1057 Euro) sollte jeder erhalten, der als Zwangsarbeiter in hiesigen Unternehmen oder Betrieben geschuftet hat. Man rechnete mit 600 bis 800 Menschen sowie Ausgaben von rund 400 000 Euro.

Das Wort „Soforthilfe" verwendet heute keiner mehr. Denn erst jetzt, viereinhalb Jahre später, kann die Bilanz der Bemühungen der Stadt um ihre ehemaligen Zwangsarbeiter vorgelegt werden. An 5000 Anspruchsberechtigte sind rund fünf Millionen Euro überwiesen worden. In diesen Tagen sollen die letzten 156 Fälle abgewickelt sein. Eine wahre Herkulesarbeit liegt hinter dem Kulturdezernat von Hans-Bernhard Nordhoff (SPD) und dem Institut für Stadtgeschichte. Die Suche reichte über Osteuropa hinaus bis nach England und Frankreich, in die USA, nach Südamerika, Australien, Schweden und Israel, wohin ehemalige Frankfurter Zwangsarbeiter emigriert waren. Und ungeahnte Hürden haben immer wieder die Umsetzung des gemeinschaftlichen guten Willens behindert.

Quelle: Die Hausstandsbücher

Zunächst einmal mussten die Zwangsarbeiter namentlich ausfindig gemacht werden. Doch „Unterlagen der damaligen Arbeitsverwaltung waren im Bombenhagel untergegangen", sagt Kulturdezernent Nordhoff. Was noch aus dieser Zeit vorlag, waren rund 2700 handschriftlich geführte „Hausstandsbücher", die Auskunft über Personen und ihre Unterkünfte geben konnten. Aus diesen Quellen und aus Unterlagen über Arbeiterunterkünfte wurden Namen und Adressen vom Institut für Stadtgeschichte in mühevoller Kleinarbeit erfasst und abgeglichen, berichtet Lutz Becht, Historiker am Institut für Stadtgeschichte.

Das Institut nahm Kontakt zur Bundesstiftung Erinnerung und Verantwortung auf, um über deren Listen Zwangsarbeiter aus Frankfurt aufzuspüren. Ebenso setzte man sich mit den Partner-Stiftungen aus den jeweiligen Heimatländern in Verbindung. Schwierig lagen die Fälle, in denen keine Nachweise wie ein Archivdokument aus der Heimat, ein Eintrag im Hausstandsbuch oder ein Arbeitsbuch vorhanden waren. Das traf insbesondere auf Russland und die Ukraine zu, von wo die meisten der ehemaligen Zwangsarbeiter (2500) kamen. Viele hatten nach dem Krieg die Originaldokumente ihrer Zwangsarbeit vernichtet - aus Angst vor Repressalien in ihrer Heimat.

Doch auch wer keinerlei Unterlagen besaß, hatte laut Becht eine Chance. Die Menschen durften ihre Geschichten erzählen, erinnerten sich an Straßen und Hausnummern, Namen von Unternehmen oder dem Namen ihrer Aufseher, schilderten ihre Arbeitsabläufe und hatten Fotografien vorzuweisen. Von Plausibilitätsprüfungen spricht Nordhoff, mit denen man sich ausdrücklich von streng bürokratischen unterscheiden wollte. Nach einigen Recherchen war klar, dass es sich dabei um mehr als die vermuteten „bis zu 800" Personen handelte: Mehr Menschen als angenommen erfreuten sich eines langen Lebens. Das bedeutete auch, dass der Kämmerer bei diesen Haushaltsmitteln „Soforthilfe" immer wieder einen Nachschlag gewahren musste.

Ausgefeilte Verträge

Ganz wichtig war dann, das Geld den anspruchsberechtigten Personen sicher zukommen zu lassen, sagt Nordhoff. Es meldeten sich plötzlich dubiose Anwälte als „Vermittler", die für 20 Prozent Provision das Geld den Betroffenen „vorbeibringen" wollten. Auch wollte Frankfurt Erfahrungen aus Tübingen vermeiden. Die Stadt hatte für ihre Zwangsarbeiter Geld an eine Bank überwiesen, „die es dann gar nicht mehr gab und der Betrag war verschwunden" berichtet der Kulturdezernent. Mit Hilfe des Rechtsamtes wurden in Frankfurt ausgefeilte Verträge mit den Stiftungen vor Ort geschlossen, um jedes Risiko auszuschließen. An Menschen aus Polen (771) und Tschechien (422) konnte das Geld vergleichsweise zugig überwiesen werden. Weißrussland und die Ukraine folgten etwas später. Die Auszahlungen der Beträge hatte in der Zwischenzeit wegen des stetig steigenden Umfangs das Sozialdezernat übernommen - es hatte Erfahrungen und vor allem die EDV. Die Abwicklung der Zahlungen an die ehemaligen russischen Zwangsarbeiter (rund 800) hat zuletzt die längste Zeit in Anspruch genommen. Da wechselten immer wieder die Vorsitzenden der Stiftung vor Ort, dann gab es devisenrechtliche Komplikationen.

Nach Kiew, Minsk und Prag sind Becht und ein Kollege vom Sozialdezernat, Helmut Stamm, aber bereits gereist, um zu überprüfen, ob das Geld auch die Adressaten erreicht hat. „Das ist hervorragend gelaufen", sagt Becht. Und eine „Welle der Dankbarkeit" sei den städtischen Mitarbeitern entgegen geschlagen. Sie wurden umarmt, immer wieder wollte man ihnen Geschenke reichen. Etwa 30 Monatsrenten entspricht die „Frankfurter Geste". Viele der schon mehr als 80 Jahre alten Betroffenen sind zu Tränen gerührt, dass sie nun doch noch an Kinder und Kindeskinder etwas vererben können. Für viele aber sei das Wichtigste: Ihre Leiden von damals sind nicht vergessen, sagt Nordhoff, und aus dem „Grauen der Vergangenheit ist nach so vielen Jahren etwas Positives geboren".

ZWANGSARBEITER IN FRANKFURT

Rund 25.000 Menschen waren in den 40er Jahren in Frankfurt als Zwangsarbeiter beschäftigt Unter anderem im Garten- und Straßenbau, in Fabriken und Fertigungshallen und am Flughafen. Ohne oder mit sehr geringem Lohn unter zum größten Teil unmenschlichen Bedingungen.

 

Die Anzahl der heute noch Lebenden wollte die Stadt im Jahr 2000 nach dem „Soforthilfe-Beschluss" per Hochrechnung ermitteln. Da es nur die damals sehr Jungen sein konnten, erwartete man 600 bis 800. Tatsächlich aber sind es nach Abschluss der Ermittlungen nun 5000, die am Ende ihres Lebens noch in Genuss der jeweils 1057 Euro aus Frankfurt kommen können.

Ein Besuchsprogramm für ihre ehemaligen Zwangsarbeiter hat die Stadt außerdem aufgelegt.

So ging es Ende 2000 los mit der Suche nach den Menschen, die im Frankfurt der 1940er Jahre Zwangsarbeit leisten mussten. Das Institut für Stadtgeschichte setzte eigens angeheuerte Experten für Osteuropa daran, die Hausstandsbücher auf einschlägige Namen abzusuchen.

Frankfurter Rundschau - 21.6.05 - Bilder von Rolf Oeser - Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Rundschau.
21.6.05

Frankfurter Rundschau:
21.6.05

Was guter Wille zu Gunsten der Zwangsarbeiter vermag, zeigt das leuchtende Beispiel der Stadt Frankfurt am Main.- Webmaster