1909: Es ist ein Jahr, in dem Weichen gestellt werden. Die Stadt baut, wächst und setzt mit der Luftfahrt und Forschung auf die Zukunft

Stadt im Aufwind
Mit der Internationalen Luftfahrtausstellung wagte sich die Stadtregierung vor

Von Lukas Gedziorowski

Ein völlig neues und niegeschautes Kulturwerk" soll sie gewesen sein, die Internationale Luftfahrtausstellung in Frankfurt. Oberbürgermeister Franz Adickes nannte sie zumindest so bei ihrer Eröffnung am 10. Juli vor 100 Jahren. Sie war die erste ihrer Art, eine Pionierausstellung. Die Luftfahrt befand sich in den Kinderschuhen, erst sechs Jahre zuvor war der erste motorisierte Flug der Brüder Wright gelungen. Die Luftfahrtausstellung „ist der erste Rechenschaftsbericht, den sich der Mensch über die Erfüllung seines alten Traumes gibt, endlich fliegen zu können", schreibt Walter Gerteis in seinem Buch „Das unbekannte Frankfurt".

Bis zum 17. Oktober 1909 haben 360 Firmen und Konstrukteure in der Festhalle ihre Motoren, Modelle und Propeller ausgestellt. 431 Ballons sind aufgestiegen, 1200 Flüge hat es insgesamt gegeben. Zu sehen waren Eindecker, Doppeldecker, Gleitflugzeuge und der Flugapparat, mit dem der Flugpionier Otto Lilienthal verunglückt ist, eine Maschine der Brüder Wright. Hinter der Festhalle lag die Ballonwiese mit fünf Ballonhallen.

Der Mann, der die Ausstellung nach Frankfurt geholt hatte, war Oberbürgermeister Franz Adickes. Er verfolgte den Fortschritt der Luftfahrt, beobachtete wie sich Ballons zu Luftschiffen entwickelten, die ersten Versuche mit Flugmaschinen unternommen wurden. Der „Frankfurter Verein für Luftschiffahrt" hatte das Interesse des Stadtoberhaupts geweckt. Über Frankfurt hatte man bis zu diesem Zeitpunkt nur Luftballons, noch nie aber ein lenkbares Luftschiff oder gar ein Flugzeug gesehen.

Stadt imn Aufwind

Die Flugschau in und an der Festhalle bestärkte den Glauben an den Fortschritt.
 

Die Bedingungen waren günstig: Die Festhalle war gerade neu errichtet und bot den perfekten Ort für eine Ausstellung, die alles zusammenfassen sollte, was mit dem Fliegen zusammenhing. Möglich machten das die Spenden von 1,25 Millionen Goldmark, die Adickes bei Frankfurter Bürgern einsammeln konnte.

Auf die Rückendeckung von Franz Linke konnte sich Adickes verlassen. Der Dozent beim hiesigen Physikalischen Verein und Leiter des Meteorologisch-Geophysikalischen Institutes richtete einen Warndienst für Ballonflüge ein, aus dem sich der heutige Flugwetterdienst entwickelt hat. Linke gründete auch die deutsche Bio-Klimatik.

Der denkwürdigste Tag ist der 31. Juli, als Graf Zeppelin mit seinem Luftschiff auf dem Flugplatz am Rebstock landete. Der Graf hinterließ Eindruck: Schaulustige jubelten ihm zu und die Frankfurter widmeten ihm eine Allee -ganz zu schweigen von der „Zeppelinwurst" und dem „Zäppelwein". Ein anderes Luftschiff fuhr weniger glücklich und bescherte Frankfurt den ersten Flugunfall. Die „Parseval" verlor bei einem Flug an Höhe und schlitzte sich am Dach der Feuerwache in der Frankenallee den Bauch auf. Niemand wurde verletzt.

Der einzige deutsche Motorflieger war August Euler. Ihm glückte ein Minutenflug in acht Metern Höhe und ein Flug von zwei Minuten und 32 Sekunden. Zwei Jahre später zog er mit seiner Fliegerschule und seinen Werkstätten von Griesheim bei Darmstadt nach Niederrad. Die Fabrik war in Deutschland die größte ihrer Art und stellte bis 1918 von Euler konstruierte Flugzeuge für Krieg und Frieden her.

Auf dem Rebstockgelände entstand der erste Flugplatz Frankfurts für Flugzeuge, die Basis für den späteren Flughafen. Anfang Oktober 1909 wurde dort die Fliegerwoche ausgetragen. Der Belgier Baron de Caters erhielt 40.000 Goldmark für den längsten Flug von einer Stunde und 17 Minuten. Die größte Höhe von 130 Metern erreichte Henri Rougier.

Nach 99 Tagen endete die Ausstellung mit einer Katastrophe. Am letzten Tag starb ein Monteur bei der Explosion einer Pulverkammer. Auch sonst war das Spektakel nicht von großem Erfolg gekrönt: 63 Tage waren verregnet, die Ausstellung schloss mit beachtlichem Defizit. Doch Mehrwert hat das Ereignis bis heute: Frankfurt ist eine Fliegerstadt oder, wie der Schriftsteller Max Geisenheyner 1959 schrieb, ein „Motor der Luftfahrt".


FRANKFURT 1909

In der früheren Villa von Heinrich Baron von Liebig wurde die Skulpturensammlung eröffnet.

