Im Glanz adeliger Vergangenheit
Archäologe bewertet das merowingische Mädchengrab im Dom neu / „Hochkarätige Architektur"
VON CLAUDIA MICHELS

Frankfurts Bedeutung wächst. Nach neuester Kenntnis war die karolingische Königshalle auf dem Domhügel größer, höher und repräsentativer als geahnt. Von „hochkarätiger Architektur" geht die Rede. Das Archäologische Museum sieht schon eine „royalistische Tradition". Der Archäologische Garten müsse neu bewertet werden.

Belege für Frankfurts Größe liegen als Steine oder verfärbte Erde zwischen Dom und Römer im Boden verborgen. Nach 1945 und bis 1995 wurde immer wieder danach gegraben. Quer durch den Archäologischen Garten stehen die Mauerreste der Kaiserpfalz aus Basalt und Sandstein.

Im Auftrag des Archäologischen Museums Frankfurt hat jetzt der Bamberger Mittelalter- Archäologe Magnus Wintergerst die Funde zwei Jahre lang neu gesichtet und bewertet. Wintergerst widmete sich vor allem der edlen Merowingerin, deren sterbliche Überreste samt Goldschmuck und in Gold gefaßten Edelsteinen 1992 unter dem Fußboden des Doms gefunden worden sind. „Ich habe zwei Jahre über dem Mädchengrab gebrütet" gestand der Archäologe, als er am Mittwochabend im Museum vor vollem Haus referierte. Er fragte: „War sie eine Heilige, eine Königin?" Nicht nur wegen der hochkarätigen Beigaben und diversen Würdezeichen. Alle späteren Bauten hätten sich an der Grabstelle der Fünfjährigen ausgerichtet.

Vergleiche mit Rom und Köln

Was nach dem Vortrag unter den Experten im Publikum sofort strittig war: Wintergerst will auf dem Domhügel eine frühe Kirche des 7. Jahrhunderts entdeckt haben; „dieser Bau war bisher völlig unbekannt". Er ordnete das Kirchlein von elf Metern Länge gemäß „historischer Nachrichten" als „Marienkirche" ein. Die Prinzessin soll Ende des 7. Jahrhunderts aus seiner Sicht nicht in der Kirche, sondern in einem Nebengebäude bestattet worden sein, das zu der Zeit schon verfallen war. Den Schluß zieht Wintergerst aus einem gestickten Goldbrokat-Kreuz, mit dem der Leichnam bedeckt war: „Solche Gräber kommen nie in Kirchen vor."

Erst im Jahr 852, so der Vortrag, sei rund um das Mädchengrab die Salvatorkirche gebaut worden, die als Vorläuferkirche des heutigen Doms identifiziert ist. Damit hätte die geheiligte Grabstätte, um die sich doch in der Entwicklung alles drehte, 150 Jahre lang offen, ohne schützendes Dach da gelegen - „das glaube ich Ihnen nicht", warf die Historikerin Felicitas Schmieder ein. Und auch Andrea Hampel, die als Archäologin beim Denkmalamt das Kindergrab entdeckt und analysiert hat, meinte: „So kann er das nicht stehen lassen."
Dom-Museum Frankfurt

Was die kleine Merowingerin an Schmuck bei sich hatte, bewahrt das Dommuseum in einer Vitrine. Direktor August Heuser wacht darüber.

Für das Museum jedoch stellen „die überraschenden Ergebnisse die Anfänge der Stadt Frankfurt in völlig neuem Licht dar". Zuerst, zwischen den Jahren 600 bis 650, müsse man sich hier „ein sakrales Zentrum" vorstellen, mit einzelnen Gutshöfen. Dann bildete sich ein Friedhof. Um 820 läßt Ludwig der Fromme die Königshalle errichten, dazu einen massiven Torbau, für den prominente Vergleichsbeispiele zu nennen seien, etwa aus Fulda, Rom, Köln oder Regensburg.

Ein langer Verbindungsgang habe schließlich diesen Häuserkomplex im 9. Jahrhundert mit der Salvatorkirche verbunden - „das zeigt", urteilte Museums-Direktor Egon Wamers: „Es stand da eine riesige, repräsentative Anlage." Doch als die Salvatorkirche um das Jahr 1000 erweitert wurde, schloß Referent Wintergerst seine Analyse, hätten sich die Nachgeborenen an das adelige Mädchen in seinem Grab nicht mehr erinnert. Genau obendrüber wurde ein Pfeiler der Empore gesetzt. Heute ist der goldene Schmuck der Kleinen in einer Vitrine des Dommuseums ausgestellt. Ihre zarten Knochen und ein Stück ihres Schädels liegen noch immer in einem Karton im Dom-Archiv. Sie sind nicht wieder bestattet worden. Die neuen archäologischen Erkenntnisse zur Geschichte Frankfurts werden von Magnus Wintergerst demnächst publiziert.

Frankfurter Rundschau - 17.3.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR