Pulen in den Pollen
Museum zeigt, weshalb Archäologie heute ohne Naturwissenschaften kaum denkbar ist

Von Markus Bulgrin

Archäologie sei gar nicht so kompliziert, wie gemeinhin angenommen. Das sagt Gabriele Franke am Sonntagmorgen hinein in die Stille des großen Raums, in dem die Vitrinen mit den Exponaten akkurat nebeneinander stehen. Dann erzählt die Frau eifrig von der Kohlenstoff-Methode, durch die genaue Datierungen überhaupt erst möglich seien, und der Röntgen-Fluoreszenz, mit der man "relativ genau", im Vergleich mit traditionellen Analysen, die Zusammensetzung von altertümlicher Keramik ermitteln könne. Das sei doch im Grunde alles ganz einfach und nicht wirklich kompliziert. Irritierte Blicke folgen der Frau durch das Archäologische Museum.

Mit dem großen Bild, das sich über die drei geteilten Leinwände erstreckt, fängt es an. Die Führung. Und die Menschheit. In schwarzen, gezeichneten Linien auf dem beigefarbenen Untergrund stehen Bäume, schlängelt sich ein Fluß vorbei an Nashörnern und Elefanten, die am Ufer weiden, bis hin zu einer Familie Feuer sitzt und ißt. Und zwar Haselnüsse. "An solchen Plätzen finden wir immer Unmengen von Schalen", erzählt Franke, wobei verkohlte Getreidesamen ebenso häufig seien. Andere Überreste, wie etwa ein Apfel, lösen sich in der Regel auf. Deshalb braucht es die Pollen-Analyse von Botanikern, die auch Rückschlüsse auf das Klima zulassen.

Gabriele Franke führt regelmäßig Menschen, die an den frühesten Wurzeln der Zivilisation interessiert sind, durch das Museum. Thema am Sonntag ist die Archäometrie. Eine interdisziplinäre Wissenschaft, angesiedelt zwischen Chemie, Biologie, Mineralogie und Botanik. Franke gilt als Expertin auf diesem Gebiet, für das die Universität Frankfurt erst vor kurzem einen eigenen Studienzweig geschaffen hat. Das sei nötig, weil die klassische Archäologie doch eine "zerstörende Wissenschaft" sei, wie Franke erklärt. Eine Feststellung, die ihr erneut irritierte Blicke einbringt. "Sobald wir in den Boden rein graben, machen wir kaputt, was wir finden." Sie selbst sei keine Naturwissenschaftlerin, das gebe sie wohl zu: "Ich verstehe nichts davon." Gleichwohl brauche ein Archäologe die Grundkenntnisse, ohne die gehe es schlicht nicht mehr. Deshalb auch die Botanik und die Pollen-Analyse.

Verkohlte Pflanzenreste erzählen viel von den Menschen der Alt-Steinzeit

Der bekannteste Fall, bei der diese Methode zum Einsatz kam, war "Ötzi". Der Mann aus dem Eis, der 1991 gefunden wurde, war im April 2006 auch im Archäologischen Museum zu Gast. Zunächst untersuchten die Chemiker die Speisereste im Magen: "Mehlartig, mit Gemüse und Resten vom Bockhirsch." Doch erst der Blütenstaub, den jeder über das Wasser zu sich nimmt und nicht verdaut, brachte mehr Erkenntnisse. Die Forscher fanden Pollen einer Hopfenblume, die nur in den südlichen Alpen wächst und im Frühjahr blüht. Das ließ Rückschlüsse auf "Ötzis" Heimat und die Todeszeit zu. "Um so lustiger" sei es, bemerkt Franke noch wie beiläufig, daß die Pfeilspitze in seinem Rücken, an der er vermutlich verblutet ist, erst danach entdeckt wurde.

Hilfe durch die Archäologen!

Weiter geht es mit der Zoologie und einem Thema, das “mir persönlich am Herzen liegt", wie Franke gesteht. Die Landwirtschaft und wie sie entstanden ist. Warum, das wird schnell deutlich: Hierin liegt der Anfang jeglicher Zivilisation. Zivilisation, die auch bis Frankfurt führt, wie Schalen aus Praunheim beweisen, die in einer der Vitrinen stehen. Vom “fruchtbaren Halbmond", dem vorderen Orient, aus, wanderten die Menschen infolge einer Kältezeit vor rund 10.000 Jahren nach Europa.

Teil des Allgemeinwissens ist dies inzwischen, weil Zoologen wilde von gezüchteten Tieren unterschieden können: Haustiere sind kleiner. Franke habe selbst ein Praktikum bei Zoologen in Basel gemacht: “Das war sehr spannend. Die haben Knochen von allen denkbaren Tieren." Eine solche Sammlung helfe, die Funde einzuordnen. Rinder ließen sich beispielsweise anhand ihrer abgenutzten Knochen als Lasttiere identifizieren. Oder Kühe anhand ihres Alters, ob sie Milch oder Fleisch liefern sollten. “So einfach ist das?", entfährt es einer Zuhörerin. “Ja", entgegnet Franke mit einem kleinen Lächeln.

FÜHRUNGEN UND KINDERPROGRAMM

Das Programm im Archäologischen Museum bietet ein breites Spektrum.

Die Steinzeit in Frankfurt mit können Kinder ab acht Jahren mit allerlei Spielen zusammen auferstehen lassen.

Weitere Infos und Anmeldung unter

http://www.archaeologisches-museum.frankfurt.de/sonder/sonder.html

oder 069-212-35896. mbu

Frankfurter Rundschau - 18.10.10