Auswanderung nach Australien:
Der Urgroßvater stammte aus Hochheim
FRANZ LUSCHBERGER

Für die Rheingauer spielte zeitweise vor allem Australien eine bedeutende Rolle als Einwandererland. Dies hat schon 1966 der Historiker Wolf-Heino Struck in seinem Buch „Die Auswanderung aus dem Herzogtum Nassau" hervorgehoben. Bereits 1838 waren 6 Familien aus Hattenheim von den englischen Grundbesitzern McArthur zur Förderung des Weinbaues nach Neusüdwales, einer der 6 australischen Kolonien, geholt worden. Von 1849 bis 1868 sind 981 Einwohner aus dem Rheingau, und zwar aus den nassauischen Ämtern Eltville und Rüdesheim und eine Person aus dem Amt Hochheim nach Australien ausgewandert. Dazu zählten „1855 ein Anzahl Arbeiter" und „1851 bis 1857 35 Personen aus Frauenstein", das damals zum Rheingau gehörte. Der einzige Auswanderer aus dem Amt Hochheim in dieser Zeit (1856) war der 1829 geborene Weinbergsmann Georg Heinrich Kaufmann, eines von 10 Kindern und aus einer alten Winzerfamilie stammend.

Der Weinküfer Ludwig Staadter

Meine Beschäftigung mit Familiengeschichte hat mich im Jahre 1991 auf die Fährte einer Familie in Australien geführt, deren Vorfahren Ludwig und Elisabeth Staadter aus Hochheim waren. Bill Thompson aus Beecroft in Neusüdwales, 25 Kilometer von Sidney entfernt, hatte sich große Mühe gemacht, um Näheres über seine deutschen Vorfahren zu erfahren. Der einstige Direktor und Hauptgeschäftsführer einer großen Finanz- und Leasing-Firma, heute 85 Jahre alt, seit 23 Jahren in Rente, hatte mit seiner Frau Mollie drei Reisen nach Deutschland unternommen und auch Hochheim einen Besuch abgestattet. Leider konnte er wegen seiner Urgroßeltern in der „charming town" nicht weiterkommen; vielleicht hat ihm nur ein kompetenter Ansprechpartner gefehlt. Auch für mich war es später außerordentlich schwierig, Näheres über seine Vorfahren zu erfahren, doch kam schließlich durch die freundschaftliche Zusammenarbeit beider Seiten noch ein gutes Ergebnis zustande.

Im Hochheimer Zivilregister, in jener Zeit vom katholischen Pfarramt geführt, jetzt im Diözesenarchiv Limburg verwahrt, wurde ich fündig. Ludwig Joseph Staadter wurde am 20.0ktober 1823 als Sohn von Wilhelm Staadter und Anna Dorothea Moll aus Altenhausen (westlich von Magdeburg) in Hochheim geboren und am 23. Dezember 1823 in Hochheim evangelisch getauft. Taufpate war der Hochheimer Gastwirt Ludwig Joseph Wollerschied. Vater Staadter war Vizefeldwebel bei der Reserve der nassauischen Truppen in Hochheim. Sonst fanden sich keine weiteren Informationen, auch keine Eintragung über die Eheschließung von Ludwig Staadter mit Elisabeth Harff.

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Elizabeth Staadter im Alter von 20 Jahren, bevor sie den Engländer Murray Thompsen heiratete. Sie war die Tochter der 1849 nach Australien ausgewanderten Eheleute Ludwig Joseph und Elisabeth Staadter geb. Harff aus Diedenbergen.

Recherchen in anderen Orten mit einer evangelischen Gemeinde (Massenheim, Diedenbergen, Wiesbaden) blieben ergebnislos. Nur zeigte sich, daß Elisabeth Harff aus Diedenbergen stammte, dort am 5. April 1823 geboren wurde. Dort kommt der Name Harff heute noch vor; im 17. und 18. Jahrhundert war „Harpf bzw. „Harpff in Hochheim ein verbreiteter Familienname.

Von meinem australischen Briefpartner Bill Thompson wußte ich, daß sein Urgroßvater Ludwig Staadter „wine cooper (Weinküfer) war. Dies fand ich bei meinen hiesigen Nachforschungen bestätigt. Auch konnte ich ermitteln, daß die Familie 1849 nach Australien ausgewandert ist. Allerdings war das Paar vier Jahre vor seiner Auswanderung nach Singhofen an der Bäderstraße verzogen, wo am 27. Januar 1846 ihr Sohn Heinrich Jacob geboren wurde. Eine Heirat war aber auch hier nicht eingetragen.

Zehn weitere Kinder sollten in Australien noch folgen. Eines davon war Bill Thompsons Großmutter Elizabeth. Sie heiratete im Alter von 20 Jahren den Engländer Murray Thompson, einen Baumeister für Schienenwege und Straßen. Eine Zeitlang war er Bürgermeister in Brisbane, der Hauptstadt von Queensland, der Kolonie nördlich von Neusüdwales.

Die Auswanderung

Mit Ludwig Staadter und seiner Familie kamen 1849 auf dem Schiff  PARLAND die beiden Winzer Andreas und Franz Meth aus Neudorf im Rheingau (heute Martinsthal) in Neusüdwales an. Ferner trafen dort die Weinbauern Caspar und Louise Schipp aus Eltville, Johann Christoph Marquardt aus Hoefeld (?) und Johann Leonard Roos aus Eichel im nördlichen Elsaß ein. Sie alle haben die damals schon „große Weinindustrie" in Australien mit ihrem fachlichen Wissen und Können bereichert. Die deutschen Siedler in der „Sydney area" kamen zum Teil aus Silesia (Schlesien) und waren Lutheraner. Die Berufskollegen aus dem Rheingau, von der Mosel und aus Frankreich verhalfen dem australischen Weinbau zu seiner guten Entwicklung. Schließlich haben deutsche Siedler hier Pionierarbeit geleistet. In den australischen Weinbaugebieten gibt es Städte mit dem Namen Hahndorf, Lobethal, Tanunda und weitere, von deutschen Siedlern gegründet. Eine große Zahl ihrer Nachkommen halten die Traditionen aufrecht und haben ihre Sympathien für Deutschland und die Heimat ihrer Vorfahren bewahrt.

Die Einwanderer in Australien mußten in ihren Herkunftsländern angefordert oder geworben werden. Benötigten die etwa 200 Arbeitgeber (Weinbaubetriebe) Fachkräfte, so mußten sie die Erlaubnis für die Anforderung der erforderlichen Familien, die sie nach Australien holen wollten, beantragen. Der zuständige Einwanderungsbeauftragte mußte die Anträge befürworten. Für die Rekrutierung geeigneter Familien war der Hamburger Konsul für Australien verantwortlich, der wiederum seine Agenten in den Weinbaugebieten beauftragte. Die wichtigste Anforderung an die Einwanderer war, daß sie einen Beruf ausüben konnten, den es in Australien nicht gab, also Wein- oder Olivenanbau.

Von 1849 bis 1856 trafen 800 deutsche Einwanderer, mit Familienangehörigen 2800 Personen, in Australien ein. Die ersten Auswanderschiffe in diesem Zeitraum waren CAESAR, PARLAND und MARBS. Ludwig Staadter mit Frau und Kind befanden sich auf der PARLAND. Die deutschen Einwanderer hatten Weinbau-Berufe. Sie stammten aus Weingegenden in Südwestdeutschland „speziell aus dem Rheingau in Nassau" und aus Gegenden entlang und nördlich des Rheines, aus Württemberg und von den „Tauber-Bergen in Nordbaden, auch den Main entlang bis Frankfurt und dann weiter bis Bayern". Eine kleine Anzahl von Familien aus dem nördlichen Hessen und Süd-Thüringen. 457 Auswandererfamilien waren katholisch, 345 protestantisch, zwei unbekannt.

Als der Kapitän der PARLAND bei der Überfahrt von Hamburg nach Sydney im Jahr 1849 die Ehen von 12 Auswanderer-Paaren schloß, wurden historisch-soziologische Fakten offenkundig. Nach den einschränkenden Heiratsvorschriften in den damaligen deutschen Ländern wurde keine Heiratserlaubnis erteilt, wenn das Paar nicht über ein gewisses Vermögen verfügte. Ludwig Staadter und Elisabeth Harff waren dabei — die Eheschließung ist im Bordbuch beglaubigt.

Die offensichtliche Hoffnungslosigkeit der wirtschaftlichen Situation im australischen Hochland zusammen mit den Regulationen von 1853 hatte die Auswanderung von Winzern und weiteren im Weinbau üblichen Berufen sehr attraktiv gemacht. Diese wurden Fachkräfte in den großen und kleinen Weingütern. Manche von ihnen machten es den Pionieren des dortigen Weinbaues nach: sie sahen sich im Süden und Westen des Kontinents um und wurden dort selbständig, wo vorher noch Schafe grasten und heute Top-Weine wachsen.

