Norbert Wollheim Memorial: Der neue Gedenkort im Park des IG Farben-Hauses erinnert an die Opfer von Auschwitz und macht deutlich, daß Nachkriegsdeutschland [Frage: BRD/alt?] von ihnen nichts wissen wollte.

Was den Menschen geraubt ist
Mit Bildern des Alltags sucht der Künstler Heiner Blum nach den Spuren der Opfer

Von Matthias Arning

Jacqueline Kimmelstiel hat schon vieles gesehen. Die alte Dame aus New York ist vertraut mit Stätten der Erinnerung in den USA wie in Deutschland. Doch so etwas, sagt sie, habe sie noch nicht gesehen. Dieses Kompliment müsse sie dem Künstler Heiner Blum unbedingt machen, denn der sorge so überaus einfühlsam dafür, daß die Erinnerung nicht verblasse. Findet Albert Kimmelstiel übrigens auch. Schon am Abend zuvor habe er sich die Stelen in der weitläufigen Landschaft rund um das frühere IG-Farben-Haus angesehen. Sehr nahe, sagt Albert Kimmelstiel, sei ihm das gegangen, zu nahe, setzt der alte Mann hinzu, um später noch eine ruhige Nacht zu verbringen.

Zur Eröffnung des Wollheim Memorials sind die Kimmelstiels eigens aus New York gekommen. Dort leben die Überlebenden des Holocaust heute, dort haben sie sich auch kennen gelernt. Nach den Jahren im Versteck, die Jacqueline Kimmelstiel in Frankreich verbrachte. Nach den Jahren in Auschwitz, die Albert Kimmelstiel an der Seite des Schweißers Norbert Wollheim verbrachte. Seinem Freund Wollheim, dem er bis zum Tod im Jahre 1998 eng verbunden blieb. Der Norbert Wollheim, blickt Albert Kimmelstiel am Freitag bei der Präsentation der Gedenkstätte an der Goethe-Universität zurück, der im Mai 1945 zu ihm gesagt hatte: „Wir sind gerettet, aber nicht befreit."

Blums Installation

Der Satz bleibt. Im Gedächtnis. Und an der Wand des kleinen Pavillons am Rande des IG Farben-Hauses, dem Wollheim-Pavillon, einem Teil der Blumschen Installation. In dem Pavillon kann man sich die Erzählungen von Opfern an sehen, die Auschwitz überlebt haben. Erzählungen in Interviews, die in voller Länge dem Fritz-Bauer-Institut zur Verfügung stehen. Zu Forschungszwecken, als Teil dieser Stätte der Erinnerung. Eine Gedenkstätte, die einen Zusammenhang zur Universität sucht, dem Ort des Geistes, der im Zweiten Weltkrieg ein Ort der Kaltblütigkeit gewesen ist. Künstler Heiner Blum, Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, hat sich an dem Schriftzug „Johann Wolfgang Goethe Universität" über dem Eingang zum Hauptgebäude orientiert, am Pavillon aber die abends hinterleuchteten Buchstaben des Schriftzugs durch eine ebenfalls illuminierte Zahlenfolge ersetzt: 107984, die Häftlingsnummer Norbert Wollheims in Auschwitz.

Ein paar Schritte weiter in Richtung Haupteingang trifft man wieder auf Wollheims Freund, Albert Kimmelstiel, der am Sonntag mit seiner Frau und 80 weiteren Überlebenden der Eröffnung des Memorials beiwohnen will. Es muß wohl diese Gedenktafel gewesen sein, die Kimmelstiel um den Schlaf brachte. Die Tafel zeigt ein Bild von 1940, die Familie Kimmelstiel, die beiden Jungen, Mutter und Vater, machte die Aufnahme mit dem Selbstauslöser. An ihrem Küchentisch. Eine heile Welt, die Blum überlagert von sechsstelligen roten Zahlen 160761 und 160762, die in der damaligen Welt für Albert Kimmelstiel und Max Kimmelstiel standen, Nummern in Auschwitz, Vater und Mutter hatten die Nationalsozialisten zuvor bereits in Riga erschossen.

Anfangs, berichtet Blum, sei er „ein bißchen skeptisch gewesen, weil Denkmäler oft etwas Monumentales haben". Und bestimmt sei dieses Memorial als Erinnerungsstätte wie als Ort der Dokumentation und des Forschens „ein komplexes Gebilde" geworden. Auf jeden Fall soll es eindringlich wirken. Durch diese Bilder, die zusammen genommen ein Fotoalbum ergeben, das Fotoalbum einer Familie, der man ihr Glück geraubt hat: „Ich wollte zeigen, was man den Menschen weggenommen hat", deshalb sei er mit Hilfe von Matthias Naumann und Stefanie Plappert den Spuren aus alltäglichen Tagen gefolgt.

Ideen der Studenten

Für Plappert und Naumann ist dieses Memorial ein ganz besonderes Denkmal. Schließlich gehörten die Medienwissenschaftler zu den Studenten, die sich nach dem Einzug der Universität ins IG-Farben-Haus dafür einsetzten, den Grüneburgplatz umzubenennen - zum Norbert-Wollheim-Platz. Das wäre im Sinne von Karl Brozik gewesen, dem Repräsentanten der Jewish Claims Conference, der zu diesem Zeitpunkt gerade nervenaufreibende Verhandlungen über eine Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter hinter sich hatte. Zu einer Zeit, in der die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert schien. Doch trotz der Unterstützung vieler Überlebender ließ sich die Stadt nicht auf eine Umbenennung ein.

Prompt brachte der Historiker Arno Lustiger die Idee auf, Wollheim vor dem IG-Farben-Haus ein Denkmal zu setzen. Das Memorial, das auf einen Beschluß des Senats aus dem Dezember 2005 zurückgeht, steht jetzt gleichsam am Ende dieser Diskussion über die Schaffung eines „Ortes des Gedenkens und der Information". Schließlich sieht es auch die Hochschule nach den Worten ihres [damaligen] Präsidenten Rudolf Steinberg als „ihre selbstverständliche Aufgabe an, sich mit der Geschichte des Gebäudes in offener und kritischer Weise auseinander zu setzen". Mit einem Memorial, das selbst erinnerungskulturell geübte Menschen in Erstaunen versetzt.

Erwartungen blieben an Wollheim geknüpft
Der ehemalige Zwangsarbeiter setzte in den 50er Jahren seine Ansprüche auf Entschädigung durch

Von Matthias Arning

Der Name steht für Grundsätzliches. Für etwas Besonderes, sagt Cornelia Levi, die Sprecherin der Jewish Claims Conference. Künftig werde der Mann, dessen Name sich mit dem Grundsätzlichen verbinde, für ihre Opferorganisation auftreten, um im Bundesfinanzministerium zu verhandeln. Wohl gemerkt: Mit Gewicht zu Verhandlungen. Der Mann heißt Stuart Eizenstat. Und ist in der Bundesrepublik kein Unbekannter. Um die Jahrhundertwende herum setzte sich Eizenstat als Beauftragter von US-Präsident Bill Clinton für alle Belange ein, die im Zusammenhang mit dem Holocaust abzuklären blieben.

Fragen wie die nach dem Raubgold, mit dem die Deutschen [= die Nazis] von 1939 an ihre Kriege finanziert hatten. Fragen wie die nach den Versicherungspolicen, für die Nachfahren von Ermordeten nie eine Entschädigung gesehen hatten. Fragen wie die nach der Raubkunst, die am Ende des 20. Jahrhunderts noch überall in Europa in Museen hing. Und Fragen nach einer späten Entschädigung der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter, dieser völlig vergessenen Opfer.

7,7 Millionen ausländische Arbeitskräfte waren im August 1944 im „Großdeutschen Reich" beschäftigt. Sie arbeiteten zumeist in der Rüstungsindustrie und bei militärischen Bauprojekten, im Bergbau, in der Landwirtschaft und halfen in der letzten Phase des Krieges in größeren Städten im Auftrag der Kommunen beim Aufräumen von Trümmern. Die Gestapo stellte Rechnungen, wenn sie Rüstungsunternehmen Zwangsarbeiter überließ. Sie selbst gingen nach dem Krieg leer aus. Diese vor allem aus Osteuropa stammenden Opfer erhielten keine Entschädigung.

Gegen IG Farben

Aber auch im Westen blieben Ansprüche früherer Sklavenarbeiter schwer durchzusetzen. Oft verwiesen Unternehmen darauf, daß man nicht selbst von dieser Arbeit profitiert, vielmehr unter dem Druck des Staates gestanden habe. Der habe erwartet, daß man die Produktion mit diesen Arbeitern aufrecht erhalte, nachdem die Stammbelegschaft zumeist an die Front mußte. Auch der Staat ließ sich auf nichts ein, weil aus jeder individuellen Regelung ein kollektiver, Menschen hinter dem damaligen Eisernen Vorhang betreffender Anspruch hätte abgeleitet werden können.

Allein Norbert Wollheim blieb hartnäckig. Der Überlebende des Holocaust, der in Auschwitz hatte schuften müssen, setzte mit seinem Anwalt Henry Ormond vor einem deutschen Gericht Entschädigungsansprüche durch. Wenn auch in einem bescheidenen Umfang. Und doch verknüpfte sich die Erwartung einer Entschädigung im Nachkriegsdeutschland immer wieder mit Wollheim.

Der hatte seine Forderungen gegen die IG Farben durchgesetzt. Einen Konzern, der gleichsam wie ein Synonym für die systematische Ausbeutungspolitik der deutschen Wirtschaft gestanden hat.

IG Farben, das war der größte deutsche Konzern jener Zeit, der aus einem Zusammenschluß verschiedener Chemieunternehmen hervorgegangen war. Allein im Jahr 1944 beschäftigte der Konzern 83.000 Zwangsarbeiter, die zum Teil mithelfen mußten, einen großen Industriekomplex in Auschwitz zu errichten. Das Giftgas Zyklon B, das die SS in dem Vernichtungslager einsetzte, um Menschen massenhaft zu ermorden, stammte von der Firma Degesch, an der IG Farben mit 42,5 Prozent beteiligt gewesen ist.

Erst fünf Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges wächst der Druck auf den Staat wie auf die Wirtschaft, ehemalige Zwangsarbeiter doch noch zu entschädigen. Unter dem Einfluß der Clinton-Regierung legte [die Bundesregierung in] Berlin mit der Industrie einen Entschädigungsfonds auf [übrigens überwiegend zu Lasten des Staates]. Um die Jahrhundertwende handelte der frühere Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff ein entsprechendes Abkommen im Namen der Regierung aus.

Übrigens mit dem Mann, dessen Name sich bis heute mit Grundsätzlichem verbindet - mit Stuart Eizenstat.

Frankfurter Rundschau - 1.11.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR