Rehabilitierung von sog. Hexen durch die Stadtverordnetenversammlung der Kreisstadt Hofheim am Taunus am 3.11.2010

Auszug aus der Drucksache 2010-1182
Stadtverordnetenvorsteher Vater erläutert den gemeinsamen Antrag aller Fraktionen.

Beschluß:

Die Stadtverordnetenversammlung der Kreisstadt Hofheim am Taunus spricht sich angesichts des “lnternationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" am 25. November für Aufdeckung von Gewalt und Diskriminierungen in jeder Form aus. Gewalthandlungen, ob in der Vergangenheit oder in der Gegenwart sind Verbrechen gegen die Menschenrechte.

Leider hat Gewalt gegen Frauen eine lange Geschichte. Öffentliche und familiäre Gewalt findet bis heute statt und drückt sich auch in einer immer sichtbarer werdenden Gewalt in Familien aus.

Die Spirale von Gewalt muß unterbrochen werden. Sie kann unterbrochen werden, wenn unsere Gesellschaft das Thema nicht tabuisiert und statt dessen Verantwortung für die Opfer zeigt und übernimmt. Verantwortung auch für die Opfer der Vergangenheit.

Vergangenheit:
Hofheimer Hexenprozesse: Wir geben den Opfern ihre Würde zurück

Hofheim war aufgrund der zentralen Lage in Europa in den vergangenen Jahrhunderten oftmals nicht nur leidvoll in Kriegshandlungen einbezogen, sondern auch als Territorium des Kurfürstentums Mainz Standort eines kurfürsilich-mainzischen Niederamtes, das u.a. für die Durchführung von Hexenprozessen zuständig war.

Hexenverbrennung - 300px-Persecution_of_witches

Allerdings sind lediglich aus der kurzen Zeit von 1556 bis 1630 Reste von Originaldokumenten dieser Prozesse erhalten geblieben. Demnach ist bei 11 Opfern davon auszugehen, daß sie aus Hofheim stammten. Diese sind namentlich bekannt, alles Frauen, die gefoltert wurden. 7 von ihnen wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, 2 hingerichtet, 1 zu lebenslangem Hausarrest verurteilt. Von der 11. Frau liegt die Form der Verurteilung im Ungewissen. Sie waren nach Anschuldigungen wie Gotteslästerung durch ”Zauberey" und Teufelsbuhlschaft Folter und Todesurteilen ohne eigene Rechte hilflos ausgeliefert. Eine von einer Hofheimer Bürgerin im Jahr 2001 gestiftete Gedenktafel am ,,Hexenturm" erinnert an die Opfer.

  • Die Schmidtin aus Hofheim - 1595 verbrannt
    Elß, Henrich Furstens Frau - 1595 verbrannt
    Stoltzen Dietzen Catharein - 1596 oder 1597 verbrannt
    Merg Schweickhardt Hansen Frau - 1596 verbrannt
    Clees Hardtmuts Witwe Margareta - 1596 oder 1597 verbrannt
    Bechtholts Hardtmann Else - 1597 oder 1598 verbrannt
    Wolnstedter Elß - 1596 oder 1597 hingerichtet
    Linden Mergenin aus Hofem - vermutlich 1597 hingerichtet
    Anna Lorenz Glitzen Frau aus Hofem - lebenslanger Hausarrest
    Die Heller Crein - 1601 oder 1602 verbrannt
    Hofheimer Hansen Fraw EIsa -  Form der Verurteilung unbekannt

Sie schließen sich dem Vorbild der Stadt Eschwege an, die sich als erste Stadt in Hessen zu dem in ihren Mauern geschehenen Unrecht bekannt und die beiden letzten Opfer rehabilitiert hat, und bitten die Nachbargemeinden Hattersheim, Kriftel und (Flörsheim)-Weilbach, welche ebenfalls Opfer der Hexenverfolgung des Niederamts Hofheim zu beklagen hatten, auch in ihren Gemeinden dieser Frauen zu gedenken.

lm Heutigen Alltag hat ,,Gewalt gegen Frauen" viele Gesichter, beispielsweise sexuelle Belästigung - Demütigung - Beleidigung - Prügel - Bedrohung - sexuelle Nötigung - Stalking -Vergewaltigung - Zwangsprostitution.

Das sind Straftatbestände. Es gibt ein Gewaltschutzgesetz, und die Opfer von heute haben dank gemeinsamer Anstrengungen von Öffentlichkeit, Politik und Fachleuten aus vielen Bereichen das Recht auf ihrer Seite.

Betroffene - Opfer wie Täter - gibt es in allen sozialen Schichten mit unterschiedlichstem Bildungsniveau und kulturellem Hintergrund. Schauplätze von Gewalt sind nicht nur Arbeitsplatz oder die Straße. Viel häufiger als in der Öffentlichkeit wahrgenommen, spielen sich Szenen der Gewalt im eigenen Umfeld, hinter verschlossener Wohnungstür ab. Viele der betroffenen Frauen fühlen sich hilflos. Scham und Angst vor Gerede oder weiteren Übergriffen hemmen sie, ihre Rechte einzufordern und Hilfe zu suchen.

Mit der Vergangenheit abzuschließen, die Spirale von Gewalt zu durchbrechen, und zu lernen, in ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben zu gehen, ist der Weg aus dem ,,Opfer''- sein heraus.

Als Signal für die Öffentlichkeit wird in vielen Ländern am 25.11., dem ,,internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" vor Rathäusern und anderen öffentlichen Gebäuden eine Fahne gehißt. Auch in Hofheim. Dafür, daß nicht weggeschaut und geschwiegen wird, daß ,,Gewalttaten und Diskriminierungen" nicht hinzunehmen, sondern aufzudecken sind, daß Betroffene aktiv unterstützt werden. Damit Frauen nicht ,,Opfer" bleiben, sondern künftig ,,frei leben - ohne Gewalt".

Heute:
Recht und Unterstützung vor Unrecht und Ohnmacht

Aus heutiger Sicht sind die Opfer der Hexenprozesse unrechtmäßig verurteilt und verbrannt worden.

Die Hofheimer Stadtverordneten verurteilen diese Gewalt, die in der Vergangenheit an Hofheimer Bürgerinnen begangen wurde. Sie gedenken der Opfer, rehabilitieren sie öffentlich und geben ihnen damit heute im Namen der Menschenrechte ihre Würde zurück.

Wenngleich die Stadt Hofheim nicht Rechtsnachfolgerin des früheren Niederamts Hofheim ist, so besteht dennoch eine ethische Verpflichtung gegenüber den Opfern, die in Hofheim zuschanden kamen. Die Stadtverordnetenversammlung der Kreisstadt Hofheim steht angesichts der lokalen und regionalen Geschichte zu dieser ethischen Verpflichtung

(...)

Der Beschluß erfolgte einstimmig.


Rehabilitation durch Bürgermeister und Kreissynode des Evangelischen Kirchenkreises Eschwege der als Hexen hingerichteten Frauen in Eschwege 2007

Am 30.Oktober 2007, dem Hinrichtungstag der beiden als Hexen angeklagten Frauen, hielten der Eschweger Bürgermeister Jürgen Zick und der evangelische Dekan Dr. Martin Arnold Vorträge zur Würdigung und Rehabilitierung der beiden Frauen. Sie rehabilitierten die als Hexen verfolgten und hingerichteten Eschwegerinnen.

Der Bürgermeister sagte im Namen der Stadt: „Zwei unschuldige Frauen wurden aus der städtischen Gemeinschaft ausgegrenzt und umgebracht. Wir können dies nicht ungeschehen, sondern nur unvergessen machen. Wir können die Täter für ihr schreckliches Handeln nicht mehr zur Verantwortung ziehen. Aber eines können wir tun: Wir können Catharina Rudeloff und ihre Mutter Martha Kerste, die vor 350 Jahren aus der Eschweger Bürgerschaft ausgestoßen wurden, posthum wieder in unsere Stadtgemeinschaft aufnehmen. Sie sind unsere Eschweger Mitbürgerinnen, sie gehören zu uns. Ich darf dies heute aus Anlaß der 350. Wiederkehr ihres Todestages als amtierender Bürgermeister ausdrücklich erklären. Wiedergutmachung ist unmöglich, aber Rehabilitation muß sein.“

Erinnern – die Namen nennen – dem Unrecht widerstehen

Aus Anlass der 350. Wiederkehr des Todestages von Catharina Rudeloff und Martha Kerste hat sich die Kreissynode des Evangelischen Kirchenkreises Eschwege mit der „Hexen“-verfolgung in Eschwege beschäftigt und dazu folgende Stellungnahme verabschiedet:

Unter der Beschuldigung der „Zauberei“ wurden in Eschwege im Jahr 1657 zwei Frauen, die vierzigjährige Catharina Rudeloff und ihre fünfundsechzigjährige Mutter Martha Kerste, gefoltert, zum Tode verurteilt, getötet und verbrannt. Catharina, der Hauptangeklagten, war vorgeworfen worden, dass sie Butter verhext und damit bei zwei dreizehnjährigen Mädchen lebensgefährliche Krämpfe hervorgerufen habe. Ihrer Mutter Martha wurde unterstellt, sie habe Catharina das Hexen gelehrt.

Die Durchführung des Prozesses oblag der weltlichen Gerichtsbarkeit. Aber nicht nur der Landesherr, die Bürgermeister und der Rat wollten „die Hexen brennen“ sehen, auch viele Bürgerinnen und Bürger schauten zu, beteiligten sich an Gerüchten und Denunziationen.

Auch die Kirche und ihre damaligen Amtsträger teilten den Vorwurf der Hexerei und wirkten daran mit, dass den Frauen der Prozess eröffnet wurde. Die Prozessakten vermitteln den Eindruck, dass Obrigkeit und Kirche im Einvernehmen handelten. Die Seelsorge an den bereits zum Tode Verurteilten zielte darauf ab, sie zur Anerkennung ihrer „Sünde“ (d.h. der „Hexerei“) zu bringen.   

In den Verhören haben die angeklagten Frauen immer wieder ihren christlichen Glauben bezeugt. Martha Kerste bat in ihrem letzten Verhör „Gott, den Allmächtigen, aller Menschen Kinder vor dergleichen Unglück zu behüten“. Catharina Rudeloff bekannte: „Ich weiß, dass Jesus Christus mein Erlöser ist.“ Sie rief unmittelbar vor ihrem Tod mehrere Male laut „Herr Jesus!“ Unter Folter wurden beide gezwungen, Christus zu verleugnen.

Die Synode des Kirchenkreises Eschwege in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck erklärt:

  • Die Mitwirkung an den Hexenverfolgungen in Eschwege ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte der hiesigen Kirche.
  • Aus heutiger Perspektive erfüllen uns die damaligen Geschehnisse mit Erschrecken und Scham.
  • Die unschuldig Verurteilten Catharina Rudeloff und Martha Kerste können Rehabilitierung erfahren, wenn wir ihre Namen nennen und ihnen ihre Ehre als Christinnen in unseren Gemeinden wieder geben.
  • Wir wollen auch heute alle Bemühungen unterstützen, dem Unrecht zu widerstehen, insbesondere, wenn Menschen zu „Sündenböcken“ gemacht werden.

    Reichensachsen, am 24. Februar 2007


Diese Hinweise verdanken wir
Hartmut Hegeler, Pfr. i.R., Sedanstraße 37, 59427 Unna

Lesen Sie viel mehr zum Thema Hexenwahn und Aufklärung - von diesem Autor:

Hartmut Hegeler widmet seine Bemühungen um Aufklärung und geistige Wiedergutmachung dem damaligen Pfarrer Anton Praetorius, der schon in der Zeit der Hofheimer Hexenprozesse ein “Kämpfer gegen Hexenprozesse und Folter” war. Und seiner Zeit - und beiden Kirchen! - weit  voraus:

http://www.anton-praetorius.de/

Studieren Sie diese Homepage, nehmen Sie sich Zeit. Viele erstaunliche Fakten hat der Autor zusammengestellt. Erkennen Sie, wie steinig der Weg des Anton Praetorius war, bis der furchtbare Hexenwahn ein langsames Ende fand.

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Bei allem Respekt!
Ein starkes Stück: “Aus heutiger Sicht sind die Opfer der Hexenprozesse unrechtmäßig verurteilt und verbrannt worden” (Hofheim). Was soll das heißen?

“Damals” war das also “Rechtens”? In voller Übereinstimmung von (Aber-)Glaube, Obrigkeit und der Dummheit und Unwissenheit von völlig verängstigten, ungebildeten Menschen?

War es eine logische Selbstverständlichkeit, an “Teufelsbuhlschaft”, an Hexen und Teufel zu glauben, ja, dieses für die alleinseligmachenden Erkenntnisse zu halten?

Wo blieben die “gebildeten Stände”, die es besser wissen mußten (und wußten), aber durch einen grausamen Aberglauben jahrhundertelang auf Kurs gehalten wurden?

Bei allem Respekt für die ehrenvollen Absichten der Initiatorinnen: so werden die Täter von damals noch einmal rein gewaschen. Das ist das Gegenteil von Aufklärung. Und das nach 400 Jahren.

Und: die Götter von damals haben bei diesem grausamen, furchtbaren Unrecht nicht Einhalt geboten, Einsicht gespendet?! Warum wohl nicht?!

Und in Eschwege? "Auch die Kirche und ihre damaligen Amtsträger teilten den Vorwurf der Hexerei und wirkten daran mit, daß den Frauen der Prozeß eröffnet wurde." Nanu? "Auch die Kirchen"? Waren die Kirchen nicht die treibenden Kräfte? Die nur den weltlichen Teil der Vernichtung der Opfer "dem weltlichen Arm" überantwortet haben? Aber auch da die Gewalt-Hoheit hatten?
Etwas mehr Bekennermut beim Blick in die eigene finstere Vergangenheit möchte man da schon wünschen.
Nicht zu vergessen: ohne die Allmachtigkeit der Kirche(n) fiel kein Sack Hirse vom Rücken des Esels....
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Studieren Sie such unsere Hinweise zum Malefiz-Haus: ein ganz düsteres Kapitel.
Vergessen Sie Giordano Bruno nicht, den die römische Kirche erst kürzlich rehabilitiert hat.
 

Trotz aller “Rehabilitierungen” die Opfer sind immer noch tot. Niemand gibt ihnen das Leben wieder. Verbrannt ist verbrannt.