Steine in den Weg gelegt
Erinnerungsaktion für jüdische Nazi-Opfer trifft in Wetzlar auf Widerstand

Von Joachim F. Tornau

Das Bild liegt so nahe, daß es fast jeder benutzt, mit dem man über das Thema spricht: Der Weg, der in Wetzlar zur Verlegung von „Stolpersteinen" führte, war steinig. Nach mehr als zweijährigen Auseinandersetzungen werden am Donnerstag die ersten Gedenktafeln gesetzt - allerdings nur für sechs der 54 Wetzlarer Juden, die von den Nazis deportiert wurden. Auch für Klara Lind, die als 57-Jährige in Auschwitz starb, wird es keinen Stolperstein geben. Dabei waren es ihre Nachkommen, die die Erinnerungsaktion angestoßen hatten.

Sie waren dabei auf erhebliche Widerstände gestoßen. Von „Verschandelung" sei die Rede gewesen, als sie im Sommer 2007 den ersten Anlauf unternommen und eine prompte Absage der Stadtverwaltung kassiert habe, erinnert sich Barbara Dietz-Becker.

Erste Abfuhr

Die Pressesprecherin der Bildungsgewerkschaft GEW in Hessen und Urenkelin von Klara Lind wandte sich an Oberbürgermeister Wolfram Dette - und bekam die nächste Abfuhr: „Da sich der überwiegende Teil der von diesem Projekt angesprochenen Gebäude im Bereich der Wetzlarer Altstadt befindet", schrieb der FDP-Politiker, sei der bei „Maßnahmen der Stadtbildgestaltung" zuständige Denkmalbeirat eingeschaltet worden. Und der habe sich dagegen ausgesprochen.

Aberwitziger Vorschlag

Das Gremium verwies darauf, daß es ja bereits ein Memorial auf dem jüdischen Friedhof gebe, und machte sich die Argumentation von Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, zu eigen: Die Namen der Opfer würden mit Füßen getreten. Noch schärfer formulierte es die Wetzlarer Bürgervereins-Vorsitzende Doris Ebertz: Als Wortführerin der Gegner verglich sie die Markierung der Häuser, in denen Holocaust-Opfer gewohnt hatten, mit der Pflicht zum Tragen des gelben Sterns in Nazi-Deutschland: „Erneut" würden Juden gekennzeichnet, ohne sich wehren zu können.

Daß die Sensibilität auch bei den Befürwortern des Projekts nicht allzu ausgeprägt ist, bewies der Vorschlag, den SPD-Fraktionsvize Manfred Wagner als „1b-Lösung" unterbreitete: Man könne ja den Mädchennamen von Klara Lind verwenden. „Geradezu aberwitzig" findet das Dietz-Becker. Ihrer Urgroßmutter, der wie allen Jüdinnen in Nazi-Deutschland der zusätzliche Vorname „Sara" verordnet worden war, solle jetzt posthum ihr Nachname genommen werden.

Und: „Meine Mutter konnte nach ihrer Geburt acht Jahre lang den Namen ihres Vaters Erich Lind nicht tragen." Denn der galt den Nazis als „Halbjude" und wurde deshalb nach der Geburt des Kindes wegen „Rassenschande" ins KZ Buchenwald deportiert. Erst nach 1945 durften die Eltern heiraten. Den Namen Lind nun auch bei der Erinnerung an die Verfolgung zu streichen, wäre für ihre Mutter daher unerträglicStolpersteine Wetzlar 001h, sagt Barbara Dietz-Becker.

Schließlich stimmte das Stadtparlament dem Projekt doch noch zu. Die Stolpersteine sollen nur verlegt werden, wenn die Nachkommen der Opfer ausfindig gemacht werden und ausdrücklich zustimmen. Was die meisten Familien, sofern sie überhaupt aufgespürt wurden, jedoch nicht taten.

Früher Einsatz

Auch bei Klara Lind widersprach ein Enkel. Und andere Verwandte wurden von der Stadt gar nicht erst befragt. „Uns war niemand sonst bekannt", beteuert Klaus Gürsch, Referent des Oberbürgermeisters.

An Barbara Dietz-Becker, ihre Mutter und Tanten erinnerte man sich im Rathaus offenbar nicht mehr - trotz ihres frühen Einsatzes für die Stolpersteine. Oder auch gerade deswegen, wie die enttäuschte Urenkelin Klara Linds vermutet: „Unsere Initiative war ihnen ein Ärgernis und ist es ihnen immer noch."

 

 

 

 

GEDENKTAFELN

Vor fast 15 Jahren setzte der Künstler Gunter Demnig in Köln erstmals Messingplatten mit den Namen jüdischer Nazi-Opfer ins Straßenpflaster - zunächst noch ohne Erlaubnis.

Die „Stolpersteine" gelten als größtes dezentrales Mahnmal der Welt: In über 480 Städten wurden sie verlegt.

Die Gedenktafeln sind zehn mal zehn Zentimeter groß, tragen Namen und Lebensdaten der Holocaust-Opfer und werden vor deren letzten selbst gewählten Wohnhäusern in den Gehweg eingelassen.   jft

Frankfurter Rundschau - 21.10.09 -
mit freundlicher Erlaubnis der FR