Prämien und Probleme

Die deutschen Einwanderer wurden finanziell unterstutzt Diese finanzielle Hilfe war 1835 bis 1837 auf Weinbauern ausgeweitet worden, was allerdings von Großbritannien zunächst unterbunden wurde. Erst 1847 fand die Wiedereinführung eines solchen Schemas Zustimmung. Für die Kinder gab es zuerst keine Prämien, doch ließen die Richtlinien von 1853 auch Zahlungen für Kinder vom 1 bis 14 Jahren zu. Die Folge war, daß zwischen 1855 und 1856 größere Familien in Australien einwanderten. Die Überfahrt wurde für die deutschen Einwanderer bezahlt. „Für jeden Mann und jede verheiratete Frau über 14 Jahre" gab es eine Prämie der staatlichen Kolonialbehörde: Pro Person 6 Pfund und 10 Shilling.

Mit den Einwanderern wurden Vertrage geschlossen. Sie sollten unter anderem verhindern, daß vom Agenten mit Hilfe kolonialer Geldmittel viele verarmte Leute, die nicht Englisch konnten, nach Australien gebracht wurden. Diese konnten leicht eine Bürde für die Gemeinschaft werden, wenn nicht genügend Arbeit vorhanden war. Ein Beispiel dafür waren die Passagiere des Schiffes ST. LUDWINA im Jahre 1855, Italiener und Schweizer, die halbverhungert, ohne einen Penny, in Sydney ankamen, angeblich weil sie der Kapitän ausgebeutet hatte. Weil geringe Nachfrage für ihre Arbeitskraft die Lage noch verschlimmerte, nahm sie ein katholischer Priester in seine Obhut und schrieb für sie an die Einwanderungsbehörde. Gegen den Kapitän wurden Beschwerden eingereicht, aber es konnte wenig getan werden, um die Situation zu entspannen.

Den unterstützten deutschen Einwanderern ging es im Allgemeinen viel besser, weil die Arbeitgeber von Einwanderungsbeamten überprüft wurden. Sie waren Gentlemen, auf die man sich verlassen konnte. Sie befolgten die Vorschriften und schufen geeignete Bedingungen für ihre Mitarbeiter.

Es gab immer wieder Einwanderer, welche nicht die Arbeiten ausführen konnten, für die sie nach Australien geholt worden waren. Sie waren nicht einmal im Weinbau tätig, wofür sie bestimmt waren und die Prämie erhielten. Erst nach der Ankunft stellte sich heraus, daß viele von ihnen Tagelöhner waren, andere Bäcker, Müller, Schuhmacher, Maurer, Stellmacher, Zimmerleute, Gärtner, Leineweber, Uhrmacher, ja sogar ein Damenschneider war dabei. Offensichtlich hatten sie in ihrem Vertrag falsche Angaben gemacht. Dies gilt auch für Einwanderer auf der PARLAND im Jahre 1849, von denen zwei über 50 Jahre alt und andere krank und arbeitsunfähig waren.

Die Einwanderungsbehörde verfolgte den weiteren Lebensweg der Siedler des ersten Schiffes. Dies wurde später wahrscheinlich nicht mehr getan. Es kann auch sein, daß die Arbeitgeber, je weiter sie von Sydney weg waren, sich umso freier fühlten, die Weinbauern auch für jede andere Arbeit einzusetzen. Dann wurde die Prämie erst bezahlt, wenn der Weinbauer zufriedenstellend beschäftigt wurde. In wenigen Fällen waren Tod oder Konkurs des Arbeitgebers Grund dafür. Auch in diesen Fallen erfolgte eine spätere Prämienzahlung.

Krankheiten unter den Einwanderern waren nicht auszuschließen, besonders tragisch die „Cholera-Schiffe" CAESAR und PARLAND im Jahre 1855. Die Schuld für die fünf Todesfalle unter den Passagieren wurde nach der Borduntersuchung auf die Beschaffenheit der dürftigen Ventilation zurückführt. Der sachverständige Doktor tat alles, was er unter diesen Umstanden tun konnte. Fünf Kinder waren verwaist. Eine vierköpfige Familie war auf das dritte Auswandererschiff MARBS ausgewichen.

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Seite aus den Bestimmungen der regelmäßigen Paket- und Passagierfahrt nach Australien, Valdivia und Valparaiso, Hamburg 1852 Druck im Stadtarchiv Hochheim, Abteilung XI, 5, 6, 30

Auf einem späteren Schiff starben 28 Kinder an Masern. Der Gesundheitsoffizier in Sydney sah die hohe Sterblichkeit in der Unzulänglichkeit der Kleidung, in der fehlenden Versorgung mit frischen Lebensmitteln und der mangelhaften „medikamentösen Erquickung".

Deutsche Einwanderer beklagten sich auch wegen „dürftiger" Behandlung durch Unteragenten in Deutschland. Passagiere der UNDINE auf ihrer Reise im Jahr 1855 nach Melbourne und Sydney, alles Weinbauern mit ihren Familien, beschwerten sich bei deutschen Behörden über den Agent J. F. Cast aus Stuttgart, der sich mit fadenscheinigen Argumenten zu verteidigen suchte.

Die neue Existenz

Von den deutschen Einwanderern war eine speziell entworfene Urkunde auszufüllen und zwar in Deutsch auf der einen Seite und eine englische Übersetzung auf der anderen Seite. Sie wurde im Ort des letzten Wohnsitzes ausgefertigt und enthält des Emigranten Fertigkeiten, Alter und Gesundheit. Mit der Namensunterschrift des Auswanderers war diese Urkunde als Vertrag gültig, wenn sie vom nächsten britischen Konsul bestätigt war. Auswanderer und Urkunden wurden bei der Ankunft von der Einwandererbehörde und einem Hafenbeamten überprüft.

Mit dieser Urkunde trafen Ludwig Staadter, seine Ehefrau Elisabeth und der dreijährige Heinrich Jakob 1849 im Hafen von Sydney ein. Sie begaben sich zu ihrem vertraglich bestimmten Arbeitgeber, dem Weingutsbesitzer W. C. Wentwort, wo Ludwig Staadter seine Arbeitsstelle als Weinküfer antrat. Dieses Weingut liegt in der „Sydney area", dem Weinbaugebiet in den Bergen nahe der heutigen Millionenstadt. Seine Existenz wurde eine gute und beständige und reich der Kindersegen. Als Ludwig Staadter 1892 starb, war der Erstgeborene, den sie Henry nannten, 45 Jahre alt und lebte in Deutschland. Die Einwanderungsurkunden und Schiffslisten der Auswanderer-Schiffe sind im NSW State Archives' Genealogical Research Kit (GRK) in Sydney verwahrt und können dort eingesehen werden.

Ludwig Staadters Einwanderungsvertrag kann sich sehen lassen. Zunächst bestätigte Pfarrer Vitor und Bürgermeister Bingel, beide von Singhofen, am 18. Januar 1849, „daß Ludwig Joseph Staadter, Sohn von Wilhelm Staadter und von Anna Dorothea Moll, während vier Jahre hier ansässig war, und daß wir ihn für einen nüchternen, fleißigen, anständigen und ordentlichen Mann halten. Wir glauben ferner", heißt es dann, „daß er einen guten Verstand und eine gute Constitution und Gesundheit hat. Wir bezeugen ebenfalls, daß er drei Jahre hier als Kiefer gearbeitet hat."

Weiter sind von Pfarrer Vitor die Geburtsdaten von Vater Staadter, Mutter Harff und Sohn Heinrich Jacob Staadter bezeugt. Demnach war das seit 1846 zusammenlebende Paar nicht verheiratet, eine Folge der strengen nassauischen Heiratsgesetze, die ein gewisses Vermögen für Bürgerrecht und Heiratserlaubnis voraussetzten.

Im Gesundheitszeugnis bestätigte Chirurg Backes aus Singhofen, daß er Ludwig Staadter untersucht habe und daß er nicht verstümmelt, noch verkrüppelt ist, mit keiner Krankheit behaftet ist, die sein Leben verkürzen oder seine physischen oder geistigen Kräfte schwächen könnte. „Ich bezeuge ebenfalls, daß er entweder die natürlichen Blattern hatte, oder die Pocken ihm eingeimpft wurden, und daß ich ihn von allen Krankheiten, die als ansteckend angegeben werden, freihalte", schrieb der Doktor am 18. Januar 1849.

In seiner Deklaration vom 12. Februar 1849 schreibt Ludwig Joseph Staadter, „daß obige Zeugnisse alle acht und wahr sind" und verpflichtet sich „sollte ich eine frei Überfahrt nach Australien erhalten, mich auf das Gut des Herrn M. C. Wenteroth zu begeben und dort fleißig und willig als Kiefer zu arbeiten, für solche Zeit und solchen Lohn, als es in dem Accord, den ich mit ihm einging, festgesetzt ist. Ich verspreche auch während der Reise alle Anordnungen zu befolgen, die zum Besten des Schiffes und der Passagiere getroffen werden, und dasselbe nicht eher zu verlassen, bis ich in Sydney die Inspection, die bei unserer Ankunft vom Gouverneur der Kolonie gehalten wird, passirt habe."

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1999 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors
1.11.05