Für die Messen steht künftig ein gewaltige Kuppelbau zur Verfügung, die neue Festhalle.

In Eschersheim gründen Freunde des Fußballsports einen Verein, der bis heute Eschersheim 09 heißt.

In Höchst orientiert sich der Kanarienzucht- und Vogelschutzverein ebenfalls an der Jahreszahl und setzt seinem Vereinsnamen bis auf den heutigen Tag stets das Gründungsjahr 1909 hinzu.

Graf Zeppelin landet am 31. Juli mit seinem Luftschiff auf dem Flugplatz am Rebstock.

Der Alleenring steht künftig als Verknüpfung der Stadtteile rund um die Innenstadt zur Verfügung. Gleichzeitig verbindet die Verkehrsachse zwischen Hauptbahnhof und Zoo die wichtigsten Straßenzüge miteinander, die in Richtung Stadt führen.

Besondere Zeiten
Wie Franz Adickes den Frankfurtern den Fortschritt schmackhaft machte

Von Matthias Arning

Es gibt so Zeiten, die einem in der Rückschau als ganz besondere Zeiten erscheinen. Jahre, in denen sich alles zu ballen scheint. 1909 ist so ein Jahr, von dem man heute das Gefühl hat: Die Menschen müssen das gespürt haben, eine Ahnung davon entwickelt haben, in ganz besonderen Zeiten zu leben. 1909 - das ist das Jahr, in dem Frankfurt seiner Umgebung demonstrativ zeigt: Die Zugehörigkeit zu dieser prosperierenden Stadt muß nicht das Schlechteste sein, eine Eingemeindung kann durchaus vielversprechend sein, wenn man den Puls des Fortschritts fühlen kann.

1909 ist der vorläufige Höhepunkt einer Übergangszeit, der Gipfel der Industrialisierung einer optimistischen Stadt, die ihren Willen zum Voranschreiten in gewaltigen Bauwerken manifestierte. Der Festhalle etwa. Das ist eine dieser Wegmarkierungen, die sich allerdings nicht allein an Gebäuden großer Dimension festmachen läßt. Mit dem Zustrom in die Stadt verbindet sich auch der neue Anspruch an Mobilität. Das führt zur Erweiterung des Osthafens. Und zur Fertigstellung der zweiten Ringstraße um die Kernstadt - des Alleenrings, der 1909 eröffnet wird. Das Band zeichnet die äußere, aus dem Mittelalter stammende Verteidigungslinie nach.

Wie der Anlagenring, der engere Kreis um die Innenstadt, verknüpft der Alleenring die Straßen miteinander, die aus der Peripherie ins Zentrum führen. Das Zentrum einer Peripherie, die im Jahr drauf erheblich wachsen wird: Am 1. April des Jahres 1910 erlebt Frankfurt am Main seine erste große Welle an Eingemeindungen, die die Stadt vor allem in nördlicher Richtung etwa um die bis dahin eigenständigen Dörfer Ginnheim, Eschersheim und Bonames erweitert. Die zweite Phase der Vergrößerung steht der Stadt erst 1928 bevor. Den einstweiligen Schlußpunkt der Gebietsreformen, die aus einer Kernstadt das Herz einer Metropolregion machen sollen, setzt man 1972: Diese Eingemeindungen gehörten zu einer Ideenwelt, in der Rhein-Main als eine Regionalstadt zwischen Bad Homburg und Rüsselsheim auftauchte.

Von Osten aus entfaltet sich der Alleenring im Kostend über das östliche Nordend, führt recht bald an der Friedberger Landstraße vorbei und erschließt dem Durch fahrenden nacheinander Bornheim und das Nordend. Am Anschluß zur heutigen Autobahn 66 vorbei zieht sich der Alleenring nach Bockenheim weiter, um über die Senckenberganlage die Messehalle zu streifen und dann über die Friedrich-Ebert-Anlage zielstrebig auf den Hauptbahnhof zuzulaufen.

Prominente Namensgeber

In unmittelbar aneinander grenzenden Abschnitten ist der Alleenring nach Männern benannt, die die politischen Geschicke dieser Stadt in drei Jahrzehnten ihres damals tiefgreifenden Umbruchs bestimmten: Zwischen der Eckenheimer Landstraße und der Eschersheimer Landstraße heißt der Alleenring Adickesallee, zwischen der Eschersheimer Landstraße und der Zeppelinallee in Bockenheim ist die heutzutage vierspurige Straße nach Johannes von Miquel benannt.

Miquel regierte die Kommune von 1880 an ein Jahrzehnt lang. Sein Name verbindet sich bis heute mit dem Bau der ersten Kläranlage, der Kanalisierung des Mains, vor allem aber mit der Entstehung des Hauptbahnhofs. Nicht minder tiefe Spuren in der Stadtgeschichte hinterließ unmittelbar anschließend Franz Adickes, der Miquels Kurs der Urbanisierung des wachsenden Frankfurts konsequent fortzusetzen schien. Mehr als zwei Jahrzehnte wirkte Adickes am Main. Der Mann, der wie sein Vorgänger ein Grabmal auf dem Hauptfriedhof hat, bemühte sich darum, den Frankfurtern den Fortschritt schmackhaft zu machen.

Frankfurter Rundschau - 10.7.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR