Das Gerichtsbuch schrieb Geschichte
Fachleute bearbeiten Hofheimer Dokument aus dem 16. Jahrhundert/ „Gebühren wurden mit Wein bezahlt
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Norbert Firle, Roswitha Schlecker und Peter Fuchs (von links) präsentieren „Das Zweite Hofheimer Gerichtsbuch".

Das „Zweite Hofheimer Gerichtsbuch als regionalgeschichtliche und genealogische Quelle -1500 bis 1593" ist ab sofort im Hofheimer Stadtmuseum erhältlich. Die Fortsetzung des „Ältesten Hofheimer Gerichtsbuches", das 1986 erschien, erlaubt Einblicke in spätmittelalterliches Leben.

Hofheim - Zwar kannten die Hofheimer Bürger im 16. Jahrhundert noch nicht die „Patch- work"-Familie. Aber auch im Spätmittelalter gab es Ehen, die geschieden, und Kinder, die in neue Ehen mitgebracht wurden. „Die Kinder waren dann zwar keine Erben. Es mussten ihnen aber eine handwerkliche Ausbildung bezahlt werden", erzählte Peter Fuchs, einer der Co-Autoren des „Zweiten Hofheimer Gerichtsbuches", gestern bei der Präsentation der Publikation. Selbst für den Todesfall in der Zeit zwischen Verlobung und Hochzeit sei damals eine Regelung getroffen worden, so Fuchs. All diese Fälle wurden vor dem Hofheimer Gericht geregelt und können nun in dem Gerichtsbuch nachgelesen werden.

486 Blätter

Etwa fünf Jahre hat Heimatforscher Hans Ulrich Colmar benötigt, um die 486 Blatt des zweiten Hofheimer Gerichtsbuches aus dem Mittelhochdeutschen zu übertragen und auszuwerten. Seine Arbeit, die er im Jahr 2003 an das Hofheimer Stadtarchiv zur schriftlichen Ausarbeitung übergeben hat, bildet die Grundlage für das 152 Seiten starke Buch, das Stadtarchivarin Roswitha Schlecker, Norbert Firle und Peter Fuchs gestern im Stadtmuseum vorstellten.

Inhaltlich berührt das Gerichtsbuch ausschließlich zivilrechtliche Themen: Dazu gehören ebenso die Rechte und Pflichten der Hofheimer, das so genannte Landsiedel-Weistum, sowie Ehe- und Kaufverträge, Erbschaften und Testamente.
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Zivilrechtliche Themen, auf Mittelhochdeutsch abgefasst im Gerichtsbuch.

Das Buch verrät auch, dass jeder Hofheimer Bürger das gesamte Jahr hindurch Wein ausschenken durfte, wenn er denn brav seine Abgaben darauf zahlte.

In den Gerichtsprotokollen werden außerdem Fälle zu Schlichtungen oder Gülte, einer Zins-Abgabe in Form von Getreide, behandelt. Selten hingegen kam es den Protokollen zu Folge zu Ehrverletzungen. Trotzdem gab es einen „Rügen-Accord", von dem die Autoren nur mutmaßen können, was er bedeutete: „Das ist eine Art Strafkatalog bei Schmähungen", erklärte Fuchs.

„Dieses Buch ist extrem spannend. Es ist zwar sehr trocken, aber es zeigt die eigene Geschichte von Hofheim", sagte Bürgermeisterin Gisela Stang (SPD) bei der Präsentation. Man müsse sehen, vor welchem historischen und sozialen Hintergrund Gericht gehalten worden sei, so Stang. „Es war zum Beispiel üblich, Gebühren mit Wein zu bezahlen", erzählte Stadtarchivarin Schlecker. Sie hatte zwei Möglichkeiten, als sie das Material von Colmar bekam: „Man kann es inventarisieren, doch dann ist es erst einmal weg. Oder man sucht sich zwei Leute, die kompetent sind, und redet ihnen gut zu." Für diese Variante entschied sich Schlecker und holte sich den EDV-Spezialisten Firle und den Schreinermeister Fuchs, beide im Ruhestand und mit großem Interesse für historische Themen, in ihr Team.

Fuchs war vor allem für die handwerklichen Themen zuständig und lernte dabei unter anderen den „Weinschröder" kennen: „Das waren diejenigen, die im Keller die Weine verwaltet haben", erzählte Fuchs. „Die Weinschröder läuteten eine Glocke, um zusammen zu kommen. Wenn sie keinen Anlass dafür hatten und trotzdem geläutet hatten, wurden sie bestraft", so der Schreiner.
Neben den Protokollen, die in dem Original den meisten Platz beanspruchen, werden im „Zweiten Hofheimer Gerichtsbuch" außerdem Maße und Währungen, Ortsnamen sowie Einwohnerlisten gedruckt. Der Anhang enthält die Sitzungstermine des Hofheimer Gerichts sowie eine Auswahl an mittelhochdeutschem Vokabular. Ein drittes Hofheimer Gerichtsbuch, dessen Übertragung und Auswertung noch ansteht, wurde parallel zu dem zweiten Gerichtsbuch angelegt. Bis dieses übersetzt ist, wird es aber wohl noch einige Jahre dauern. franziska richter

Das „Zweite Hofheimer Gerichtsbuch gibt es im Hofheimer Stadtmuseum und in Hofheimer Buchhandlungen für 11,30 Euro.

Frankfurter Rundschau - 17.1.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR