Wie auf Schienen
Die elektrische Straßenbahn wird in der wachsenden Stadt schnell zum Erfolgsmodell

Von Jürgen Schultheis

Keine Phase des Frankfurter Wachstums ist so dramatisch verlaufen wie der Zeitabschnitt zwischen 1866 und 1910, zwischen preußischer Besetzung der Stadt nach der Niederlage Österreichs gegen Preußen und der Eingemeindung des Landkreises Frankfurts mit seinen 13 Gemeinden (unter ihnen Berkersheim, Eckenheim, Bonames, Hausen, Praunheim und Ginnheim). Eine Phase, in der die Stadt räumlich wächst und die Zahl der Einwohner von rund 75000 (1866) auf mehr als 400000 (1910) steigt.

Den dramatischen Umbruch, verbunden auch mit der Phase der Hochindustrialisierung und der wachsenden Bedeutung des Nahverkehrs, hat die Stadt nur deshalb meistern können, weil Oberbürgermeister wie Johannes Miquel und Franz Adickes weitreichende Entscheidungen getroffen haben, die der Entwicklung Frankfurts genutzt haben. In diesem Konzept hat die elektrische Straßenbahn eine entscheidende Rolle gespielt. Ein Verkehrsmittel, wie es am 18. Februar 1884 zunächst zwischen Frankfurt und dem damals selbstständigen Oberrad und acht Wochen später bis nach Offenbach eingesetzt wird. Eine Straßenbahn, die als gleisgeführtes Nahverkehrsmittel mit Schienen, die in die Straße eingelassen sind, in dieser Art eine der ersten weltweit und die erste in Deutschland gewesen ist.

Die Oberbürgermeister Miquel und Adickes stellen die Weichen für die neue Zeit

Frankfurt hatte allzu lange die Modernisierung der Stadt verschlafen - nicht zuletzt unter dem Einfluß des konservativen Altfrankfurter Stadtbürgertums, das kein Interesse daran hatte, die Stadt zu öffnen. Neben vielen anderen Innovationen modernisieren Miquel und Adickes vor allem den Nahverkehr. Dazu gehören etwa große Straßendurchbrüche, der Bau von Brücken über den Main - die Alte Brücke war bis ins späte 19. Jahrhundert die einzige Verbindung über den Main nach Sachsenhausen.

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Die Pferdetrambahn - ein Verkehrsmittel des Bürgertums, nicht der wachsenden Arbeiterschaft - konnte wegen der großen Reichweiten und des engen Straßenraums dem Ausbau der Ausfallstraßen nicht folgen. Weil die Stadt nicht wesentlich verdichtet, sondern in die Weite wachsen sollte, und weil mit der Eingemeindung industrialisierter Gemeinden mit einem Mal auch das Bedürfnis wächst, zwischen Wohn- und Arbeitsstätte pendeln zu können, setzen Miquel und vor allem Adickes auf den Ausbau der elektrischen Straßenbahn und auf die Kommunalisierung der bestehenden Strecken. Denn bis Ende des 19. Jahrhunderts sind die Tram- und Eisenbahnen im privaten Besitz. Die Vorteile, die sich dieStadt von der Kommunalisierung und Elektrifizierung der Straßenbahn und der Abschaffung der Pferdebahn versprechen, sind zahlreich: bessere Planung, höhere Geschwindigkeiten und mehr Betriebssicherheit, geringere Betriebskosten und eine generell höhere Leistungsfähigkeit des Straßenbahnsystems.

1890 mißt das Gleissystem des öffentlichen Personennahverkehrs in Frankfurt 28,4 Kilometer, auf dem im Jahr rund zehn Millionen Personen unterwegs sind. Zehn Jahre später ist das Gleisnetz auf 37 Kilometer mit 41 Millionen Fahrgästen angewachsen, 1910 sind es 69,9 Kilometer und 93 Millionen Personen. Der stetige Ausbau folgt den Erfordernissen der Zeit: „Mit der zunehmenden räumlichen Arbeitsteilung wurde die Dimension der Zeit zum Problem der innerstädtischen Kommunikation. Der Zeitfaktor wurde den Marktgesetzen unterworfen, die Überwindung von Raum zur abhängigen Größe von Zeit. Folge für das großstädtische Selbstverständnis: Das Potential an Erreichbarkeit hatte zu wachsen", schreibt Jörg Köhler in seinem aufschlußreichen Buch über den Städtebau im Frankfurt der Wilhelminischen Zeit. „Die Straßenbahn wurde nach der Eisenbahn zum Städtebildner in der Phase der Hochindustrialisierung."

1906 werden mehr als 200.000 Karten für Arbeitspendler verkauft

Der Startschuß für diese Entwicklung fällt am 18. Februar 1884. Und welche Bedeutung diese Innovation hat, zeigt die wachsende Nachfrage nach so genannten Arbeiterfahrkarten. 1906 werden in Frankfurt mehr als 206.000 Karten für die Arbeitspendler verkauft. Und auf der Strecke Frankfurt-Offenbach, auf der die erste elektrische Tram verkehrt, nimmt der Verkehr zwischen 1904 und 1906 um 300 Prozent zu.

Frankfurter Rundschau - 20.2.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

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