(Vortrag beim Treffen des Schwalbacher Vereins für Heimat und Geschichte e. V.
Durch Richard Peters am Dienstag, 3. März 2009):

Willkür des und Widerstand gegen das Nazi-Regime in Schwalbach
von Richard Peters

Trotz der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten änderte die KPD ihre seit 1929 vertretene Auffassung nicht, daß ein baldiger revolutionärer Umsturz bevorstehe. Sie ging davon aus, daß die Regierung Hitler den Verfall des kapitalistischen Systems sogar noch beschleunige, und war bestrebt, bei passender Gelegenheit durch Massenbewegungen, wie z. B. einen Generalstreik, positiv auf dieses Ziel hinzuarbeiten.

Hitler plante von Anfang an, seine Position durch ein "Ermächtigungsgesetz" zu festigen. Bei der Abstimmung im Reichstag fehlten die Kommunisten (wegen Verhaftung und Verfolgung; Webmaster) und von den 538 Anwesenden stimmten 444 für das Gesetz, wobei lediglich die SPD geschlossen dagegen votierte. Hitler plante, die Partei zu verbieten. Mit dem Reichstagsbrand am 27/28. 2. 1933 bot sich ihm unverhofft die Chance, die KPD zu zerschlagen und einen großen Teil der Mitglieder zu verhaften. Die Partei war  nicht offiziell verboten und durfte für die kommende Wahl kandidieren. Sie erhielt am 5. 3. 1933 mit 4,8 Mio Wähler 12,3% der Stimmen. Sie hielt daher Widerstandsaktionen für erfolgversprechend. Doch auf die einsetzende Massenpropaganda erfolgten weitere Verhaftungen. Der Parteiapparat war geschwächt und nicht  mehr intakt, und größere Maßnahmen wurden nicht ergriffen. Man beschränkte sich darauf, Flugblätter oder Zeitungen zu verteilen und Mitgliedsbeiträge zu kassieren.

Die SPD wurde im Juni 1933 verboten. 1934 wurde eine illegale Neugründung versucht. Die daran beteiligten Personen wurden 1936 verurteilt. Schwalbacher waren nicht dabei.
 

KPD-Widerstand

  • In Schwalbach waren die KPD-Mitglieder Johann Gräber, Josef Zink und Hans Rühl aktiv.
    Schon am 1. 4. 1933 war Gräber in "Schutzhaft" genommen worden, weil er im Verdacht stand, Flugblätter verteilt zu haben. Hier ein Beispiel:

    Werktätige Bauern!
    Seit Wochen hat Adolf Hitler in Deutschland die Regierung in der Hand.
    Auch alle Länderregierungen sind jetzt von seinen Leuten besetzt. Was hatte man Euch alles versprochen?
    Wann soll das Versprochene eingelöst werden?
    Bis heute wartet Ihr vergebens darauf.
    Laßt Euch nicht an der Nase herumführen.
    Jetzt heißt es:
    - Keiner zahlt mehr Bürgersteuer!
    - Keiner zahlt mehr Schlachtsteuer!
    - Keiner zahlt mehr Hauszinssteuer!
    - Alle Zinszahlungen für die Unterdrückten werden sofort eingestellt.
    - Zahlt nur noch die halben Pachtsätze!
    - Zahlt nur noch die halben Strompreise!
    Ruht nicht eher, bis Eure Schulden an Eure Peiniger gestrichen sind!
    Zieht vor die Finanzämter!
    Räumt diese Buden aus!
    Verbrennt Eure Schuldenakten!
    Die Börsenfürsten und Finanzhyänen an den Galgen!
    Haltet Abrechnung mit den Blutsaugern!
    Verlangt billiges Saatgut! Holt es Euch auf den großen Gütern!
    Verlangt billige Futtermittel! Holt sie Euch auf den großen Gütern!
    Duldet nicht, daß Ihr weiter ausgeplündert werdet!
    Erhebt Euch zum Kampfe!
    -Es lebe der Freiheitskampf der Arbeiter und Bauern!
    -Es lebe das Kampfbündnis der Arbeiter und Bauern!
    -Es lebe die Arbeiter- und Bauernrepublik!
    Bezirks-Bauern-Komitee”

    Kaum ein Viertel Jahr nach der so genannten Machtergreifung war ein solcher Aufruf gegen das Hitlerregime sehr bemerkenswert und mutig. Bei seiner Verhaftung gab Gräber an, den Inhalt der Flugblätter nicht zu kennen. Die Polizei durchsuchte sein Haus und fand einen unbedruckten Zettel des Formats der Flugblätter. Zwei weitere Schwalbacher KPD-Mitglieder, darunter Josef Zink, wurden ebenfalls verhaftet. Aus Mangel an Beweisen wurde das Verfahren eingestellt. Auch Josef Zink war vernommen worden und auch das Verfahren gegen ihn wurde am 12. 10. 1933 eingestellt. Er hatte bei Notstandsarbeiten für die Gemeinde "parteischädigende" Äußerungen getan.

    Die Tätigkeit im Untergrund hörte damit noch nicht auf. Kritik läßt sich in totalitären Regimen besonders im Gewande des Narren verkaufen. In der Fastnachtswoche, am 12. 2. 1934, fand im Gasthaus zum Schwanen ein Maskenball statt. Zwei Masken fielen besonders auf: Eine hatte ein Schild auf dem Rücken mit der Aufschrift: Was drückte uns im alten Reich? Auf dem Anzug des Betreffenden klebten mehrere Plakate mit den Aufschriften: Steuer, Dränage, Konsolidation, Milchhof p. p. Der Träger der Maske wurde als Schwalbacher KPD-Mitglied identifiziert. Eine andere Person trug ein Schild auf dem Rücken, steckte in einem Sack und trug an den Händen Ketten. Auf dem Schild stand: Was bringt uns das neue Reich? Bei dieser Person handelte es sich um Johann Gräber. Er wurde aufgefordert, das Schild zu entfernen.

Eine weitere Aktion, die Gräber startete, ist in einem Interview mit dem Bund Deutscher Pfadfinder enthalten. Bei der Abstimmung zur Rückgliederung des Saarlandes hatte er erreicht, daß 135 Personen mit Nein stimmten und weitere 35 weiße Stimmzettel abgaben.

Die Arbeit der Kommunisten in Schwalbach fand im Frühjahr 1937 ein jähes Ende. Untergrund-Kommunisten sammelten für die Angehörigen von Inhaftierten. Unglücklicherweise erlitt der Fahrer des Motorrades mit den in einer Aktentasche befindlichen Spenden- und Personenlisten einen Unfall und das Material fiel der Polizei in die Hände. Der Fahrer war Hans Rühl, der kurz nach dem Krieg von den Amerikanern kurzzeitig als Bürgermeister in Schwalbach eingesetzt wurde. Rühl wurde im Januar 1937 verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt war Gräber bereits zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, denn das Oberlandesgericht in Kassel verurteilte am 28. 5. 1937 drei Personen aus Schwalbach und eine aus Sulzbach, weil sie die verbotene KPD in ihren Orten fortgeführt hatten. Zu den Verurteilten gehörte auch Josef Zink

Nicht ganz so umfassend, sondern der Ideologie stärker verhaftet, erscheint der ebenfalls der KPD in Schwalbach zuzuzählende Joseph Zink. Er gehörte zum Beginn der nationalsozialistischen Ära zu der angesprochenen Gruppe der Arbeitslosen und Hilfsarbeiter, soll er doch bei der Verrichtung von Notstandsarbeiten als Wohlfahrtsempfänger geäußert haben, die Arbeiter seien dumm, da sie für das Kapital arbeiteten. Die Regierung Hitler, so Zink, sei sowieso bald fertig, dann kämen die Volksbeauftragten, "was wohl das Beste sei", womit er, wie oben für die Gesamtlinie der KPD dargelegt, im Naziregime das Anzeichen für die bevorstehende Weltrevolution erblickt haben dürfte. Außerdem soll Zink den rückläufigen Kurbetrieb in den Bädern, namentlich in Bad Soden, auf die "Aktion gegen die Juden" zurückgeführt haben, womit er zwar nicht direkt Partei für die Juden einnahm, aber doch den volkswirtschaftlichen Schaden des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4. 1933 aufzeigte. Das Gesetz schrieb die Entlassung aller nichtarischen Beamten aus allen öffentlichen Verwaltungen vor.

Widerstand der Katholischen Kirche
 
Widerstand von Christen gegen den Nationalsozialismus hatte von Anfang an die Zeit seit der Machtergreifung begleitet. Doch das neue System entfaltete sich erst allmählich in seiner Unmenschlichkeit im Allgemeinen und in seinem Vorgehen gegen die christlichen Religionsgemeinschaften selbst, denen die "nationale Bewegung" Stück für Stück den Lebensraum beschnitt, sie belästigte und verhöhnte, um sie schließlich zu verfolgen und zu kreuzigen. Zunächst jedoch schien das Regime lange gehegte Wünsche der Kirchen verwirklichen zu wollen, Garantien und Schutz zu versprechen. Wo Skepsis seitens der Kirchen vorhanden war, wurde auf diese Weise eine Basis zur Zusammenarbeit vorgetäuscht.

Die katholische Kirche steht deshalb im Mittelpunkt dieser Betrachtung, weil Schwalbach zum überwiegenden Teil ja katholisch war. Seit im Jahr 1604 der neue Inhaber der Grafschaft Königstein, der Erzbischof von Mainz, die Bewohner zum "alten Glauben" zurückgeführt hatte (vorher war es wie der Landesherr protestantisch), gab es in Schwalbach kaum Protestanten, bis erst ganz allmählich seit der Wende zum 20. Jahrhundert durch den Beginn der Industrialisierung im Großraum Frankfurt die Mobilität der Bevölkerung auch Auswirkungen auf den bäuerlichen Ort Schwalbach gebracht hatte. Ein evangelisches Gotteshaus entstand erst 1926 in Form einer barackenähnlichen Notkirche für die Schwalbacher und Niederhöchstädter Protestanten auf dem Gelände "Park", wo sich heute die Geschwister-Scholl-Schule befindet. Die Schwalbacher Schülerzahlen aus der Schulchronik zeigen mit über 190 katholischen und meist nicht mehr als 30 evangelischen Kindern von 1918/19 an  ein Verhältnis von z. T. 7:1, wenn auch die Anzahl der Katholiken (vielleicht durch Kirchenaustritte) bis 1940 zurückging. Ein deutlicher Anstieg der evangelischen Schüler ist erst von 1944 mit 45 bis 1949 mit 90 Schülern festzustellen.

Wenn es heute zunehmend Auffassungen zu geben scheint, daß im Sinne des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen erst der Erwachsene entscheiden soll, ob und ggf. welcher Religionsgemeinschaft er/sie angehören will, so stehen wir damit am Endpunkt einer Entwicklung. Elternhaus und Staat halten sich heute heraus, wenn es um religiöse Erziehung geht, d. h. sie üben keinen gesetzlich verankerten Zwang aus. Ob Drogen, Kriminalität, Perspektivlosigkeit der Jugend heutzutage als ein Resultat daraus anzusehen sind, wird die Zukunft erweisen. In der Weimarer Zeit gab es noch politische Kämpfe um den Bereich der Kindererziehung. Im Kaiserreich war zwar 1872 die vorher weitgehend bei den Kirchen stehende Schulaufsicht als Verpflichtung des Staates definiert worden, doch konnten Geistliche im Auftrag des Staates diese Aufgabe übernehmen, und vielfach waren die Schulinspektoren damals noch Geistliche. Erst Art. 144 der Weimarer Reichsverfassung beseitigte dann die kirchliche Schulaufsicht auf der örtlichen Ebene, doch blieb der Religionsunterricht  in der Weimarer Zeit noch verpflichtend seitens der Grundschule, d. h. diese mußte den Unterricht anbieten, Lehrer konnten nicht gezwungen werden, daran teilzunehmen. Auch hier kamen natürlich oft genug Ortsgeistliche der Verpflichtung nach.

Das Zentrum hatte Hitlers Ermächtigungsgesetz 1933 zugestimmt, da dieser dessen Vorsitzenden Prälat Kaas im Hinblick auf ein mit der Kurie in Rom  von der neuen deutschen Staatsregierung abzuschließendes Konkordat weitgehende kirchliche Rechte zugesichert hatte. Das Zentrum löste sich daraufhin als Partei auf. Das Konkordat wurde auch im Juli 1933 in Rom unterzeichnet, wobei die Kirche Rechte um die lange umkämpften Konfessionsschulen, aber auch den Schutz ihrer Vereine und Organisationen erhielt. Hitler erhielt als Zugeständnis die Entfernung der Kirche aus der Politik, womit in erster Linie die Existenz des Zentrums als Partei gemeint war, in der Folgezeit aber auch sehr schnell alle Bereiche des Lebens, die die nationalsozialistische Bewegung erfaßte und sie damit als politisch galten. Hitler benutzte dies, um auf quasi legale Weise gegen die Verbände und Vereine der katholischen Kirche vorzugehen.
 

Pfarrer Karl Lenferding
Schon im Juli 1933, so vermerkte der Schwalbacher Pfarrer, hatte das NS-Regime ein Verbot gegen die Jugendverbände der Kirche ausgesprochen, das aber bald wieder aufgehoben wurde. Die Kirche setzte ihre Jugendarbeit konsequent fort, weihte im Oktober 1933 das Jugendheim ein. Die Firmung im Juli 1934 durch Bischof Hilfrich aus Limburg war gut besucht, und die Anfang 1935 veranstaltete Volksmission führte in den drei Orten Schwalbach, Niederhöchstadt und Mammolshain zur Gründung eines Männerapostolates. Dennoch konstatierte Pfarrer Lenferding für Herbst 1935 den fast geschlossenen Austritt der Jugend aus den konfessionellen Vereinen hin in die staatlichen Jugendorganisationen. Seit dem 1.12.1936 wurde für HJ und BDM die Jugendverbandspflicht eingeführt, die vom 10. bis 18. Lebensjahr neben die vom 6. bis 18. Lebensjahr geltende Schulpflicht trat.

Daß dies eher ein Nachgeben ohne offenes Aufbegehren gewesen sein muß, bescheinigte der Pfarrer am 17. September 1945 in seinem von seiner vorgesetzten Dienststelle über die vergangenen zwölf Jahre eingeforderten Bericht, wo es heißt: "Die Haltung der hiesigen katholischen Bevölkerung, besonders auch der Jugend, war stets ziemlich ablehnend. Grund war nach Ansicht der NSDAP nur der Pfarrer, den man deshalb auf alle mögliche Weise zu entfernen suchte. Heute, wo die Parteigenossen nun bekannt werden, stelle ich fest, daß ihre Zahl aus katholischen Kreisen sehr gering ist. Stets war  Klage über geringe Teilnahme an Jugendveranstaltungen und Versammlungen. Geldsammlungen waren auch nicht groß ausgefallen. Jedenfalls schauen heute die meisten mit Befriedigung zurück auf ihre passive Haltung."

Hiermit ist ausgesprochen, was auch aus Einzelbelegen aus den Akten aus der katholischen Pfarrchronik aufscheint: Im Rahmen der vom Staat und der Partei belassenen Möglichkeiten hielt die katholische Bevölkerung innerlich ihrer Kirche und ihrem Seelsorger die Treue. Aktionen gegen sie war das Entfernen des kirchlichen Aushängekastens oder das Fotografieren des zur Firmung 1938 geschmückten Kirchenportals: sie gingen auf auswärtige Personen zurück. Nach der Aufhebung der katholischen Jugendvereine in der Diözese Limburg am 25.11.1937 und der katholischen Arbeitervereine am 19.1.1939 trafen sich diese Personengruppen weiterhin mit dem Pfarrer zu Vorträgen über religiöse Themen; allerdings wurden keine Beiträge erhoben und keine Mitgliederlisten geführt, so daß die Treffen trotz polizeilicher Beobachtung unbeanstandet blieben. Der Übernahme des katholischen Kindergartens durch das Amt für Volkswohlfahrt (NSV) am 11. 8. 1941 folgte auch lediglich passiver Widerstand durch die Betroffenen. Den Hort hatten seit 1922 Schwestern der christlichen Schulen  und der Barmherzigkeit mit dem Sitz des Mutterhauses in Heiligenstatt/Thüringen geleitet. Die Zahl der nun staatlich beaufsichtigten Kinder ging von 50 auf 30 zurück, und dieser Rest ging dorthin auch nur, weil auf die Eltern z. T. Druck ausgeübt worden war, wie Pfarrer Lenferding äußerte.

Daß wir im Zentrum dieses seitens der katholischen Bevölkerung passiv ausgeübten Widerstands den Pfarrer sehen müssen, der den Betroffenen Rückhalt bot, resultiert daraus, daß er seine Pflichten als Seelsorger ernst nahm und jeden ihm vom Staat belassenen Freiraum konsequent ausnutzte und intelligent verteidigte. Daß es sich bei seiner Person, wie auch bei den vorher erwähnten Kommunisten im Ort, um eine Art von aktivem Widerstand gehandelt hat, ist auch daraus zu ersehen, daß er Zielscheibe regelrechter Angriffe gewesen ist. Außer den Spitzen der Partei und der Verwaltung war auch der Hauptlehrer der Schule maßgebend beteiligt. Daß die Lehrerschaft sich parteikonform verhielt, war normal, da die Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund nahezu verpflichtend war und nur sie Zugang zu den Lehrerstellen und Möglichkeiten zur Karriere eröffnete. Während Zurückhaltung bei Einzelnen toleriert wurde, muß bei den Schulleitern in höherem Maß vom Eintreten für die nationalsozialistische Sache ausgegangen werden.
Zum ersten Mal fiel der Pfarrer aktenkundig unliebsam auf bei einer Predigt im Filialort Niederhöchstadt am 23.12.1934 mit dem Thema: "Von der Sünde". Der örtliche Bürgermeister hielt wesentliche Passagen fest:
"Die Leute, die uns eine modernes Heidentum predigen, stellen die Sünde als etwas ganz anderes hin, als wir den Sündenbegriff kennen. Für uns ist Christus kein Mythos, sondern er hat gelebt, er war Gott! - Einer der modernen Prediger, ein hoher Führer, der sehr viel zu sagen hat, findet in dem Sündenbekenntnis etwas Erniedrigendes, etwas Demütigendes, einem Menschen seine Seele offen darzulegen. Dieser Heide begreift nicht, daß es immer etwas Hohes, Großes ist, seine Schuld offen zu bekennen. Es ist gewiß ein Stück Heldenmut, seine Sünden zu bekennen.- Wir Katholiken lehnen dieses Neuheidentum ab, das Hirngespinste erzeugt haben. Wir gehen reumütig zur Beichte. Lassen wir diese Neuheiden nur ruhig predigen, wir bekennen uns zu Christus."
Die Predigt zeugte von Heldenmut. Zwar nannte Lenferding keine Namen, doch griff er Rosenbergs "Mythos des 20. Jahrhunderts" an und setzte die Nationalsozialisten mit den Heiden gleich. Der so genannte politische Lebenslauf, den der Schwalbacher Bürgermeister Ende Januar 1935 von Lenferding erstellte, spricht ebenfalls für sich.

Der Schwalbacher Bürgermeister Kiesser erstellt einen so genannten politischen Lebenslauf über den Schwalbacher katholischen Pfarrer Karl Lenferding:

"Der am 15. 7. 1887 in Selters geborene Lenferding stand bei der Zentrumspartei bis zu deren Ausschaltung. Unser Ort besteht zu 75%  aus katholischen Volksgenossen, und hier fand er guten Boden zur Werbung für das Zentrum, deren Versammlungen er hier in Schwalbach und Niederhöchstadt begünstigte, besuchte und propagierte. Nach Ausschaltung des Zentrums verhielt er sich einige Monate ruhig. Seit Mai/Juni 1933 führt er ohne Unterlaß versteckte Angriffe gegen alle nationalsozialistischen Gedanken, Ausführungen und Taten. Ob es sich um Jugenderziehung oder Arbeitsdienst oder Schulungsabende handelt, stets bemüht er sich, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Die bewußte Zurücksetzung  der NS-Jugend seinem katholischen Jugendbund gegenüber betreibt er in der Schule (Religionsunterricht) sowie in der Kirche.

Im Arbeitsdienst haben junge Leute nach seiner Ansicht keine Möglichkeit, ihren katholischen Gottesdienst zu besuchen, weil die meist evangelischen Vorgesetzten durch Dienstansetzung dies verhindern würden. Am 30.1.1934 zeigte Lenferding im Pfarrhaus nur die schwarz-weiß-rote Fahnenstange, und zwar so, daß zum Dachfenster an der Straßenfront die Fahnenstange gerade nur so weit herausragte, daß das Fahnentuch in Falten an der Mauer anlag. Eine Hakenkreuzfahne fehlte. Am Schulungsabend für alle Volksgenossen setzte er eine Zusammenkunft seines Männervereins an. Diese und alle sonstigen Handlungen sind nicht etwa so zufällig oder bestehen in meiner Einbildung, sondern sind allen nationalsozialistischen Volksgenossen offenkundig, und wurden bei mir und dem Ortsgruppenleiter sehr oft beanstandet. Aus allem blickt klar bewußt seine gegensätzliche Einstellung zum Nationalsozialismus heraus. Er grüßt grundsätzlich nur mit "Guten Tag", auch den Ortsgruppenleiter und alle Uniformierten auf  deren Gruß "Heil Hitler".

In der Kirche verkündete er kürzlich, wie er sehen mußte, daß ein Parteigenosse mit Handerheben "Heil Hitler" einen Nachbarn in der Bank begrüßte, dieser Gruß gehöre nicht in die Kirche, sondern der kirchliche Gruß sei anzuwenden. Daß zahlreiche Besucher, auch seine Vertrauten, sich mit "Guten Tag" begrüßen, dies rügte er nicht. Ein anderes Wort von ihm lautete am Sonntag, den 20.1.: "Diejenigen, die treu zu ihrem Glauben halten, nennt man heute Staatsfeinde". Den Jünglings- und Jungmännerverein hat er erweitert auf einen Männerverein, und er bearbeitet dort seine Schäfchen mit weiteren staatsfeindlichen oder staatsmißgünstigen Begriffen, denn sonst könnte sich nicht eines seiner Mitglieder in folgendem Wortlaut äußern: "Ja, wir müssen zusammenhalten, denn der Nationalsozialismus will uns unsere Kirche und unseren Glauben nehmen und eine deutsche Kirche begründen". Aus der geistigen Befähigung des Betreffenden heraus kommt dieser Ausspruch bestimmt nicht.

Auch ist er ein rücksichtsloser Gegner von Mischehen (das sind Ehen von Katholiken und Protestanten). Bei einem dieser Tage genommenen Auszug aus dem Standesamtsregister bei mir auf dem Amte äußerte er sich zur Schreibhilfe, welche ihm behilflich war, als er feststellte, daß wieder einmal ein katholischer Mann eine evangelische Frau genommen hatte, wo denn das Luder her stamme. Wenn auch die katholische Kirche Mischehen nicht wünscht, so ist diese Äußerung sowie eine kürzlich in der Kirche gemachte: "Von jungen Rotznasen, denen es einerlei sei, welchen Mann (Konfession) sie bekommen", ungeheuer und aufreizend. Seit zwei Jahren kämpft unser Ortsgruppenleiter (ev.) in sachlicher und ruhiger Weise hiergegen an, hat persönlich im Jahre 1933 zwei längere Unterredungen mit Herrn Lenferding geführt, alles ohne Erfolg. Herr Pfarrer Lenferding mischt sich auf allen Wegen über Konfession und Kirche überall in die politische Willensgestaltung ein. Er gehört zu denjenigen, die vom Nationalsozialismus nichts begriffen haben und nichts lernen wollen. Als politischer Amtsleiter weiß ich, daß der Ortsgruppenleiter der Kreisleitung Meldung über diese örtlichen Mißstände gegeben hat. Pfarrer Lenferding ist für den nationalsozialistischen Aufbau in unserem Orte nicht tragbar. Eine Versetzung des Herrn Lenferding wird von allen nationalsozialistisch denkenden Schwalbacher Volksgenossen dringend erwünscht. -
Der Gemeindeschulze"


Schon hierin ist eine Versetzung Lenferdings als dringend erwünscht angesprochen, weil er dem nationalsozialistischen Staatsaufbau entgegenarbeitete. Auf seine Versetzung arbeitete auch der Hauptlehrer hin, und die Verhöre vor der GESTAPO wollten seine Versetzung bzw. Ausschaltung durch Verhaftung erreichen. Das erste Verhör kam 1940 aufgrund von durch den Schulrat fingierten Zeugenaussagen zustande, die dieser von Kindern hatte unterschreiben lassen. Einer der Anklagepunkte war der nicht geübte "Deutsche Gruß", eine weit verbreitete Methode der Denunziation. Beim dritten Verhör 1943 lautete ein Vorwurf, Lenferding habe gepredigt, ein Ungeheuer habe den Krieg angefangen.
Von der wachen Intelligenz des Geistlichen zeugt es, daß es den Nationalsozialisten weder gelang ihn zu versetzen, noch zu verhaften; die Anklagepunkte in den Verhören parierte er, oft wohl durch Aufzeigen widersprüchlichen Aussagen. Verurteilt wurde er lediglich  einmal zu 300 RM Geldstrafe. Sein Bruder, der Pfarrer in Schwanheim war, wurde verurteilt und kam ins KZ.

Es ist ziemlich sicher, daß sich die Haltung der Kirchengemeinde und die Stärke des Pfarrers gegenseitig bedingten, denn schon in Niederhöchstadt war die Position Lenferdings nicht so gefestigt, wie in Schwalbach. Besonders weil diese Pfarrgemeinde nach kirchlicher Selbstständigkeit von der Pfarrei Schwalbach strebte, außerdem gab es hier schon mehr Protestanten. Der Kirchenvorstand bestreikte den Geistlichen seit Oktober 1941, wie dieser 1942 in die Pfarrchronik schrieb. Die Zwistigkeiten brachen Lenferding dennoch nicht das Genick. Abschließend ist zu resümieren, daß vorbildhaftes Auftreten Einzelner dem Erfolg des Widerstandes eher zu Gute kam als passive Verweigerungshaltung.
 

Pfarrer Lenferding nach 1945:
Es ist bemerkenswert, daß das NS-Regime mit all seiner Macht es nicht schaffte, Pfarrer Lenferding aus seinem Amt zu verdrängen. Dieses schaffte die Kirchengemeinde selbst im Jahre 1955. So wie Pfarrer Lenferding während der Nazi-Zeit furchtlos seine Meinung kundtat, so kämpfte er auch unerschrocken gegen den Verfall der Moral nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei machte er sich bei manchen seiner Schäfchen unbeliebt. Als die Schwalbacher Schwesternstation aus Mangel an Nachwuchs die Schwalbacher Niederlassung schließen wollten, machten die Gegner von Pfarrer Lenferding ihn für den beabsichtigten Weggang verantwortlich und betrieben seine Versetzung, was schließlich auch gelang. Im Mai 1955 resignierte Pfarrer Lenferding in Schwalbach und wurde in den Ruhestand versetzt. Die letzten Lebensjahre verbrachte er als Seelsorger in Hintermeilingen. Dort verstarb er am 30. Juni 1961 im Alter von 74 Jahren. Er ist auf dem alten Schwalbacher Friedhof beigesetzt.

Auszug aus der Pfarrchronik
War Schwalbach bisher noch von manchen Sorgen frei geblieben, so brachen jetzt die Stürme herein. Zuerst war es die Haussuchung  und damit verbundene Verhaftung des Landwirts Johann Scherer, Taunusstr. 21 und der Wiegefrau Lena v. Hain und ihrer Tochter L. Benn geb. v. Hain. Nach langen Verhandlungen, in denen viele Bauern vorgeladen waren, kam endlich das harte Urteil:
Scherer      1 ½ J. Zuchthaus
Fr. v. Hain   1 ¼ J. Zuchthaus
L. Benn   1 ¼ J. Zuchthaus
alle wegen Veruntreuung (Schwarzschlachtung und falsches Wiegen).
Die Verurteilten mußten auf einem Pferdewagen durch das Dorf fahren, um verspottet und verhöhnt zu werden.

An dem Himmelfahrtstage erschien ein staatl. polizeiliches Verbot, am Feste Himmelfahrt und am Fronleichnamstag nur einen Abendgottesdienst zu halten, darum vergehen die beiden Tage wie gewöhnliche Werktage.
Bezeichnend ist, daß am 25. März 1945 der Volkssturm als letzte Rettung aufgerufen wird, doch schon am selben Abend kehrten die Männer zurück.
Von der Gauleitung war Befehl ergangen, daß der gesamte Main-Taunus-Kreis bis zum 26. März abends 6 Uhr geräumt werden müsse, aber niemand kümmerte sich darum, auch die Männer, die um 6 Uhr dieses Tages abermals zusammengerufen wurden, weigerten sich, abzurücken, wenn nicht auch die Parteibonzen anträten. Alle Bemühungen waren vergeblich, niemand zeigte Lust, den Forderungen nachzukommen. Aber in der Nacht verschwand die Parteileitung auf hoffentlich kein Wiedersehen!

Kindergarten
Der Kirchenvorstand der katholischen Pfarrgemeinde St. Pankratious erhielt folgendes Schreiben:

Betr. Übernahme des Kindergartens.
In Ausführung des Erlasses des Herrn Reichsministers des Innern hat der Stellvertreter des Führers vom 21.3.1941 IV.WII 24/41-8800 und III/34 Ei 2855/T/22 Min.Al. I. V. 1941 Spalte 525 sollen im Laufe des Monats August sämtliche nicht gemeindlichen (konfessionellen) Kindergärten seitens der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) übernommen werden. Die Ortsgruppenleiter der Partei und die Bürgermeister sind darüber unterrichtet.
Ich teile Ihnen hierdurch mit, daß für den Main-Taunus/Obertaunuskreis die Übernahme für Montag, 11. August 1941 vormittags 9 Uhr festgesetzt worden ist.


Darauf hat der Kirchen-Vorstand geantwortet:

"Der Kirchen-Vorstand erhebt gegen die beabsichtigte Wegnahme des hiesigen Kindergartens Einspruch mit der Begründung:
1. In den angezogenen Erlassen ist von konfessionellen Kindergärten keine Rede. Der hiesige ist s. Zt. mit Genehmigung der Regierung eröffnet worden, bisher anerkannt und des Öfteren nachgeprüft worden. Die leitende Schwester hat die für die Führung notwendigen Prüfungen abgelegt und war als geeignet jederzeit anerkannt. Eine Zurücknahme der Erlaubnis durch die Regierung ist bisher nicht erfolgt.
2. Der hiesige Kindergarten ist ausschließlich mit kirchlichen und karitativen Mitteln errichtet und geführt worden, die Gemeinde hat niemals ein Interesse an ihm gezeigt noch durch besondere Hilfe ihn unterstützt.
3. Nach dem Reichskonkordat Art. 15 Abs. 1 ist den Orden und religiösen Genossenschaften eine uneingeengte Ausübung zugesagt und nach Art. 21 Abs.1 sind diese rein karitativen dienenden Einrichtungen, die der kirchlichen Behörde unterstehen, geschützt.
4. Der Kirchenvorstand kann das der Kirchengemeinde gehörende Anwesen, das lt. Testament des Stifters nur karitativen Zwecken dienen soll, nicht kirchenfremden Gemeinschaften zur Verfügung stellen. Er ist außerdem in seinen etwaigen Beschlüssen gebunden an die Genehmigung der vorgesetzten kirchlichen Behörde, kann von sich aus also keine Zusage geben.
5. Das Haus mit dem Schulsaal ist wegen durch das Militär erfolgten Belegung des Pfarrheims, für die Abhaltung der Pfarrstunden und des sonstigen Pfarrunterrichtes sowie für die Betreuung der verschiedenen Stände in religiösen Versammlungen nicht zu entbehren.
Auf diese Gründe gestützt bitten wir, von der Übernahme des Kindergartens abzusehen."

 

Darauf wurde telefonisch von der Kreisleitung mitgeteilt, daß bei Weigerung der Kirchengemeinde Beschlagnahme durch die Gestapo erfolge.
Am Montag, den 11. August 1941 9 Uhr vormittags nahm der hiesige Bürgermeister den Kindergarten widerrechtlich in Besitz und übertrug ihn nach oberflächlichem Protokoll einer Kindergärtnerin der NSV. An dem Vorgang hat sich niemand unsererseits beteiligt.
Der Kirchenvorstand hat daraufhin an den Herrn Regierungspräsidenten und den Herrn Landrat Protestschreiben (siehe Akten Kindergarten) eingereicht wegen der gesetzlichen Unrechtmäßigkeit der Beschlagnahme, denn es war
1. Keine Entziehung der Genehmigung vorgenommen,
2. mit Grund der Leistungsgesetzes, ohne schriftliche Anforderung, der Garten genommen samt allem Inventar.
Am 6. Sept. 1941 erhielten wir eine Zuschrift von Seiten des Herrn Regierungs-Präsidenten, daß die ganze Angelegenheit an den Herrn Landrat überwiesen sei zur Erledigung!
Unter dem 13. Sept. 1941 bekam die kath. Pfarrgemeinde durch das Landratsamt die Mitteilung, daß die widerrufliche Genehmigung zur Führung  des Kindergartens zurückgenommen sei, und der Kindergarten vorerst mit allem Besitz an die Kreisleitung der NSV in Bad Soden übertragen sei.

Am 13. März 1942 trat die NSV an den Kirchenvorstand heran, um über die Aufstellung eines Mietvertrages betr. Kindergarten zu verhandeln, der Kirchenvorstand lehnte ab, da widerrechtlich enteignet. Seine Forderung nach Bezahlung für Licht u. Wasser ist unbeantwortet geblieben.
Da der Kindergarten im Schwesternhaus nach der Zerstörung durch Bomben nicht mehr gebrauchsfähig ist, hat man das Pfarrheim beschlagnahmt und eingerichtet, aber jetzt schon in der 6. Woche noch nicht benutzt, obwohl es damals hieß, die Mütter blieben von der Arbeitsstelle zurück, da die Kinder nicht versorgt seien.
 

Zusammenfassung:
Die Kommunisten mit Gräber, Rühl und Fink sowie die katholische Kirche mit Pfarrer Karl Lenferding waren also die Personen, die hier in Schwalbach Widerstand leisteten, wenn auch mit wenig Erfolg.

Es gibt in den Archiven noch eine Reihe von belegten Vorkommnissen, und auch viele noch lebende Zeitgenossen in Schwalbach können weitere Beispiele der NS-Willkür und vom Widerstand in Schwalbach berichten.