Goldige Nüstern
In Wiesbaden versuchen Archäologen, die zarte Haut aus Blattgoldresten zu retten

Von Frank Schuster

Behutsam pinselt die Restauratorin den Pferdekopf ein. Angelika Ulbrichs Aufgabe ist es, zu retten, was noch zu retten ist. Allzu viel Blattgold haftet an dem kostbaren Stück, das im vergangenen Sommer nach 2000 Jahre währendem Schlummer aus dem tiefen Schlamm eines antiken Brunnens ans Tageslicht gefördert wurde, nicht mehr dran. Die wenigen noch erhaltenen Reste sind sehr sensibel, sie neigen zu Rissen, haften nur schlecht an dem glatten Bronze-Untergrund, können leicht abbröseln.

Für zwei Jahre verschwindet nun der in Waldgirmes nahe Wetzlar bei Ausgrabungsarbeiten gefundene römisch-antike Pferdekopf in den Restaurierungswerkstätten der Hessischen Landesarchäologie im Wiesbadener Schloß Biebrich. Der mit feinen Äderchen, aufgeblähten Nüstern und Pferdegebiß sehr naturalistisch gestaltete Kopf war zu Zeiten der Varusschlacht (9 n. Chr.) Teil eines lebensgroßen Reiterdenkmals, das nach bisherigen Erkenntnissen sehr wahrscheinlich Kaiser Augustus darstellte. Der Kopf wird international als Sensationsfund gefeiert. Ein so kunstvoll gestaltetes Objekt aus antiker Zeit, das nur aus der Werkstatt eines namhaften römischen Bildhauers stammen kann, ist bislang nördlich der Alpen und östlich des Rheins noch nicht gefunden worden.

„Jetzt finden wir in Hessen schon solch bedeutsame Stücke wie Italien oder Griechenland", sagt Hans-Joachim Gehrke, Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, mit einem Lächeln im Gesicht. Gehrke ist am Dienstag zum offiziellen Beginn der Restaurierungsarbeiten extra aus Berlin angereist.

Römer wollten bis zur Elbe

Der Pferdekopf und die vielen weiteren Fundstücke sowie die gesamte Siedlungsanlage im mittelhessischen Waldgirmes gibt den Fachleuten völlig neue Aufschlüsse darüber, ob Germanien eine dauerhafte Provinz werden sollte wie Gallien. Für Gehrke steht fest: „Die Römer wollten bleiben, sie wollten eine Stadt gründen - diese Geschichte erzählt uns Waldgirmes." Mit der Augustus-Statue hätten die Römer den Germanen zeigen wollen: „Hier stehen wir und von hier gehen wir so schnell auch nicht wieder weg." Rom habe die Ausdehnung  seines  Reiches vom Rhein bis zur Elbe geplant. Wäre nicht die Varusschlacht verloren gegangen, so Gehrke, „dann sprächen wir heute in Deutschland eine romanische Sprache".

Die Experten gehen mittlerweile davon aus, daß in Waldgirmes, wo inzwischen schon 100 Bruchstücke der Reiterfigur gefunden wurden, noch vier weitere Reiterstandbilder gestanden haben müssen. Der Kopf des Reiters ist noch nicht gefunden. Er wird vielleicht auch nie aufgefunden werden, weil die Römer ihre Siedlung vermutlich nach der verlorenen Varusschlacht fluchtartig verlassen mußten und dabei den Großteil ihrer Reichtümer mitnahmen.

Doch dafür, daß es sich bei dem Reiter um Kaiser Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) gehandelt haben muß, spricht nach Ansicht der Experten nicht nur, daß die Figur vergoldet war, sondern auch der zweitbedeutendste Fund, den die Archäologen in Waldgirmes machten: der Schuh des Reiters. Dieser ist so reich verziert, daß es sich, so Gehrke, nicht um den eines einfachen Soldaten handeln könne.

Wo der Pferdekopf und die anderen Original-Fundstücke nach den Restaurierungsarbeiten einmal dauerhaft zu sehen sein werden, darüber wird das Land Hessen entscheiden müssen. Waldgirmes selbst hat eine Machbarkeitsstudie dazu erstellt, die Stücke vor Ort zu präsentieren.

Frankfurter Rundschau - 17.3.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

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