Ein Gleichklang aus Kindertagen
Die Himmelsscheibe von Nebra ist jetzt auch in Frankfurt zu sehen

Von Christian Thomas

Sonne, Mond und Sterne. Fixiert stehen sie an einem grünspangrünen Himmelszelt, seit einer oder drei, vier unserer Vorfahren darangingen, es auf einer Scheibe aus Bronze festzuklopfen. Die Sonne golden, die Mondsichel golden, die Sterne ebenfalls, prangend wie im Lied. Gleichzeitig aber ist der Himmel auf der Scheibe so ungeheuer komplex dargestellt, daß es die Wissenschaft umtreibt. Wie die Himmelskunde auf eine Metallplatte kam, zur frühen Bronzezeit und in einem Landstrich, in dem das Land Sachsen-Anhalt noch nicht einmal angedacht war: Das alles beschäftigt die Welt nun schon seit fast zehn Jahren. Denn bei der „Himmelsscheibe von Nebra" handelt es sich um ein Weltwunder.

Schon deshalb hätte auch der Frankfurter gerne die wirkliche Himmelsscheibe in den vier Wänden des Archäologischen Museums ausgestellt gesehen. Aber mit einer Kopie muß der Besucher auch andernorts leben - angefangen von dem Haus, das zur Präsentation der Scheibe vor einem dreiviertel Jahr in Nebra eröffnet wurde, ein auf Entfernung bereits auffälliges Gebäude, das Arche genannt wird. Als Ort einer Kopie wirft es sich auf inmitten der Natur, dort, wo der Mittelberg mit seinen Höhenlinien jäh abfällt in die Weite der Saale-Unstrut-Landschaft.

Werkzeug der Menschwerdung

Auch Frankfurt (die Stadt der Reproduktionswünsche) erreichte bloß ein Doppelgänger. Der Besucher muß sich die Ikone also auf eine gewisse Weise „denken". Dabei hat er an ihr nichts Geringeres als ein Werkzeug der Menschwerdung, der Selbstverortung des Erdenbewohners im Kosmos. Indem der Bronzezeitzeitgenosse zum Nachthimmel nicht nur aufschaute, sondern sich bemühte, dessen Zeichensystem zu verstehen, indem er sich nicht nur ängstigte, sondern daran ging, das unendlich Entfernte zu entziffern, fixierte er auf der Scheibe das Sonnenjahr (365 Tage) und das Mondjahr (364 Tage). Und brachte beides in Einklang.

Unterm gotischen Gewölbe des Karmeliterklosters bewegt sich der Besucher, vorbei an acht Schauwänden, wie in einer kleinen Galerie, die hier an ihren Anfang die Entdeckung der Scheibe stellt: 1999, durch eine Raubgrabung auf dem Mittelberg, sowie ihre seitdem immer wieder erzählte Sicherstellung durch Interpol in der Schweiz. Heute wird der Schlüsselfund der Archäologie und der Astronomie, der Religions- und Kulturgeschichte in Halle wohl verwahrt. Harald Meiler, Direktor am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, der sie ebenfalls gerettet hat, der sie erforscht hat und seitdem unermüdlich erklärt wie kein zweiter, spricht von einem "Verkehrsschild in ungeheurer Klarheit". Und schon im nächsten Moment holt er aus, und weist auf ein „Kuppelweltbild" hin, ähnlich dem des Thales von Milet, tausend Jahre später, dreitausend Kilometer entfernt. Das erklärt, warum diese Scheibe, in die der Besucher schauen kann wie in ein Abbild der Menschwerdung, auch schwindelig macht.

Mag ihr Durchmesser auch schwanken (zwischen 31 und 32 Zentimeter!), mag der heute fehlende Horizontbogen vermutlich bei der Deponierung verloren gegangen sein und einen Schatten (oder tiefgrünen Hoffnungsschimmer?) hinterlassen haben - mag so vieles schwanken, variieren, sich verändern: Wie mit Händen zu greifen ist die Darstellung der Plejaden als Siebengestirn. Was sich aus der Konstellation nicht alles ableiten ließ, vom Schaltjahr bis hin zur Mondfinsternis. Dadurch, daß der Vorfahr mit der Darstellung Macht über seine Zeit gewann, ließ sich sein Sein auf Erden besser einrichten.

Zur Erkenntnis der Frankfurter Ausstellung gehört die recht neue Einsicht, daß die Scheibe in fünf Stadien entstand, anfangs als rein astronomisches Instrument, das in den nächsten Schritten, als das Abbild einer Barke darauf befestigt wurde, auch vom Mythos überformt wurde. Um, auch das zeigt das Kabinett im Karmeliterkloster, wie ein Kultgegenstand in der Erde deponiert zu werden.

Ein Astronom hat vor einigen Jahren angesichts der Scheibe von einer „TÜV- Plakette für Stonehenge, die Externsteine, Newgrange und all die anderen Denkmäler" gesprochen. Den Satz im Ohr, verharrt der Besucher. Zumal auf diesem Weltbild und Wunder eine Ferne heranrückt. Sonne, Mond und Sterne. Und mit dieser Ferne eine weitere Ferne, plötzlich ein Gleichklang aus Kindertagen, eine Konstellation aus den eigenen und denen der Menschheit.
 

Archäologisches Museum Frankfurt:

bis 1. Juni 2008, www.archaeologisches-museum.frankfurt.de

Frankfurter Rundschau (Feuilleton) - 8.3.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

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