Manöver im Schatten des Krieges
Vor 70 Jahren organisierte das NS-Regime die bis dahin größten Militärübungen in Osthessen / Gelnhausen wird im Oktober 1936 zur Garnisonsstadt
VON CHRISTINE WITTROCK (GELNHAUSEN)

„Weithin vernahm man den Geschützdonner, und unheimlich brausten die Fliegerstaffeln über die weite Landschaft, bald ganz tief über die Orte hinweg, bald in unsichtbarer Höhe ... Unser Dörfchen hatte während der Dauer der Manöver geflaggt, um damit die Verbundenheit mit unserer neuen Wehrmacht auch nach außen kundzutun" schreibt der Lehrer Julius Kinkel vor gut 70 Jahren in der Schlierbacher Schulchronik. Es ist der 21. September 1936 und der Beginn des größten Manövers deutscher Truppen seit dem Ersten Weltkrieg.

„Groß war die Begeisterung, als der Führer und andere hohe Persönlichkeiten durch Schlierbach und Neuenschmidten fuhren", schreibt Hinkel weiter. Überall in den hessischen Ortschaften wird Adolf Hitler mit Jubel empfangen. Auch durch Gelnhausen und Wächtersbach kommt der Diktator. Der Direktor der Gelnhäuser Grimmelshausen-Schule hatte den Schülern drei Tage freigegeben, „damit sie das militärische Geschehen miterleben konnten. Am vierten Tage erschienen drei Kinder zum Unterricht, die anderen nahmen sich den Rest der Woche in berechtigter Begeisterung selbst frei... Aber den tiefsten Eindruck brachte uns allen der Freitag, der 25. September, als der Führer mit seinem ganzen Gefolge ganz langsam durch die Straßen unserer Stadt hindurch fuhr. Die Begeisterung kannte keine Grenzen und die Erinnerung wird ewig bleiben", heißt es in der Schulchronik.

Die Manöver werden erfolgreich abgeschlossen. Reichskriegsminister Werner von Blomberg ist bei der Isenburger Fürstenfamilie im Birsteiner Schloß einquartiert, hier findet auch die Schlußbesprechung statt. Insgesamt fünf Divisionen mit zehntausenden Soldaten hatten sich an dem Manöver beteiligt.

Wenige Wochen nach diesem Spektakel legt sich die alte Reichsstadt Gelnhausen eine neue, zweifelhafte Bedeutung zu: Sie wird Garnison. Im Oktober 1936 zieht das 9. Panzerregiment in die neu erbauten Kasernen ein. Zur Einweihung marschieren die Soldaten und nach ihnen SA, SS und HJ durch die flaggengeschmückte Stadt zum Kasernengelände. Die Kinder haben schulfrei, und die allgemeine Begeisterung läßt vergessen, daß der nächste Krieg schon seine Schatten vorauswirft.

Statt dessen ist von Frieden die Rede. Die Lokalzeitung begrüßt die „Soldaten des Führers" überschwenglich und will daran erinnern, „daß wir einen kleinen Teil dieser stolzen Macht in unseren Mauern bergen dürfen, die Deutschlands Größe und Deutschlands Ehre garantiert. Eine Macht, die nicht geschaffen wurde, um fremde Völker zu bedrohen oder imperialistische Eroberungskriege zu führen. Eine Macht, die dazu dient, dem deutschen Volk den Frieden zu erhalten."

Wenige Monate zuvor hatte Hitler die Wehrmacht ins linksrheinische Gebiet einmarschieren lassen - ein Bruch des Versailler Vertrages, genauso wie die Wiedereinführung der Wehrpflicht im Jahr 1935. Allerorts ist eine umfassende Militarisierung des öffentlichen Lebens zu beobachten. Das Regime ist bemüht, die Bevölkerung bei Laune zu halten. Neben den weniger sichtbaren Konzentrationslagern und Kriegsvorbereitungen werden Propagandaveranstaltungen, Wettbewerbe und sportliche Darbietungen organisiert, die die Reputation Hitlers vermehren. Dazu gehört auch der Reichswettkampf der SA, den Hitler 1935 angeordnet hatte.

„Nazi-Brutherd" im Schloß

Der von Otto Friedrich Fürst zu Ysenburg-Wächtersbach 1933 ins Leben gerufene SA- Reitersturm nimmt daran ebenso teil. Die SA-Männer haben vom Fürsten eine Ausbildung erhalten. Wer mittellos ist, bekommt auch eine Uniform bezahlt. Bereits vor 1933 hatte er seinem Reitersturm aus eigenen Mitteln eine Reitbahn an der Kinzig bauen lassen. Er selbst nimmt an SA-Kampfschul-Lehrgängen teil und gibt sein Wissen als Leiter von nationalsozialistischen Schulungskursen an seine Männer weiter. 1936 folgt die Ernennung zum Obersturmführer.

Der Fürst ist „ein straffer, strenger Sturmführer, dem viel an der Sache gelegen war", berichtet später der Gelnhäuser Scharführer August Schwerdt aus Ysenburgs Reiter-SA. Kein Wunder, dass das Wächtersbacher Schloss von Zeitgenossen als „Nazi-Brutherd" bezeichnet wurde.

 

EINE HEIMATGESCHICHTE

  • Die Historikerin Christine Wittrock schildert in ihrem neuen Buch „Kaisertreu und führergläubig. Impressionen aus dem Altkreis Gelnhausen 1918-1950" das erste große Manöver der Nazis.
  • Insgesamt fünf Divisionen übten damals vom 21. bis zum 25. September. Wittrock zeigt die Entwicklung der rechten Gruppierungen während der Weimarer Republik im Bereich Gelnhausen auf, bis hin zur Entnazifizierung nach 1945.
  • Ihr Buch soll am 9. November im Hanauer CoCon Verlag erscheinen. BEN

Frankfurter Rundschau - 25.10.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR