Mahnung nachgeholt
Drei Wochen nach Verbot einer Gegendemonstration erinnert Bündnis an Nazi-Opfer

Von Michael GrabenströerMahnung nachgeholt

Der Ort des Erinnerns liegt oftmals direkt vor der Haustür - wie in der Wandersmannstraße in Erbenheim. Nicht immer ist er mit Steinen kenntlich gemacht und mit Namen - hier sind es Mathilde und Manfred Blumenthal, die dort lebten, an die man die Erinnerung wachhalten will. Auch in Erbenheim liegen sie, die Steine des Gedenkens, die Stolpersteine des Erinnerns im Pflaster.

Vor drei Wochen war dort Erinnern aber richterlich verboten. Das Bündnis gegen Rechts wollte zu dem kaum halben Dutzend Stolpersteinen ziehen, die im Erbenheimer Pflaster verlegt sind. Als Mahngang, weil dort später Neonazis demonstrieren wollten und weil es ein Jubiläum gab. Es war der 65. Jahrestag des Kriegsendes. Der Tag der Befreiung vom Faschismus.

„Wir lassen uns das Erinnern nicht nehmen, auch von den Gerichten nicht, auch in Alt-Erbenheim nicht", hieß es am Dienstagabend - gleichsam als Trotzreaktion auf das Verbot. Obwohl auch der am 8. Mai geplante Mahngang, das war durchaus klar, eine Manifestation hätte sein müssen gegen die Neonazis, die wenig später an den Stolpersteinen vorbeitrampelten. Und zur Eskalation hätte führen können - so die Befürchtung von Polizei und Verwaltung, die vom Gericht juristisch untermauert wurde.

Wieder ein Polizeiaufgebot, aber diesmal ein kleines und dezentes

Die Steine selbst waren am 8. Mai gesichert durch Absperrgitter und Beamte, wie Polizeipräsident Peter Frerichs versicherte, nachdem eine Boulevardzeitung vorausgesehen hatte, daß die Neonazis über die Gedenksteine marschieren würden.

Fakt war: Der Bündnis-Mahngang wurde unterbunden, die Nazis aber durften durch Alt-Erbenheim ziehen, vorbei an den Steinen. Nun wurde das mahnende Gedenken des Bündnisses gegen Rechts nachgeholt. Wieder Polizei in Ebenheim - nur zwei Motorräder mit Polizisten, dazu zwei Beamte zu Fuß in freundlichem Blau und zwei Einsatzwagen, die abseits gesichtet wurden, mit Mimimalbesatzung. Kein Vergleich zum Aufzug vor drei Wochen: Rund 2000 Polizeibeamte sollen dagewesen ein, 150 Neonazis und 1500 Gegendemonstranten vom Bündnis.

Diesmal war das Gedenken leise, fast still, hätten nicht die Kirchenglocken um 18 Uhr wie üblich geläutet. Eine unauffällige Mahnung, wäre da nicht das kleine dezente Polizeiaufgebot gewesen. 40 Teilnehmer waren es. Einige von ihnen hatten Texte vorbereitet, Texte über die Leben unter den Stolpersteinen. Texte, die zum Beispiel an die Witwe Mathilde Blumenthal erinnerten. Von der Verwaltung zur Vermögensauskunft aufgefordert, gab sie am 8. Januar 1941 zurück: „...teile ich Ihnen mit, daß ich kein Vermögen besitze", und erklärte, daß sie sich sehr einschränken müsse. Im Juni 1942 wurde sie nach Sobibor deportiert und dort ermordet.

An den Stolpersteinen wurden Blumen niedergelegt, ganz so wie man es vor drei Wochen hatte machen wollen. Für die Polizei gab es nichts zu tun.

Hitzige Debatten wird es am 1. Juni geben. Dann soll im Schlachthof über die Demo-Genehmigungspraxis der Wiesbadener Stadtverwaltung und der Ordnungsdezernentin Birgit Zeitmetz (CDU) rund um den 8. Mai diskutiert werden. Im Fokus steht eine Übereinkunft mit den Neonazis: Erbenheim zu genehmigen, wenn das Innenstadtverbot nicht juristisch von den Rechten angegriffen werde. Darüber soll es sogar eine Aktennotiz geben, vom März.

Frankfurter Rundschau - 27.5.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR



Mahngang über Stolpersteine
Bündnis gegen Rechts will die Neonazi-Demo vom 8. Mai aufarbeiten

Von Michael Grabenströer

Die Neonazi-Demonstration in Erbenheim am 8. Mai, dem 65. Jahrestag der deutschen Kapitulation, ist vorbei und von vielen fast vergessen. Die Aufarbeitung ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Vor allem die Veranstalter der Gegendemonstration „Bündnis gegen Rechts" setzen sich weiter mit den Verboten und der Genehmigungspraxis der Stadt auseinander.

Erst einmal wird das Bündnis die am 8. Mai verbotene Mahnwache und den verbotenen Mahngang nachholen. Am 8. Mai waren diese Veranstaltungen als Zeichen gegen den Neonazi-Aufzug geplant gewesen. Wegen der Nähe zum Veranstaltungsort der Neonazis sind sie vom Gericht jedoch untersagt worden. Doch das Bündnis will auf diese Aktionen nicht verzichten.

Der Mahngang wird deshalb am Dienstag nach Pfingsten, 25. Mai, nachgeholt. Treffpunkt ist um 18 Uhr an der evangelischen Kirche an der Ringstraße in Erbenheim. Von dort soll der Mahngang entlang der in den Boden eingelassenen „Stolpersteine" führen, die an jüdische Mitbürger erinnern. Der Gang über die Stolpersteine wird mit Informationen über ermordete Erbenheimer Juden verbunden. Die Mahngänger wollen außerdem Kerzen anzünden und Blumensträuße niederlegen.

Die eigentliche Aufarbeitung aus Sicht des Bündnisses gegen Rechts findet dann am Dienstag, 1. Juni, um 19 Uhr im Schlachthof statt. Dabei soll ein Film über den 8. Mai in Erbenheim und über das Verhalten der Neonazis und der Polizei gezeigt werden. Außerdem gibt es eine Analyse des Bildungswerkes Anna Seghers zum rechten Aufzug. Eine wichtige Rolle soll die Chronologie des Behördenverhaltens mit den erteilten Genehmigungen für die Rechten spielen. Wiesbadens Ordnungsdezernentin Birgit Zeimetz (CDU) hat schon im Vorfeld Vorwürfe - wie sie zum Beispiel von der SPD erhoben wurden -, sie habe „mit den Rechtsextremisten gekungelt", zurückgewiesen.

Frankfurter Rundschau - 22.5.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR