Eine Idee wird Realität
Der Grundstein für das Mahnmal ist gelegt

Von Ralf Munser

Mit dem Bau der Gedenkstätte „Namentliches Gedenken" am Michelsberg ist am Freitagmittag offiziell begonnen worden. Gestern legten vor zahlreichen Gästen und Zuschauern Oberbürgermeister Helmut Müller (CDU), der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Jakob Gutmark, und Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel (CDU) auf der Baustelle den Grundstein.

Zurzeit ist an der Stelle noch nicht viel zu sehen. Ein eingezäunter Erdhaufen markiert an dem Hang in der Coulinstraße die Stelle, wo das Mahnmal einmal stehen soll. Eine Stützwand aus Beton wird den Hang hinter der Gedenkwand halten. Die Stadt will mit dem „Namentlichen Gedenken" am Michelsberg an 1507 jüdische Bürger erinnern, die zwischen den Jahren 1935 und 1945 von den Nationalsozialisten ermordet worden sind. Das Projekt kostet mehr als drei Millionen Euro.

Hier stand die SynagogeEine Idee

Das Konzept sieht für dieses Denkmal einen Ort innerhalb der Stadt vor, der heutigen wie auch zukünftigen Generationen die Möglichkeit bieten soll, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. An dem Ort des Mahnmals stand früher die Synagoge, die von den Nazis in den 30er Jahren zerstört wurde. Zentraler Bestandteil des Denkmals wird ein Namensband sein, auf dem alle Opfer genannt sind.

Jakob Gutmark betonte in seiner Ansprache, wie wichtig die Namen für die Erinnerung seien. Er forderte dazu auf, aus der Vergangenheit zu lernen. „Dieser Ort mahnt an die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte", sagte Oberbürgermeister Müller. Er kritisierte, daß in den 50er Jahren der historische Straßenlauf verändert und über den Grundriß der Synagoge gelegt worden sei. Jetzt werde dies ein „Platz für würdevolles Gedenken" mit dem Ziel, die Opfer dem Vergessen zu entreißen. „Und wir erinnern an jeden einzelnen jüdischen Mitbürger, der durch das nationalsozialistische Regime deportiert und ermordet wurde."

„Eine Idee beginnt, Realität zu werden", sagte Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel. „Das Mahnmal am Michelsberg soll ins Bewußtsein rücken, daß die Shoah auch ein Teil unserer eigenen Stadtgeschichte ist, und nicht nur irgendwo im fernen Berlin oder Nürnberg geschah." Das Mahnmal werde ein unverwechselbares Zeichen in der Stadt sein. „Nie wieder dürfen in Wiesbaden Gotteshäuser brennen, gleich welcher Glaubensrichtung", so Nickel.

Das Denkmal lade zu persönlicher Interpretation im Alltag ein, erklärte Architektin Barbara Willecke. Es solle den nachfolgenden Generationen zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust dienen.

 

DER ORT

Der Ort am Michelsberg hat eine wechselvolle Geschichte: Nach sechsjähriger Bauzeit wird im Jahr 1869 die von dem Architekten Philipp Hoffmann entworfene Synagoge fertiggestellt. Das weithin sichtbare jüdische Gotteshaus war mit seinen 35 Metern Höhe und seiner mit goldenen Sternen überzogenen Hauptkuppel eines der schönsten und repräsentativsten Gebäude der Stadt.

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde auch die Synagoge am Michelsberg mehrfach in Brand gesetzt und dadurch zerstört. Das bis auf die Außenmauern ausgebrannte Gotteshaus wurde 1939 abgebrochen.

In den 1950er Jahren mußte dieser Platz der Erweiterung der Coulinstraße weichen. Von 1969 bis 2001 überspannte eine Hochstraße aus Beton den Platz. Eine Stele mit der Aufschrift „Der Welt Gewissen ist die Liebe - zur Erinnerung an die frühere Synagoge" stand der Hochbrücke im Wege und wurde ein paar Meter höher versetzt.

In der Nazizeit wurde das jüdische Leben in Wiesbaden fast vollständig ausgelöscht. Die Deportationen hatten schon früh begonnen. Die letzten Juden wurden am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt verschleppt.

Mitte 1945 kehrten die wenigen übriggebliebenen jüdischen Wiesbadener mit amerikanischer Hilfe zurück in die Stadt. Die Gemeinde gründete sich zum Chanukka-Fest im Jahr 1946 neu. rmu


DAS PROJEKT

Seit mehr als 20 Jahren ist das namentliche Gedenken an die Wiesbadener, die von Nazis gequält und getötet worden sind, ein zentrales Anliegen des Förderkreises „Aktives Museum für deutsch-jüdische Geschichte".

1986 hat das Stadtparlament verschiedene Beschlüsse zum Mahnen und Gedenken an die ermordeten Juden gefaßt, doch dann wurde am Michelsberg die Hochbrücke gebaut. Nach dem Abriß der Hochbrücke 2001 tat sich an dem zentralen Ort nichts mehr.

Die ebenfalls 1986 begonnenen Planungen für ein zentrales Mahnmal für NS-Opfer von der US-Künstlerin Jenny Holzer stockten, weil die CDU den Schloßplatz als Standort für deren „terrible garden" ablehnte. Die Künstlerin verlor wegen der langen Querelen vor drei Jahren das Interesse an dem Projekt und erteilte der Stadt eine Absage.

Dann klemmte sich die inzwischen verstorbene Stadtverordnetenvorsteherin Angelika Thiels (CDU) hinter das Projekt des Namentlichen Gedenkens und es gelang ihr, alle großen Parteien mit ins Boot zu holen. Es sei ihr eine Herzensangelegenheit gewesen, sagten gestern bei der Grundsteinlegung OB Helmut Müller und Stadtverordnetenvorsteher Wolfgang Nickel (beide CDU).

Den Ideenwettbewerb für das Namentliche Gedenken an dem authentischen Ort am Michelsberg gewann Anfang 2007 die Berliner Architektin Barbara Willecke. Ende 2007 bewilligte die Regierungskoalition aus CDU, FDP und den Grünen sowie die SPD 3,1 Millionen Euro für den Bau.

Der Siegerentwurf für die Erinnerungsstätte sieht drei sieben Meter hohe Mauern vor, die in den Hang des Schulbergs gebaut werden sollen. Die Mauern bilden zwei Ecken des Fundaments der ehemaligen Synagoge, die exakt an dieser Stelle gestanden hatte. Auf Augenhöhe sollen die Namen von mehr als 1500 ermordeten Juden auf einem insgesamt 55 Meter langen Namensband stehen. Der Name jeden Opfers wird auf einer eigenen Natursteinplatte unter anderem mit Vornamen, Familiennamen und Sterbejahr sowie dem Sterbeort genannt. Die Buchstaben werden mit einer Erhabenheit von fünf Millimetern gefertigt, um sie auch haptisch begreifen zu können.

Die Fläche des Gedenkortes wird in einem grauen Plattenbelag angelegt. Auf dem Boden des Gedenkraums sowie auf der Fahrbahn wird die Grundfläche der Synagoge nachgebildet.

Ermittelt wurden die jüdischen Opfer von Mitarbeitern des Stadtarchivs. Die Coulinstraße bleibt befahrbar.

Wegen der Hanglage und des felsigen Untergrunds war ein zweites Bodengutachten nötig, und der Baubeginn verzögerte sich um ein Jahr. Wegen des harten und langen Winters verschiebt sich die für den 9. November dieses Jahres geplante Einweihung vermutlich in den Januar 2011. byb/rmu

Frankfurter Rundschau - 22.5.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR