Ein Steinchen in der Geschichte
Hofheim: Labyrinth aus Kieseln dokumentiert die Lebensleistung von Frauen

Von Barbara Helfrich

Die Widmung ist knapp und kommt von Herzen: „Tolle Mama, starke Frau", hat eine Hofheimerin über ihre Mutter geschrieben, der sie im Hofheimer Frauenlabyrinth einen Gedenkstein gesetzt hat. Doch nicht immer ist Familiengeschichte so einfach. „Ich verdanke ihr bei allen Meinungsverschiedenheiten eine Reihe von Grundwerten, die mein Leben bis heute bestimmen", formulierte die Kulturanthropologin Erika Haindl im Begleittext zu dem Stein für ihre Mutter Johanna Mehlhorn. Darin verschweigt sie auch nicht, daß die Mutter in der NS-Frauenschaft aktiv war.

Um die Lebensleistungen von Frauen ins Licht zu rücken, „die in unserer Gesellschaft höchst selten Gegenstand von Geschichtsschreibung sind", haben das von Haindl mit begründete „Zentrum für altes und neues Wissen" und die Stadt vor neun Jahren das Hofheimer Frauenlabyrinth angelegt.

Damals lief in der Kreisstadt das Projekt „Frauen entdecken ihre Geschichte", bei dem es vor allem um die Hexenverfolgung ging. Im Zentrum des Labyrinths, das im Rathaus-Foyer hängt, sind auf weißen Kieseln die Namen der Frauen zu lesen, die in Hofheim Opfer der Inquisition wurden. In den äußeren Windungen sind im Laufe der Jahre viele neue Steinchen hinzugekommen - und das Erinnerungsprojekt soll noch weiter wachsen: Für eine Spende von 20 Euro, die dem Hofheimer Frauenhaus zugute kommt, kann man einen Stein erwerben.
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Mit Namen und Daten beschriftete Steine reihen sich im Frauenlabyrinth aneinander. Weitere Kiesel sollen dazukommen.

Neben dem Frauenlabyrinth liegt ein kleines grünes Büchlein, in dem nachzulesen ist, warum wer welche Frau mit einem Steinchen gewürdigt hat. Das Büchlein ist am Tisch festgeschraubt, weil es schon mehrfach gestohlen oder beschädigt wurde. Nun wurde eine neue Kopie ausgelegt, das Original ist im Rathaus unter Verschluß.

Meist erinnern die Spenderinnen an ihre Mütter oder Großmütter, manchmal aber auch an Frauen aus der Lokalgeschichte, etwa die Märchenschriftstellerin Sophie Reinheimer oder die 1953 verstorbene Katharina Kemmler. Sie war 1920, ein Jahr nach Einführung des Frauenwahlrechts, die erste Frau im Stadtparlament. Im Mai 1933 wurde die Sozialdemokratin mit ihrer Fraktion auf Antrag der NSDAP ausgeschlossen.

Passiver Widerstand

In den Kommentaren zu den Steinen geht es oft um diesen Abschnitt deutscher Geschichte. Eine Kriftelerin erinnert an ihre Tante, die 1944 „als Nazi-Verfolgte in den Tod getrieben wurde". Eine andere schreibt über ihre Großmutter, die kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs an einer Überdosis Tabletten starb: „Ich denke an die Ausweglosigkeit, mit der sie an der Lieblosigkeit in ihrem Leben und in der Welt litt."

Der Sohn der verstorbenen Hofheimer Cafe-Inhaberin Anna Staab berichtet, seine Mutter habe verhindert, daß ihre Kinder in NS-Organisationen eintraten. Im Gastraum habe kein Hitler-Bild gehangen: „Passiver Widerstand. Ich möchte es nicht überbewerten, es war halt so." Oft ist von der Benachteiligung weiblicher Verwandter zu lesen, von Lehrerinnen, die nach der Heirat ihren Beruf aufgeben mußten, von einer Kriegswitwe, die ihre Kinder allein durchbrachte. „Die Gesellschaft hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam und langsam an berufstätige Frauen gewöhnt. Eigentlich hatten Witwen demütig und bescheiden zu sein und ihr Schicksal ergeben zu tragen."

Einige Frauen werden als „Heilerinnen" oder „spirituelle Schwestern" gewürdigt. Eine Tochter schreibt, die Mutter habe „Tag für Tag bis zur Erschöpfung" gearbeitet. „Sie wurde diskriminiert als nicht eheliches Kind. Später wurde sie Landhebamme", so ein Sohn über das Leben seiner Mutter. Über eine andere heißt es, Opfer gewesen zu sein: „Sie verwandte fast all ihre Energie darauf, für andere da zu sein."

Informationen über das Frauenlabyrinth gibt es im Rathaus bei der städtischen Frauenbeauftragten Ruth Schröer. Telefon: 06192 / 202-395 E-Mail: rschroeer@hofheim.de

Frankfurter Rundschau - 26.8.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR