Der OB, der Frankfurt wieder aufbaute
Heute jährt sich zum 50. Mal der Todestag von Walter Kolb / Sehr beliebt bei der Bevölkerung

Der erste gewählte Frankfurter Oberbürgermeister der Nachkriegszeit regierte die Stadt von 1946 bis 1956. Er hinterließ eine wiederaufgebaute Stadt, über deren Schönheit man streiten kann. Unbestreitbar hingegen sind Kolbs Verdienste um die Stadt am Main.
von Stefan Behr

Frankfurt - Manchmal beginnen große Dinge mit einem blöden Spruch. Der 21 Jahre alte Walter Kolb bummelt Pfingsten 1932 während der Jahrestagung des Reichbunds demokratischer Jugendvereine durch Frankfurt. Am Rathaus stößt er auf einen Sinnspruch: „Geht dir Rat aus, geh aufs Rathaus." Und was soll man sagen: Am 1. September 1946 wird Kolb Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt. Und bleibt bis heute der legendärste, wenn nicht gar der beste.

Über die Jugend wie überhaupt über das gesamte Privatleben Kolbs ist wenig bekannt. Am 22. Januar 1902 wird Walter Eugen Kolb in Bonn geboren. Dort besucht er auch das Gymnasium. Eltern sind der Kaufmann Eduard Kolb und die Koblenzer Försterstochter Clementine Stichler. Sein älterer Bruder Erich fällt 1916 im Ersten Weltkrieg.

Staatsexamen in der Haft

Schon früh wird Walter Kolb Mitglied der SPD. Mit dem Republikanischen Studentenkartell, das er 1922 gründete, kämpft Kolb gegen antidemokratische und antisemitische Tendenzen an den Universitäten. Das heißt nicht, daß er nicht überzeugter Patriot wäre - sein Eintreten für Deutschland führt dazu, daß er 1923 von den französischen Besatzern erstmals verhaftet wird und monatelang in U-Haft sitzt. Er nutzt die Haftzeit und legt im Bau sein erstes Staatsexamen ab.

Kolb macht schnell Karriere. 1924 wird er Gerichtsreferendar. 1931 beruft ihn das Landwirtschaftsministerium nach Berlin. 1932 wird er Landrat in Schmalkalden - er ist mit 30 der jüngste Landrat Preußens und ganz oben. Er heiratet Anna Maria Elisabeth Trimborn, eine Landratstochter. Er nennt sie Änne. Sie nennt ihn „mein Dicker". Zweifellos, Kolb ist ein Mann von Statur. Und Format. Das aber sind Eigenschaften, die im Dritten Reich wenig gebraucht werden. Nach der Hochzeit geht es beruflich bergab. Schon 1932 wird er wegen Einsparungen in den einstweiligen Ruhestand geschickt.

Nach der Machtergreifung ist für den begabten Rhetoriker Kolb, der den Nazis schon lange ein Dorn im Auge ist, im Staatsdienst gar nichts mehr zu wollen. Er denkt ans Auswandern, eröffnet dann aber eine Anwaltskanzlei in Bonn. 1940 stirbt seine Tochter kurz nach der Geburt. 1941 wird er zur Wehrmacht einberufen und muß zur Flakartillerie. Einziger Lichtblick in dieser Zeit: 1944 kommt sein Sohn Walter junior zur Welt.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wird der daran unbeteiligte Kolb 1944 von der Gestapo verhaftet. Er macht vorsichtshalber sein Testament, aber 1945 gelingt ihm auf einem Gefangenentransport die Flucht. Er versteckt sich bis zum Kriegsende.

Im Nachkriegsdeutschland startet der politisch unbelastete Kolb schnell eine zweite Karriere. Er wird Oberstadtdirektor von Düsseldorf, bis ihn 1946 der Ruf an den Main ereilt. Hier ist die SPD stärkste Partei. Sie ist mit 32 Sitzen im Parlament vertreten und hat vier Sitze mehr als die CDU. Bislang ist aber der Christdemokrat Kurt Blaun, einst OB von Hanau, der Stadtvater.

Kolbs Einstand sorgt für heftiges Parteiengezänk. Kolb kümmert es nicht. Er bezieht sein Büro in der Lindenstraße, ausgerechnet im ehemaligen Gestapo-Gebäude, und legt los.

Seine Schwerpunkte sind klar: Wohnungsbau, Messerevitalisierung, Flughafenausbau, Sportwiederbelebung. Dazu muß erst einmal aufgeräumt werden: Ganz Frankfurt liegt in Trümmern.

Die Trümmer-Verwertungs-Gesellschaft (TGV) wird gegründet. Von 1946 bis 1948 pendelt der Trümmerzug - von den Frankfurtern „Adolf-Hitler-Gedächtnis-Express" getauft, zwischen der Scheffelstraße und dem TGV-Gelände am Ostpark. Kolb greift publikumswirksam eigenhändig zum Preßlufthammer. Die Altstadt wird - nicht schön, aber funktionell - wiederaufgebaut, neue Siedlungen entstehen.

„Rede an die Deutschen“

Zugleich widmet sich der OB seinem Lieblingsprojekt: dem Wiederaufbau der Paulskirche. Am 18. Mai 1948 ist es soweit. Mit großem Programm wird die Kirche wiedereröffnet. 35.000 Zuschauer kommen. Kolb erhält als Erster die Paulskirchen-Plakette. Das eigens von Harald Genzmer komponierte „Frankfurter Konzert 1948" wird aufgeführt. Der aus New York angereiste, vor den Nazis geflohene Dichter Fritz von Unruh hält eine bewegende „Rede an die Deutschen", die auch ihn selbst dermaßen bewegt, daß er am Rednerpult ohnmächtig wird.

Die Bevölkerungszahl steigt, die Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf. Unter Kolb blüht nicht nur die Kultur, sondern auch der Sport. 1948 wird das Frankfurter Turnfest gefeiert. Der als Schüler eher unsportliche Kolb hat sich gemausert. Er schwimmt täglich durch den Main, bis der zu dreckig wird. Zehn hochmütigen FR-Journalisten, die Kolb 1949 zu einem Wettschwimmen im Kahler See herausfordern, ergeht es schlecht. Nur zwei erreichen das Ziel, zwei müssen per Ruderboot gerettet werden. Der 115-Kilo-Mann Kolb schwimmt die sechs Kilometer in einer Stunde und 40 Minuten und siegt klar. Im Eifer des Gefechts platzt ihm die Badehose. Der Spiegel druckt das unvorteilhafte Foto bundesweit. Viele Frankfurter sind empört. Kolb lacht sich schlapp.

Auch deshalb wird er bei den Frankfurtern immer beliebter. Er hat nur einen Mißerfolg zu verbuchen: daß Bonn 1949 Bundeshauptstadt wird. Der bereits gebaute Plenarsaal des Bundestags an der Bertramstraße wird von Frankfurter Schlappmäulern als „Kolbs Badewanne" bezeichnet.

1954 wählt der Magistrat Kolb mit deutlicher Mehrheit für weitere zwölf Jahre. Aber die zweite Amtszeit wird kurz. Der zuckerkranke Vielarbeiter, der bereits mehrere Herzinfarkte hinter sich hat, mutet sich zu viel zu. Er läßt sich 1950 gar noch in den Landtag wählen. Am 20. September 1956 stirbt der um 80 Pfund abgemagerte Kolb an einem Herzinfarkt.

Er wird auf dem Hauptfriedhof beigesetzt. Mehr als 100.000 Menschen kommen zu einem imposanten Trauerzug. Kurz vor seinem Tod äußert Kolb, von dem man mit Fug und Recht sagen kann, daß er Frankfurt wiederaufgebaut hat, gegenüber dem Magistrat noch eine letzte Bitte: „Seid einig für unsere Stadt."        Stefan Behr

 

WALTER KOLB

  • Geboren wird Walter Kolb am 22. Januar 1902 in Bonn-Poppelsdorf. Er engagiert sich bereits früh für die SPD. 1922 wird er Mitbegründer des Deutschen Republikanischen Studentenbundes, dessen Reichsvorsitzender er wurde. 1924 Mitbegründer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold.
  • Nach dem Studium macht Kolb politische Karriere und wird Landrat im Kreis Schmalkalden. Während der Nazizeit wird er mehrfach von der Gestapo verhaftet.
  • Nach dem Krieg wird Kolb zunächst Oberstadtdirektor in Düsseldorf. Von 1946 bis 1956 ist er Oberbürgermeister von Frankfurt am Main. Er stirbt am 20. September 1956 nach einem Herzinfarkt.
  • Mehr über Walter Kolb findet sich in „Seid einig für unsere Stadt", 144 Seiten, Verlag Waldemar Kramer. SKB

 

Frankfurter Rundschau – 20.9.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Kolb kämpfte “... gegen antidemokratische und antisemitische Tendenzen an den Universitäten. Das heißt nicht, daß er nicht überzeugter Patriot wäre...” - nanu, Stefan Behr, was ist denn das für eine seltsame Deutung? Waren die vielen anderen Kämpfer gegen die Unfreiheit, die sich in der Weimarer Republik früh auftat, vielleicht doch “vaterlandslose Gesellen”?
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