Als der Gendarm Seibert die Genossen belauschte
SPD Kelkheim ging für Jubiläumsschau auf Spurensuche
Von Katja Irle

Die Kelkheimer SPD wird 125 Jahre alt. Zur Erinnerung an die wechselvolle Geschichte ihrer Partei haben die Sozialdemokraten Schriftstücke, Bilder, Postkarten und Plakate für eine Ausstellung zusammengetragen. Sie wird heute im Rathaus am Gagernring eröffnet.

KELKHEIM.- Anno 1874 soll es gewesen sein, als sich in Fischbach eine Gruppe von politisch Gleichgesinnten traf. Vermutlich war es nicht die erste Begegnung dieser Art, doch die einzige, von der bis heute ein Dokument erhalten ist. Zu verdanken ist das nicht einem eifrigen Protokollschreiber, sondern dem berittenen Taunus-Gendarm Seibert sowie den Fußgendarmen Sommerfeld und Lange, die vom „königlichen Landrat" persönlich nach Fischbach beordert worden waren. Ihre Aufgabe: Ohren spitzen und detailliert Bericht erstatten.

Während sich die Sozialdemokraten in Kelkheim heute über den Glücksfall einer schriftlichen Überlieferung freuen können, dürften die Genossen damals den Gendarmen zum Teufel gewünscht haben. War doch sein Bericht nicht für quellenkundlich erfahrene Historiker, sondern für die Herrschenden gedacht. Und die waren auf die „socialdemokratischen Hetzer" und „gefährlichen Agitatoren" gar nicht gut zu sprechen.

Der Bericht des Gendarmen war denn auch geeignet, das Misstrauen des „königlichen Landrats des Obertaunus Kreises" gegen die umtriebigen Sozialdemokraten weiter zu schüren. Einheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für das Deutsche Reich und die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts klagte der Frankfurter Redner Jakob Schmidt in Fischbach ein und wagte es gar, der „scheinkonstitutionellen Regierung" die Schuld am Elend der Bevölkerung zu geben. Der in Sütterlinschrift verfasste Bericht ist eines von etwa 30 Exponaten, die der Kelkheimer SPD-Ortsverein unter der Federführung von Claus-Jürgen Lehming und Werner Baumgartl für die Ausstellung zusammengetragen hat.

Etliche Stunden verbrachte Baumgartl im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden und begab sich auf Spurensuche. Während sich die Zeit nach 1945 relativ lückenlos dokumentieren lässt, ist aussagekräftiges Quellenmaterial für die Zeit vor 1945 naturgemäß sehr dürftig. Baumgartl hat Einzelstücke gefunden, die zwar Schlaglichter auf die Entwicklung werfen, aber viele Fragen offen lassen.

Man wisse zum Beispiel nicht, wie viele Sozialdemokraten es in den Gründungsjahren und danach in Kelkheim gegeben habe, sagt Lehming. Auch politische Programme und Forderungen sind weitgehend unbekannt. Dafür steht aber fest, an welchen Orten sich die SPD-Anhänger damals trafen. Versammlungslokale waren etwa der „Kühle Grund" in Ruppertshain und das Gasthaus „Zum Taunus".

Repressionen und Verfolgung waren manche Kelkheimer Sozialdemokraten in der Nazi-Zeit ausgesetzt. Erhalten ist die Niederschrift eines Funkspruchs des Reichsinnenministeriums vom Juni 1933, das sämtliche Sozialdemokraten im Main-Taunus-Kreis ihrer politischen Mandate beraubte. Gefunden hat Baumgartl auch ein Schreiben an einen Kelkheimer Sozialdemokraten, in dem der damalige Landrat Dr. Ernst Janke und der Kelkheimer Bürgermeister den Gemeindevertreter politisch entmachten, weil seine „weitere Betätigung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellt".

Frankfurter Rundschau  – 30.11.99
23.6.05