Ferdinand Lassalle und Gräfin Sophie von Hatzfeldt im Main-Taunus-Kreis
DIETER REUSCHLING

Seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts kamen zahlreiche prominente Kurgäste in das aufstrebende Bad Soden am Taunus. Dazu gehörten Vertreter von Fürstenhäusern wie Herzogin Pauline von Nassau und König Wilhelm von Württemberg, Komponisten wie Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn Bartholdy, Dichter und Schriftsteller wie Hoffmann von Fallersleben, Iwan Turgenew, Leo Tolstoi und Theodor Fontane. Weniger bekannt geworden ist der Kuraufenthalt eines ungewöhnlichen Paares von Anfang Juli bis Anfang August 1861, des Wissenschaftlers und Politikers Ferdinand Lassalle und seiner Lebenskameradin Gräfin Sophie von Hatzfeldt. Beide gehörten damals zur absoluten gesellschaftlichen Prominenz, er der junge, charismatische Intellektuelle, der zum ersten Führer der Arbeiterbewegung in Deutschland wurde, und sie die schöne, reiche Dame aus dem deutschen Hochadel, die durch einen spektakulären Scheidungsprozeß bekannt geworden war. Auch wenn sie nur wenige Wochen im Main-Taunus-Kreis verbrachten, lohnt es sich, daran zu erinnern.

Welchen Stellenwert beide in der politischen Geschichte Deutschlands haben, läßt sich schon daraus ablesen, daß von Ferdinand Lassalle ein großer Teil seines Nachlasses gedruckt vorliegt, mehrere Biographien über ihn erschienen sind, von denen drei neuere hier unter den Quellen zu diesem Beitrag aufgeführt sind, Romane über sein Leben verfaßt wurden, zuletzt von Stefan Heym, und sogar ein Theaterstück über ihn entstanden ist. Auch über Gräfin Sophie von Hatzfeldt allein sind in neuerer Zeit drei Biographien verfaßt worden - siehe Quellen.

Hatzfeldt gegen Hatzfeldt

Als sie sich im Januar 1846 in Berlin bei dem Grafen Keyserlingk kennen lernten, war Ferdinand Lassalle, der am 13. April 1825 in Breslau geborene Sohn des jüdischen Kaufmanns Heyman Lassal, im sechsten Semester Student der Philosophie an der Universität Berlin. Die am 10. August 1805 als Tochter des Fürsten Franz Ludwig von Hatzfeldt-Schönstein zu Trachenberg geborene Gräfin Sophie war als gerade Siebzehnjährige aus dynastischen und finanziellen Gründen 1822 mit ihrem Vetter Edmund von Hatzfeldt-Wildenburg verheiratet worden. Der sieben Jahre ältere Ehemann machte von Beginn der Ehe an keinen Hehl daraus, daß ihm die Liebesbeziehung zu seiner damaligen Geliebten Gräfin Nesselrode wichtiger war als die zu seiner Kindfrau Sophie. Sein Verhältnis zu ihr war von ehevertraglicher Pflichterfüllung und Mißachtung geprägt. Sein demütigendes Verhalten gegenüber seiner Frau wurde in vielen Details in der 1847 von Gräfin Sophie eingereichten Scheidungsklage beschrieben, die gedruckt vervielfältigt wurde und in der Biographie von Helmut Hirsch als Faksimile nachzulesen ist. Die Erfüllung ehelicher Pflichten führte zu vier gemeinsamen Kindern, von denen das erste im Dezember 1823 kurz nach der Geburt starb. Der jüngste Sohn Paul war gerade zwei Jahre alt, als sich die Gräfin 1833 im Alter von 28 Jahren gegen alle damaligen Konventionen und gegen den Widerstand der eigenen Familie entschloß, sich von ihrem Ehemann zu trennen.
Gräfin Sophie von Hatzfeldt

Sophie Gräfin von Hatzfeldt um 1860/61 (Foto: Landesbildstelle Rheinland)
 

Es folgte ein jahrelanger Ehekrieg, bei dem es - auch unter dem Druck ihrer um ihren Ruf besorgten Adelsfamilien - auch Versöhnungsversuche gab, die aber alle scheiterten. Eine Episode aus dem Ehekrieg „Hatzfeldt gegen Hatzfeldt" berührte auch den Main- Taunus-Kreis. Graf Edmund versuchte seine Frau mit allen Mitteln von den gemeinsamen Kindern zu trennen. Bei den beiden ältesten, Alfred und Melanie, war ihm das auch schon gelungen, als Gräfin Sophie sich mit dem damals siebenjährigen jüngsten Sohn Paul 1838 zur Kur nach Baden-Baden begab. Dort lauerte der Verwalter des Grafen, ein Herr Wächter, der allein mit Paul spazieren gehenden Kinderfrau auf, um sie beide in einer Kutsche nach Schloß Schönstein im Westerwald zu entführen. Als die Gräfin dies einige Stunden später bemerkt hatte, beauftragte sie einen Reiter mit der Verfolgung und gab ihm die Aufforderung an die Posthalter der Poststationen mit, den Entführern neue Pferde zu verweigern. Sie selbst reiste mit der Kutsche den Entführern nach und erreichte sie im Posthof Hattersheim. Dort hat dann, wie es in der Scheidungsklage der Gräfin von 1847 heißt, „der Anblick des aufgebrachten Publikums, das sich unwillig um den Wagen drängte, Herrn Wächter davon abgehalten, der Mutter das Kind gewaltsam vorzuenthalten'. Die Entführung war damit gescheitert.

Als die Gräfin Hatzfeldt den zwanzigjährigen Lassalle 1846 kennenlernte, lebte sie schon dreizehn Jahre fast immer getrennt von ihrem Ehemann. Sie hatte als attraktive Frau in dieser Zeit naturgemäß auch Beziehungen zu anderen Männern. Anfang 1846 drohte der Graf seinem bei der Mutter lebenden Sohn Paul mit dem Entzug des Unterhalts, falls er sich nicht von ihr trennen sollte. Die Gräfin nahm das Angebot Lassalles an, sie in der Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann juristisch zu unterstützen. Als Edmund von Hatzfeldt im April 1847 die Scheidungsklage gegen seine Frau einreichte, wurde Lassalle ihr Rechtsbeistand, der auch ihre im November 1847 gegen ihren Mann eingereichte, umfassend begründete Scheidungsklage verfaßte. Es folgte ein in der deutschen Rechtsgeschichte vermutlich beispielloser Scheidungsprozeß, der sich über fast acht Jahre hinzog und bei dem insgesamt 24 Prozesse vor 36 Gerichten geführt wurden. Gesellschaftlich war er skandalös, denn es wurde öffentlich unverhohlen „schmutzige Wäsche gewaschen", und das in den Kreisen des Hochadels. Beide Seiten kämpften mit allen legalen und auch vielen illegalen Mitteln. Als zum Beispiel der Verdacht aufkam, daß der Graf sein Vermögen zu Lasten der Gräfin verschwenden könnte, um seine damalige Favoritin, Gräfin Meyendorf zu begünstigen, ließ Lassalle in Düsseldorf durch Freunde eine Kassette dieser Dame entwenden, weil sie darin Beweisstücke vermuteten. Lassalle saß als geistiger Urheber dieses Kassettendiebstahls vom Februar bis August 1848 in Untersuchungshaft, wurde dann aber frei gesprochen. Das Scheidungsurteil wurde erst im Juli 1854 endgültig bestätigt. Der vermögensrechtliche Vergleich wurde - nach Bestechung des Geschäftsführers des Grafen - im August 1854 abgeschlossen. Sophie von Hatzfeldt bekam einen angemessenen Anteil des Vermögens, von dem sie selbst einen großen Anteil in die Ehe eingebracht hatte. Ferdinand Lassalle wurde dafür, daß er viele Jahre seines Lebens vorwiegend diesem Scheidungsprozeß gewidmet hatte, von der Gräfin mit einer lebenslangen, jährlichen Rente von 4.000 Talern entschädigt. Dies entsprach damals dem Gehalt eines Regierungspräsidenten, Lassalle wurde so zum „wohlhabenden" Mann.

Noch vor der Scheidungsklage gegen seine Frau im April 1847 investierte Graf Edmund von Hatzfeldt für seine Jagdleidenschaft im damaligen Herzogtum Nassau, mit dessen Oberstallmeister am herzoglichen Hof, dem Grafen Joseph Boos von Waldeck, er befreundet war.
Ferdinand Lassalle


Ferdinand Lassalle um 1860 (Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin)


Der vermittelte ihm ein großes Jagdrevier, das die Gemarkungen Marxheim, Hofheim, Diedenbergen, Langenhain, Wallau, Massenheim, Weilbach, Kriftel und Hattersheim, insgesamt 3.882 ha, umfasste. Für diese Jagd kaufte er im Mai 1846 von der Gemeinde Marxheim ein Waldstück von 6 Morgen oberhalb des Ortes, auf dem er für rund 50.000 Gulden ein stattliches Jagdhaus, bestehend aus einem Haupthaus und zwei Nebengebäuden, errichten ließ. Er nannte es „Marx Cottage", im Volksmund Marxheims war und blieb es aber das Schlößchen, von dem heute nur noch der Name der angrenzenden Straße, der Schloßstraße, erhalten geblieben ist. 1891 entstand auf dem Gelände das „Kloster vom Guten Hirten" und heute befindet sich dort die Montessori-Schule Hofheim. Graf Edmund von Hatzfeldt hat das Jagdhaus nicht sehr lange besessen. Er hat es am 27. August 1854 an seinen ältesten Sohn Alfred verkauft, vermutlich im Zusammenhang mit dem vermögensrechtlichen Vergleich mit seiner Ex- Frau Gräfin Sophie, der am 12. August 1854 abgeschlossen wurde. Zehn Jahre später ging das Jagdhaus in den Besitz des Prinzen Alexander von Solms-Braunfels über. Es gab immer wieder Spekulationen, daß die Gräfin Sophie oder gar Ferdinand Lassalle sich zeitweise in dem Marxheimer Jagdschloß aufgehalten hätten. Dafür gibt es aber keinerlei Belege und es ist auch sehr unwahrscheinlich, daß der Graf oder sein Sohn seine Ex-Frau und ihren Scheidungsanwalt dorthin eingeladen hätten.

Eine Lebenskameradschaft

Das Verhältnis Sophie von Hatzfeldts mit dem fast zwanzig Jahre jüngeren Ferdinand Lassalle muß von Anfang an von großem gegenseitigem Vertrauen geprägt gewesen sein. Wie sonst hätte die Gräfin den jungen Mann zu ihrem Anwalt machen, wie sonst hätte er über viele Jahre sein Engagement vorwiegend ihrer Sache widmen können. Für Lassalle war dieses Engagement auch ein Kampf gegen die bestehenden feudalen Gesellschaftsverhältnisse, in der die von ihrer Klasse weitgehend im Stich gelassene Frau mit hohem Einsatz um ihr Recht kämpfen mußte. Aus dem gemeinsamen Kampf im Scheidungsprozeß entwickelte sich zwischen den beiden eine außergewöhnliche Lebenskameradschaft. Sie lebten oft zusammen in der gleichen Stadt oder Wohnung, waren zusammen auf Reisen und bei Kuraufenthalten und pflegten in den Zeiten, wo sie sich an verschiedenen Orten aufhielten, einen intensiven Briefwechsel. Trotz aller Nähe behielten sie eine gewisse Distanz bei. In den Briefen blieben sie zum Beispiel immer bei der Anrede „Sie". Für Lassalle war sie „Meine gnädigste Frau" oder auch vertraulicher „Gute, liebe Gräfin", während sie ihn meist mit „Liebes Kind" anredete, was nicht ganz verwunderlich ist. Schließlich war Lassalle einige Tage jünger als ihr ältester Sohn Alfred.

Beide engagierten sich in der revolutionären Zeit von 1848/49, in der sie meist in Düsseldorf lebten, auch politisch. Lassalle machte die Bekanntschaft mit Karl Marx und Friedrich Engels, die 1848 in Köln die revolutionäre „Neue Rheinische Zeitung" herausgaben, für die Lassalle mehrere Beiträge geschrieben hat. Nachdem er im August 1848 aus der Untersuchungshaft wegen des Kassettendiebstahls entlassen worden war, engagierte er sich in der Düsseldorfer Bürgerwehr wurde von November 1848 bis Mai 1849 erneut in Untersuchungshaft genommen, diesmal wegen des Verdachtes, daß er die Bürgerwehr zum bewaffneten Widerstand gegen die preußische Regierung aufgehetzt habe. Zunächst wieder freigesprochen erhielt er im Juli 1849 eine sechsmonatige Gefängnisstrafe wegen Beleidigung eines hohen Beamten. Den größten Teil der revolutionären Zeit in Deutschland saß Lassalle also im Gefängnis. Ihm blieb so vermutlich auch das Schicksal vieler Revolutionäre erspart, die nach dem Scheitern der Revolution ins Exil gehen mußten, um nicht verhaftet zu werden. So auch seine Mitstreiter Karl Marx und Friedrich Engels, deren Exil in England dauerhaft wurde. Lassalle blieb aber mit ihnen im ständigen Briefkontakt zu wissenschaftlichen und politischen Fragen, besonders mit Karl Marx in London. Diesem Briefwechsel ist auch die genauere Datierung des Aufenthaltes von Lassalle in Bad Soden zu verdanken.

Nach dem Erfolg im Scheidungsprozeß widmete sich Lassalle vorwiegend seiner wissenschaftlichen Arbeit. 1857 erschien sein philosophisches Hauptwerk über den griechischen Philosophen Heraklit, 1860 der erste Band des rechtsphilosophischen Werkes über „Das System der erworbenen Rechte". Daneben blieb er im politischen Geschäft, zum Beispiel mit dem Plan, gemeinsam mit Karl Marx und Friedrich Engels in Berlin in der Nachfolge der „Neuen Rheinischen Zeitung" eine republikanische Zeitung heraus zu geben. Als nach dem Tod von König Friedrich Wilhelm IV. in Preußen eine Amnestie der im Exil lebenden Revolutionäre von 1848/49 erlassen wurde, kam Karl Marx im April 1861 von London nach Berlin, wohnte zwei Wochen bei Lassalle und erwog mit ihm seine Rückkehr nach Preußen und das Zeitungsprojekt. Beides scheiterte aus verschiedenen Gründen. Man kann heute nur noch darüber spekulieren, wie die politische Entwicklung Deutschlands verlaufen wäre, wenn Karl Marx damals zurückgekehrt wäre und mit Lassalle zusammen eine neue publizistische Plattform für eine revolutionäre Entwicklung in Deutschland geschaffen hätte.

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Zwischenstation in Bad Soden

Für revolutionäre Entwicklungen in Europa und die Bildung von Nationalstaaten war damals Italien das Vorbild. 1860 hatte der Freischarenführer Giuseppe Garibaldi König Franz IL aus Sizilien vertrieben, später durch Volksabstimmungen zur Abdankung gezwungen und damit die Einigung Italiens eingeleitet. Im März 1861 wurde durch das neu gewählte, erste italienische Parlament Viktor Emanuel II. von Sardinien zum König von Italien bestimmt. Lassalle hatte die Hoffnung, daß die revolutionäre Entwicklung in Italien unter dem Einfluß Garibaldis sich jetzt gegen Österreich richten könnte, das noch Venetien besaß, und daß durch die Schwächung Österreichs sich auch in Deutschland das Streben zur nationalen Einheit durchsetzen könnte. Deshalb unternahm er vom Juli 1861 bis zum Januar 1862 gemeinsam mit Gräfin Hatzfeldt eine Italienreise, hautsächlich, um sich mit Garibaldi zu treffen, um ihn im Sinne seiner Vorstellungen zu beeinflussen. Die erste Station dieser Reise wurde ein Kuraufenthalt in Bad Soden.

Für den Aufenthalt von Lassalle und Gräfin von Hatzfeldt in Bad Soden gibt es keinen direkten Beleg in der Form einer Fremdenliste, da diese aus dieser Zeit nicht erhalten geblieben sind. Einen eindeutigen mittelbaren Beleg hat Ferdinand Lassalle selber geliefert. Er korrespondierte weiterhin regelmäßig mit Karl Marx in London. Um die Briefe von Karl Marx auch während der Reise empfangen zu können, teilte Lassalle ihm aus Berlin in einem Brief vom 1. Juli 1861 den geplanten Ablauf der Reise mit:

    „Wir gehen also:
    1. auf vier Wochen nach Soden bei Frankfurt a. M. (Adresse F. Lassalle, Bad Soden bei Frankfurt a. M., poste restante.) Donnerstag reisen wir von hier ab.
    2. Von da auf vier Wochen nach Ragatz oder Wildbad,
    3. von da einige Wochen an den Comersee, und
    4. von da vielleicht nach Italien.
    Die Gräfin wollte Dir alle Tage schreiben, ist aber durch Reisevorbereitungen stets gehindert. Sie grüßt Dich und Deine Familie herzlich. Ich dito.
    Dein F. Lassalle"

Der Donnerstag nach dem 1. Juli war der 5. Juli 1861. In einem späteren, in Bad Soden am 28. Juli 1861 abgeschlossenen Brief an Karl Marx bat Lassalle ihn, den nächsten Brief „hierher" zu richten, da er mit der Gräfin noch acht bis zehn Tage bleiben wolle. Wahrscheinlich waren also Ferdinand Lassalle und Gräfin Hatzfeldt etwa vom 6. Juli bis zum 6. August 1861 vier Wochen lang in Bad Soden. Dieser Zeitraum steht im Einklang mit dem Datum für den Ausflug der beiden nach Eppstein, der im Gästebuch der Burg Eppstein am 30. Juli 1861 dokumentiert ist. Dieser Eintrag ist der einzige unmittelbare Beleg für den Besuch der beiden im Main-Taunus- Kreis. Da Lassalle, damals 36 Jahre alt, von der lebenslänglichen Rente leben konnte, die er sich im Scheidungsprozeß der Gräfin verdient hatte, gab er in Eppstein als Beruf korrekt „Rentier" an. In dem oben genannten Brief an Karl Marx, den Lassalle aus Bad Soden schrieb, wird über den Kuraufenthalt selbst oder den Ort nichts berichtet. Es ging ihm um tagespolitische Themen und um die Diskussion seiner rechtsphilosophischen Schrift, in deren zweiten Teil das „Wesen des römischen und germanischen Erbrechts in historisch-philosophischer Entwicklung" erörtert wurde.

Gästebuch Burg Eppstein 1861

Lassalles politisches Vermächtnis

Nach der Rückkehr aus Italien blieben Lassalle bis zu seinem Tod im August 1864 nur noch zweieinhalb Jahre, in denen der Schwerpunkt seiner Aktivitäten den Interessen der Arbeiterbewegung galt. Am 12. April 1862 entwarf er in einem Vortrag vor Handwerkern in Berlin-Oranienburg über die demokratische Bedeutung des Arbeiterstandes sein „Arbeiterprogramm". Von dem Leipziger Zentralkomitee der Arbeitervereine dazu aufgefordert, legte er im März 1863 in einem „Offenen Antwortschreiben" seine programmatischen Ziele für die Arbeiterbewegung dar. Dies wurde die Grundlage für die Konstituierung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" (ADAV) am 23. Mai 1863, bei der Ferdinand Lassalle zum ersten Präsidenten des ADAV gewählt wurde. Dieses Datum betrachtet die SPD als eine der Nachfolgeparteien des ADAV als ihr Gründungsdatum. Bis Mitte 1864 hatten sich - gefördert durch zahlreiche Agitationsreden Lassalles - etwa 30 „Gemeinden" des ADAV gebildet mit zusammen etwa 4.600 Mitgliedern. Schwerpunkte der Gemeinden lagen im Rheinland, Sachsen und Hamburg; in Frankfurt gab es eine Gemeinde von etwa 120 Mitgliedern. Seine letzte politische Rede hielt Ferdinand Lassalle am 3. Juli 1864 vor dieser Gemeinde.

Als Lassalle danach im Juli 1864 zur Kur in Rigi-Kaltbad in der Schweiz weilte, besuchte ihn dort überraschend die Tochter Helene des bayerischen Gesandten in der Schweiz, von Dönniges, die er zwei Jahre zuvor in Berlin kennen gelernt hatte. Da Lassalle schon länger Heiratspläne hatte und die gegenseitige Zuneigung vorhanden war, machte er ihr einen Heiratsantrag, dem sie ihre Zustimmung gab. Als aber Helene unter dem Druck ihrer Eltern und von Lassalle enttäuscht - sie hatte schwärmerisch erwartet, daß er mit ihr fliehen und sie ohne Einwilligung der Eltern heiraten würde - ihre Zustimmung zurückzog und die Familie ihn abwies, war Lassalle, der bis zur Selbstüberschätzung eitel sein konnte, so verletzt, daß er nach den damaligen Wertvorstellungen glaubte, seine Ehre nur durch ein Duell wieder herstellen zu können. An Stelle des Vaters von Dönniges nahm der vormalige Bräutigam Helenes, Janko von Racowitza, die Forderung an. Bei dem Duell am 28. August 1864 in einem Gehölz bei Genf schoß Racowitza zuerst und traf Lassalle in den Unterleib. Er schoß noch zurück, aber traf, obwohl ein geübter Schütze, seinen Gegner nicht. Die Schußverletzung Lassalles war beim damaligen Stand der Medizin nicht heilbar, drei Tage nach dem Duell starb er am 31. August 1864 im Alter von 39 Jahren.

Gräfin Hatzfeldt war an das Totenbett des Freundes geeilt, teilte mit ihm hilflos die letzten Stunden seines Lebens und organisierte die Rückführung des einbalsamierten Leichnams nach Deutschland, die sie zu einem letzten Triumphzug gestalten wollte. In Frankfurt und Mainz gab es noch pompöse Leichenfeiern im Kreise seiner Anhänger; in Köln setzte aber seine Familie durch, daß der Leichnam zur Beerdigung nach Breslau überführt wurde. Die Gräfin fühlte sich in der Folgezeit verpflichtet, das politische Vermächtnis Lassalles in unveränderter Form fort zu führen. Als es im ADAV darüber zum Richtungsstreit kam, spaltete sich unter ihrem Einfluß der Lassalle'sche ADAV (LADAV) ab. Allerdings blieb diese Abspaltung nicht lange bestehen.

Nach der Wiedervereinigung von ADAV und LADAV 1869 zog sich Sophie von Hatzfeldt weitgehend aus der Politik zurück. Im gleichen Jahr wurde in Eisenach die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei" unter Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründet, die sich im Mai 1875 in Gotha mit den „Lassalleanern" zur „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands" zusammen schloß.

Am Ende ihres bewegten Lebens blieb Gräfin Hatzfeldt mit dem Rhein-Main-Gebiet verbunden. Anfang 1875 mietete sie ein Haus in Heddernheim bei Frankfurt als Wohnsitz. Ihr jüngster Sohn Paul, der als Diplomat meist im Ausland war, hatte sich 1871 das Landgut Sommerberg bei (Wiesbaden-) Frauenstein gekauft, um es als Wohnsitz für seine Familie auszubauen. Dort war die Gräfin öfter zu Besuch. 1878 mußte sie wegen Krankheit und aus finanziellen Gründen das Haus in Heddernheim wieder aufgeben. Sie wohnte von dann an im „Hotel zum Adler" in Wiesbaden, wo sie am 25. Januar 1881 in Anwesenheit ihrer Söhne Alfred und Paul starb. Wie sie es gewünscht hatte wurde sie auf dem Friedhof von Frauenstein beigesetzt. Ihr Grabmal ist dort erhalten geblieben, neben dem ihres Sohnes Paul, der im November 1901 als deutscher Botschafter in London starb.

Quellen: s. das Verzeichnis im Original

MTK-Jahrbuch 2008 - mit freundlicher Erlaubnis der Herausgeber