Sinti und Roma erzählen vom Grauen der Verfolgung
Opfergruppe beklagt geringes Interesse an „unserem Holocaust" / Landesregierung ermuntert Schulen zur Auseinandersetzung

Hessische Sinti und Roma, die die Nazizeit überlebt haben, erzählen in einem neuen Buch ihre Geschichte. Zugleich beklagen sie, dass die Feindseligkeit bis dato anhalte.

Wiesbaden Die alten Menschen sitzen in ihren Wohnzimmern, zeigen Fotoalben und erzählen furchtbare Geschichten aus ihrem Leben. „Meine Kindheit, meine Jugend waren über Nacht zu Ende", sagt etwa Amanda Meyer. „Denn als ich noch keine 14 Jahre alt war, kam frühmorgens die Polizei zu uns und holte mich, meine Mutter und meinen kleinen Bruder ab." Die Sinti-Familie wurde ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt, wo die Nazis Amandas Mutter und ihren Bruder ermordeten.

Amanda Meyer ist eine der mehr als 20 deutschen Sinti und Roma, deren Erinnerungen an Demütigung, Flucht und Deportation während der Nazizeit jetzt in einem Buch und als Videoaufnahme aufgezeichnet wurden. Es sei höchste Zeit gewesen, die Schicksale der Überlebenden zu dokumentieren, sagt Adam Strauß vom Verband Deutscher Sinti und Roma. Strauß ist Vorsitzender des Landesverbandes Hessen. Er hat Buch und CD-ROM herausgegeben, mit finanzieller Unterstützung der Landesregierung.

Alle Befragten seien weit mehr als 70 Jahre alt, etliche bereits zwischen dem Interview und der Veröffentlichung gestorben, sagt Strauß. Die Zeitzeugen würden den kommenden Generationen fehlen, meint auch Kultus-Staatssekretär Joachim Jacobi (CDU). Umso wichtiger sei es, dass Schulen das Buch und die CD mit ihren Berichten nutzten, um authentisch über den Völkermord an Sinti und Roma zu informieren.

Die staatliche Unterstützung für die Veröffentlichung liegt Adam Strauß besonders am Herzen. Denn er beobachtet in der deutschen Gesellschaft nicht nur ein völliges Desinteresse an „unserem Holocaust", sondern auch unveränderte Vorbehalte gegenüber Sinti und Roma. „Die Vorurteile, die mein Vater in der Schule erlebt hat, die habe ich erlebt, die hat mein Sohn erlebt und heute erlebt sie mein Enkel", sagt Strauß.

Auch in den Berichten der Zeitzeugen spielt die auch in der Nachkriegszeit anhaltende Feindseligkeit eine Rolle. Noch in den 50er Jahren habe die Entschädigungsbehörde „ganz im Sinne des Nationalsozialismus" argumentiert, erzählt Spinetta Weimer. Noch immer ist sie fassungslos. „Ich glaube", sagt sie, „dass die Leser nicht annähernd nachempfinden können, was wir erlebt haben." So ist das Buch auch ein Versuch, unsagbare Leiden aus der Verfolgung auszudrücken. pitt von bebenburg
 

„Flucht, Internierung, Deportation, Vernichtung - Hessische Sinti und Roma berichten über ihre Verfolgung wahrend des Nationalsozialismus" - Bearbeitet von Josef Behringer, Seeheim, 2005, 252 Seiten, 25,50 Euro (mit CD-ROM)

Frankfurter Rundschau - 17.2.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR