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Politik aus dem Acker Von Anita Strecker Der Knaller lag in zwölf Metern Tiefe. Ganz unten in einem alten Holzfaß, das die Römer als Brunnengrube ins ausgeschachtete Erdreich gesetzt hatten. Gabriele Rasbach erzählt, als wäre die Szenerie im idyllischen Grabungsfeld Waldgirmes bei Wetzlar nicht vorigen August, sondern gestern gewesen. Aber wer vergißt schon, wie es war, einen ungewöhnlich detailreich gearbeiteten Pferdekopf aus Bronzeguß und mit Blattgold verziert aus einem zugeschütteten Brunnen zu ziehen? Just zum Abschluß von fast 16 Jahren Grabungsarbeiten. Adrenalin schießt bis zur Schädeldecke, das Herz klopft bis zum Hals, während die Hände Schlamm abstreifen, bis Metall zum Vorschein kommt, und man weiß, das ist Teil des ehemals lebensgroßen Reiterstandbilds - wahrscheinlich Kaiser Augustus -, auf das mehr als 180 Fundstücke aus den Jahren zuvor wie Puzzleteile hingewiesen haben. „Das ist wie bei einem Leistungssportler, der olympisches Gold gewinnt", sagt Rasbach. Das Gold will allerdings wohl behütet sein. Das Fundstück, das Gabriele Rasbach mit ihrem Kollegen Armin Becker ans Tageslicht holte, ist mittlerweile in Wiesbaden-Biebrich zur Restauration. Die beiden Wissenschaftler selbst, die für die Römisch-Germanische Kommission unterm Dach des Deutschen Archäologischen Instituts gegraben und geforscht haben, haben in den nächsten beiden Jahren genug zu tun, die vielen „sensationellen" Erkenntnisse dieses „einzigartigen" Grabungsortes zwischen zwei Buchdeckel zu bringen, wie Rasbach sagt. Chronologie der Arbeiten Eine grobe Zusammenfassung der Chronologie der Arbeiten haben sie schon mal öffentlichkeitswirksam als Ausstellung zusammengestellt, die ab heute in der Galerie der Stiftung der Frankfurter Sparkasse, Neue Mainzer Straße 49 (bis zum 14.4.10), zu sehen ist. In Wort und Bild legen die Wissenschaftler dar, wie es damals begann, als Gerda Weller, die als ehrenamtliche Mitarbeiterin des Landesamts für Denkmalpflege über Äcker streift, um Fundorte aufzutun, tatsächlich römische und germanische Keramikscherben mitbrachte. 1993 folgten die ersten Sondierungsgrabungen. Dank Luftbildarchäologie und Geomagnetik konnten die Wissenschaftler ein rechteckiges Grabenwerk ausmachen - ganz klar: militärische Anlage. „Nur später bei den Ausgrabungen hat die Architektur plötzlich gar nicht mehr zu militärischen Anlagen gepaßt", sagt Gabriele Rasbach. Die Archäologen stoßen vielmehr auf die Fundamente eines Forums - untrügliches Zeichen für eine römische Stadt. Dunkle Spuren im Untergrund - die Reste hölzerner Fundamente - lassen Stück für Stück die Grundrisse von Wohnhäusern erkennen, wie sie nur in römischen Städten üblich waren. In Waldgirmes gründeten die Römer eine neue Stadt. „Stützpunkt-Strategie", um die losen germanischen Siedlungen ohne zentrale Herrschaftsstruktur zur römischen Provinz zu machen. Die Stadt sollte neue Heimat für Händler, Handwerker, auch verdiente Veteranen werden, die für ihre langjährigen Dienste mit eigener Scholle belohnt wurden, sagt Rasbach. Schon diese Entdeckung ist eine Sensation - die erste zivile Stadtgründung östlich des Rheins. Und Bauhölzer aus dem ersten Brunnen liefern das genaue Datum: 4 v.u.Z. Waldgirmes wird damit neben dem Schlachtfeld Kalkriese, Ort der berühmten Schlacht im Teutoburger Wald, zum wichtigsten Grabungsfeld, das Aufschluß über die Germanienpolitik von Kaiser Augustus gibt. „Mit Traumbedingungen für Archäologen", sagt Rasbach. Ein homogenes Grabungsfeld in freier Flur, das eine kurze Zeit umreißt. „Vier vor Christus bis 16 nach." Dann war Schluß mit der Trabantenstadt, auch das können die Wissenschaftler belegen. Tiberius, Nachfolger von Augustus, orderte den Rückzug aus Germanien. In Waldgirmes wird nicht mehr gegraben. Für Gabriele Rasbach ist das gut so. „Mit jeder Schippe erwartet jeder den nächsten spektakulären Fund. Aber den wird es nicht geben." Teile des Reiters wurden in vier Kilometern Entfernung entdeckt. Bronze war ein wichtiger Rohstoff, Augustus also ein begehrtes Recyclingprodukt. Und das Grabungsfeld wird wieder Acker. Sein Geheimnis hat es preisgegeben. SCHÄTZE AUS DER VERGANGENHEIT Bedeutung: In Lahnau-Waldgirmes bei Wetzlar haben Archäologen erstmals die Spuren einer römischen Stadtgründung im rechtsrheinischen Germanien entdeckt. Seit 1993 laufen die Ausgrabungen mit sensationellen Funden wie dem goldüberzogenen Pferdekopf aus Bronzeguß, vermutlich Rest einer lebensgroßen Reiterstatue von Kaiser Augustus. Restaurierung: Der Pferdekopf (Länge 55 Zentimeter, Gewicht 14 Kilo) wird in den nächsten zwei Jahren in den Werkstätten der Hessischen Landesarchäologie im Wiesbadener Schloß Biebrich restauriert. Kosten: rund 150.000 Euro. Mehr Informationen finden Sie hier: Römerforum: Deutsches Archäologisches Institut: Speziell über die Ausgrabungen in Waldgirmes: Spuren der Jahrtausende: Bild vom Pferdekopf: Bild Pferdekopf / groß: Frankfurter Rundschau - 17.3.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR |