Preußische Sammelwut
Seit 1805 werden in Deutschland amtliche Zahlen zusammengetragen

Von Gaby Buschlinger

Preußische Sammelwut

"Die göttliche Ordnung" (1797) ist das älteste Buch im Magazin (Bild: FR/Surrey)

Zahlen werden nicht erst seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gesammelt. Vorreiter waren vielmehr die Preußen, die bereits Anfang des 19. Jahrhunderts von Geburten bis zum Warenverkehr alle möglichen Bereiche des Lebens in Tabellen festgehalten haben.

Da aber Computer und Excel-Programme noch nicht erfunden waren, begnügten sich die Statistiker von damals mit Papier, Lineal und Tinte und formulierten ihre Erkenntnisse zudem in langen Texten.

Zu den historischen Schätzen, die im Magazin der Bibliothek des Statistischen Bundesamtes lagern, gehöre zum Beispiel "Die Moralstatistik - Versuch einer Socialethik" aus dem Jahr 1868, sagt Bibliotheksleiterin Elke Neumann-Dübal. Alexander von Oettingen hat darin nicht nur die unehelichen Geburten gezählt, sondern auch angesichts deren Häufung in bestimmten Monaten einen "Einfluß der Jahreszeiten" nachgewiesen. Stromausfall fiel damals als Grund natürlich aus. Auf die "Trunksucht" wiederum kam der damalige Zahlenforscher, als er die Unterschiede der Sterblichkeit auf dem Land und in der Stadt untersuchte.

Ihre Zahlen erhielten die damaligen Statistiker zum Beispiel aus Pfarrämtern oder Gerichtsakten", weiß Bibliothekar Günter Hinkes.

In dem sogenannten Zugangsbuch wurde alles ordentlich aufgelistet

Die Preußen richteten dann bereits 1805 das "Statistische Bureau" in Berlin ein, doch erste Veröffentlichungen gab es schon 1787, allerdings nicht-amtliche. Im Jahr 1872 wurde das Kaiserliche Statistische Amt ins Leben gerufen, das für das gesamte Deutsche Reich zuständig war und Vorläuferin des Statistischen Bundesamts ist. Im Magazin befinden sich alle Statistischen Jahrbücher des Deutschen Reichs sowie die vielfältigen anderen Veröffentlichungen des Reichamts, erzählt Bibliothekar Hinkes stolz. Die Preußenzeit weise nur kleinere Lücken auf.

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland vor 60 Jahren begann dann auch die Arbeit des heutigen Statistischen Bundesamts. "Begonnen haben meine Vorgänger bei Null", sagt Hinkes. Es begann das große Zusammensuchen all der historischen Zahlenkolonnen in anderen Bibliotheken, Behörden und sonstigen Institutionen. Auch Fachliteratur wurde angeschafft. Und - wie es sich für Zahlenhüter geziemt - in einer Kladde, dem sogenannten Zugangsbuch, ordentlich aufgelistet. Die Tinte ist bis heute kaum verblaßt und das Sütterlin auch für Ungeübte lesbar. In der letzten Spalte ist der Preis vermerkt, oder ob es sich um ein Geschenk beziehungsweise Tausch handelte. Im ersten Jahr 1948 wurden demnach 516 Bücher angeschafft (heute sind es bis zu 5000 pro Jahr), das erste mit dem Titel "Recht der Arbeitslosenversicherung". Es hat 3,90 Mark gekostet.

Wie viele Zahlen in den 500.000 Büchern, Heften, Zeitschriftenbänden, Karten und CD-ROM gespeichert sind, vermag niemand auch nur annähernd zu schätzen.

Trotzdem hat das Gedächtnis der Bundesrepublik, wie das Statistische Bundesamt gerne genannt wird, nicht für alles eine Zahl parat: "Manchmal müssen wir einfach passen", schmunzeln Neumann-Dübal und Hinkes.

Bei manchen Anfragen müssen die Mitarbeiter passen und an andere Stellen verweisen

Beispielsweise habe mal jemand wissen wollen, wie viel Geld ein Kinofilm eingespielt habe. "Dafür sind aber andere zuständig." Im Bundesstatistikgesetz haben die Politiker genau festgelegt, welche Daten das Statistische Bundesamt erheben darf. Etwa 400 Statistiken - von der Geburtenrate über Bierkonsum bis zum Außenhandel - sind vorgeschrieben.

Trotzdem haben die Statistiker nicht auf alles eine Antwort: So wollte jemand wissen, ob die Entwicklung der Quantentheorie Anfang des 20. Jahrhunderts die Zahl der Physikstudenten hat anschwellen lassen. Die Zahlenhüter mußten passen. Damals wurden die Studiengänge Mathematik, Physik und Pharmazie nämlich unter dem Sammelbegriff Naturwissenschaften registriert.

Schon viel differenzierter sind die Statistiker dagegen 1948 bei den Schlachtungen vorgegangen: In Wiesbaden wurden damals im Juni zwei Ochsen "bis zwei Jahre" geschlachtet. Und zwar gewerblich. "Hausschlachtungen: keine." Die Unterabteilung "koschere Schlachtungen" wiederum gab es dagegen

Das Amt

Bekannt ist das Statistische Bundesamt mit seinen 2700 Mitarbeitern vor allem wegen seiner täglichen Pressemitteilungen: Die Themen reichen vom Absatz von Tabakwaren über die Geburtenrate und Preissteigerungen bis zum Bierkonsum.

Alle Daten werden der Öffentlichkeit, Unternehmen, Verbänden, Politikern und Ministerien zur Verfügung gestellt.

Die vielen Zahlen werden zum Teil aus Meldungen der Statistischen Landesämter zusammengestellt, zum Teil durch eigene Erhebungen ermittelt.

Der Präsident des Statistischen Bundesamts ist zugleich Bundeswahlleiter.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (die fünf Wirtschaftsweisen) hat seine Geschäftsstelle ebenfalls in der Behörde in Wiesbaden am Gustav-Stresemann-Ring 11.

www.destatis.de

Frankfurter Rundschau - 19.8.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

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