Virtuelles Gedächtnis
Ein Internet-Archiv der TU Darmstadt rekonstruiert zerstörte Synagogen, Detail für Detail
Von Anne Lemhöfer

Einmal hat ein alter Mann in Tel Aviv seine Kippa aufgesetzt, als Marc Grellert aus Darmstadt seinen Laptop hochgefahren hat. Mehr als einmal standen Menschen Tränen in den Augen, während sich der Architekt durch seine Präsentation geklickt hat. Marc Grellert ist mit seinem Laptop viel unterwegs - denn das, was er darauf zeigt, ist einmalig in Deutschland, es ist sogar einmalig in der Welt.

Marc Grellert lehrt an der TU Darmstadt das Fachgebiet Informations- und Kommunikationstechnologie in der Architektur. Am Computer rekonstruiert er anhand von alten Fotos und Zeitzeugenaussagen dreidimensionale, maßstabsgetreue Innen- und Außenansichten von Synagogen, die während des Nationalsozialismus von den Deutschen zerstört wurden. Es geht Marc Grellert aber nicht nur um virtuelle Architektur. Es geht ihm um Erinnerung.

Zerstörte Pracht

Leiser Gesang ist zu hören. Die Kamera fährt, vorbei an hölzernen Stuhlreihen, zum Thoraschrein an der Ostwand, und hoch in die prächtige gotische Kuppel der Münchner Hauptsynagoge. Durch die Fenster-Rosetten fällt Sonnenlicht, und wirft helle Streifen auf den roten Teppich im Hauptschiff. Filme, originalgetreue Ansichten aus fast jedem Winkel, austarierter Lichteinfall und eine Fülle von Details: Elf deutsche Synagogen haben Marc Grellert und seine Mitarbeiter als SD-Computersimulationen neu geschaffen.

Anklicken lassen sich Eckdaten der Geschichte, Originalfotos und ein Forum für User, die zu einer Vervollständigung des Wissens über zerstörte jüdische Gotteshäuser beitragen möchten. „Wir wollen ausloten, welche Potentiale das Internet für partizipatorisches Erinnern hat", sagt Grellert.

Eine virtuelle Erinnerungskultur, das Zurückdenken im immateriellen Raum, könne aus architekturhistorischer Sicht viel leisten, glaubt der Darmstädter Wissenschaftler. Oft sei das gerade am Beispiel von Synagogen der einzige Weg, eine Vorstellung von den Zentren geistlichen jüdischen Lebens in Deutschland oder Österreich zu bekommen - geeigneter noch als der Augenschein. Waren doch nur wenige Synagogen an architektonisch prominenten Orten in den Städten errichtet. Oft trafen sich die Gläubigen in schlichten Wohnhäusern. „Darauf weisen bis heute höchstens kleine Plaketten hin, oft nicht mal das", ist die Erfahrung Grellerts. Aus dem Darmstädter Archiv ist eine virtuelle Community geworden, an der sich Juden und Nicht-Juden, Zeitzeugen und deren Kinder, Architekten und Religionswissenschaftler aus 49 Ländern austauschen.

Weltweite Online-Community

Manche schicken private Fotos aus der Zeit vor der Reichspogromnacht 1938, die Grellert dabei helfen, sich eine Synagoge vorzustellen, die er rekonstruieren möchte. Denn klar ist: Ganz perfekt sind die Nachbauten nie.

Es ist die Ergriffenheit der Menschen während der öffentlichen Präsentationen Gellerts, die ihm zeigen: Nicht nur architektonisch, auch atmosphärisch ist ihm die Darstellung sakraler Pracht vor ihrer Zerstörung nahezu geglückt.

SYNAGOGEN-ARCHIV

Unter www.synagogen.info bietet das Synagogen-Internetarchiv an der TU Darmstadt Infos über 2200 Synagogen, die von den Nazis geschändet oder zerstört wurden.

Von elf Synagogen in Berlin, Dortmund, Dresden, Köln, Frankfurt, Hannover, Kaiserslautern, Leipzig, München, Nürnberg und Plauen gibt es 3D- Computersimulationen.

Von den rund 2800 Synagogen und Betstuben, die 1938 existierten, wurden mehr als 1100 zerstört. Heute stehen an 900 Standorten Synagogen oder deren bauliche Überreste.

Das Archiv ist seit dem 9. November 2002, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, online.

Frankfurter Rundschau - 26.6.07 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

http://www.cad.architektur.tu-darmstadt.de/synagogen/inter/menu.html

Eine Verlinkung auf einzelne virtuelle Synagogen ist aus technischen Gründen leider nicht möglich. Wir hoffen auf Abhilfe. / Webmaster

Folgen Sie dem Link - die Computer- Rekonstruktionen zeigen in begeisternden Bildern, was die Nazi- Horden zerstört haben.