Johann Rudolf, Kronenwirt und Schultheiß in Schwalbach

Von Michael Geisler

Auf dem Ortsplan von Schwalbach, der schätzungsweise um 1770 gezeichnet wurde, aber mit 1670 falsch datiert ist, sind drei Wirtshäuser eingezeichnet, nämlich "Hirsch", "Schwan" und "Roß". Innerhalb der folgenden 25 Jahre entstand ein weiteres Wirtshaus, von dem nur wenig bekannt ist: die "Krone". Bisher läßt es sich von 1794 bis 1811 nachweisen, bis 1825 war es in Familienbesitz, ob weiter als Wirtschaft oder nur noch als Wohnhaus, ist derzeit unklar.

Der erste bekannte Kronenwirt hieß Johann Rudolf. Am 28. Dezember 1766 wurde er in der Pfarrkirche "St. Pankratius" in Schwalbach getauft. An seinen Taufpaten und Großonkel Johann Scherer und dessen Frau Anna Maria Rudolf erinnert heute noch das 1767 errichtete Steinkreuz, das nicht weit vom Eichendorff-Weiher seinen Platz gefunden hat.

Seine Eltern Johann Rudolf und Susanna Maria Klomann hatten 1763 geheiratet. Der Urgroßvater, der ebenfalls Johann Rudolf hieß, stammte aus Niederhöchstadt und heiratete 1695 die Schwalbacherin Susanna Fanck. Deren Vater Johann war zu diesem Zeitpunkt schon verstorben, ihre Mutter Ursula war Wirtin "Zum Hirsch". Auf diese Weise gelangte dieses Wirtshaus an die Familie Rudolf. Einige Jahrzehnte später betrieb sie es gemeinsam mit der Familie Weil, der auch das Wirtshaus "Zum Schwanen" gehörte, bis es ganz an diese überging.

Seit 1763, dem Ende des Siebenjährigen Krieges, erlebte Schwalbach eine Friedenszeit, die ein viertel Jahrhundert dauern sollte. Dann kam 1789 die Französische Revolution. 1792 begann der erste Koalitionskrieg, als Frankreich Österreich den Krieg erklärte. Weitere Staaten stellten sich auf seiten Österreichs und die verbündeten Truppen marschierten in Frankreich ein. Am 20. September nach der Kanonade bei Valmy wendete sich das Blatt. Die Verbündeten traten den Rückzug an, verfolgt von der französischen Revolutionsarmee, die den Rhein erreichte. Die Franzosen standen am 19. Oktober vor Mainz, der Hauptstadt des Kurstaates, zu dem auch Schwalbach gehörte, und nahmen die Stadt zwei Tage später ein. Der Kurfürst und sein Gefolge waren schon lange vorher geflohen. Am Folgetag wurden Höchst und Frankfurt besetzt, am 28. Oktober Königstein. Von nun an mußten die Schwalbacher und die Einwohner der benachbarten Orte immer wieder Einquartierungen erdulden, mal waren es die Soldaten der einen Seite, mal die der anderen.

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Abb. 1: Kreuz von 1767

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Abb. 2: Hessendenkmal

Das gesamte Gebiet litt unter diesem Zustand, immer wieder wurden Einwohnerzu Arbeiten herangezogen, z.B. zum Schanzenbau, Tiere und Getreide wurde beschlagnahmt, Gebäude und Felder wurden zerstört, es kam zu Kampfhandlungen und Mißhandlungen. Im Dezember begannen preußische und hessische Truppen gegen die französischen Truppen vorzurücken, das Hessendenkmal in Frankfurt erinnert an eines der vielen Gefechte jener Zeit. Bis zum 8. März 1793 hielten die Franzosen die Festung Königstein, dann kapitulierten sie. In Mainz selbst sympathisierten mehrere Bürger, die sogenannten Klubisten, mit den Franzosen, bis die Stadt am 22. Juli 1793 zurückerobert wurde.

Am 3. Oktober 1794 - es war Freitag Nachmittag - erreichten österreichische Husaren Schwalbach. Ihr Kommandant, Rittmeister von Conlogio, wandte sich an den Schultheißen Johann Adam, dieser sollte ihm und seinen Leuten Quartiere zuweisen. Conlogio begab sich zu dem ihm zugewiesenen Wirtshaus "Zur Krone", dessen Wirt Johann Rudolf war. Dieser öffnete nicht sofort das Tor und wurde erneut durch Offizier dazu aufgefordert. Als Rudolf endlich erschien, kam es zu einem Wortwechsel, dann ergriff Conlogio den Wirt am Arm, um ihn zum Tor zu ziehen. Es kam zum Streit, einer rempelte den anderen an - jeder sagte später aus, der andere habe angefangen - und schließlich schlug der Schwalbacher dem Österreicher ins Gesicht. Blutend kehrte Conlogio wieder zum Schultheißen zurück, um zu berichten, was sich ereignet hatte. Dazu forderte er Satisfaktion, ohne diese würde er Schwalbach nicht verlassen. Andernfalls würde er den Respekt vor seinen Soldaten verlieren und kein Offizier würde mehr mit ihm dienen wollen. Seine Forderung unterstrich er damit, daß er sogar vor den Kaiser seine Klage vorbringen wolle. Nun wurde auch Rudolf vernommen und seine Aussage deckte sich mit der des Offiziers, allerdings hatte hier Conlogio mit den Handgreiflichkeiten begonnen. Die verspätete Ankunft beim Tor begründete er damit, daß er beschäftigt gewesen wäre, das Stroh aus dem Stall zu schaffen, bevor er das Pferd holen konnte. Da ihm klar war, in welchen Schwierigkeiten er steckte, bat er von selbst den Schultheißen ihn in Arrest zu nehmen.

Um 8 Uhr abends erschien Schultheiß Adam beim Vogteiamt in Königstein, um Bericht zu erstatten. Den Rittmeister Conlogio bezeichnete er dabei als bescheidenen und stillen Mann, was die Folge hatte, daß man eher dessen als Rudolfs Aussage Glauben schenkte. Er wurde beauftragt, dem Rittmeister zu verkünden, daß das Vogteiamt nicht über eine Bestrafung Rudolfs zu entscheiden habe, dies sei eine Angelegenheit des kurfürstlichen Oberamtes in Höchst. Rudolf aber solle arrestiert und solange in Haft gehalten werden, bis die Entscheidung eintreffen würde.

Nach Schwalbach zurückgekehrt, fand der Schultheiß den Rittmeister nicht mehr vor, da er inzwischen Order erhalten hatte, Schwalbach Richtung Oberrod zu verlassen. Er hinterließ die Nachricht, daß er eine schriftliche Satisfaktion wolle, und um diese zu erhalten, am Folgetag einen Rasttag mache.

Nachts um 1 Uhr erschien Adam erneut beim Vogteiamt, um über die Neuigkeiten zu berichten. Man blieb beim Entschluß, die Entscheidung des Oberamtes abzuwarten. Johann Rudolf wurde in Arrest genommen, zum einen, um Schwalbach vor etwaigen Folgen zu schützen, zum anderen, um den Rittmeister eine einstweilige Satisfaktion zu verschaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren an Kosten 4 Gulden und ein Kreuzer entstanden, abgerechnet wurden ein Dekret, eine Tagesdiät, der Bericht, die Kopien und die Botengänge.

Am nächsten Tag schrieb Amtsvogteischreiber Schies an das Oberamt in Höchst und teilte mit, was geschehen war. Er schlug gleichzeitig vor, das Vergehen in starkem Maße zu ahnden, damit es in Zukunft als abschreckendes Beispiel dienen sollte.

Zwei Tage später ging von Oberamtmann Wallau ein Schreiben an die Kurfürstlich Mainzische Landesregierung. Da die Schwalbacher in der Vergangenheit schon öfter durch Starrsinn und Unfolgsamkeit gegenüber kleinen militärischen Abteilungen aufgefallen waren, forderte auch er eine härtere Bestrafung.

In Mainz ordnete der kurmainzische Beamte Werner an, daß Rudolf schriftliche Abbitte zu leisten habe, zuzüglich öffentlich eine Tracht Schläge und eine 14tägige Zuchthausstrafe erhalten solle. Kanzler Albini änderte am 10. Oktober die Anordnung noch etwas ab, die Bestrafung sollte nun nicht vor Rückantwort des Rittmeisters erfolgen.

Zwei Wochen später standen die französischen Truppen erneut vor Mainz.

Am 28. Oktober erklärte Johann Rudolf in Anwesenheit des Amtsvogtes Straus und des Schreibers Schies in Königstein, er sei des Schreibens wenig erfahren und könne die Abbitte nicht schriftlich leisten. Statt dessen wolle er diese mündlich zu Protokoll geben. Er bereue sein Benehmen, bat demütig um Verzeihung und um die edelmütige Nachsicht des Offiziers. Sein Fehlverhalten schrieb er seiner ländlichen Erziehung zu. In Anwesenheit des Rittmeisters hätte er die Abbitte auch öffentlich geleistet und er hoffte, dieser würde dieses von ihm unterschriebene Protokoll annehmen.

Am Folgetag wandte sich Oberamtmann Wallau schriftlich an den Kaiserlichen Rat und Feldkriegskommissarius von Baader, der seinen Sitz in Frankfurt hatte, erklärte den Vorfall und legte die Abbitte bei, damit diese dem Rittmeister übergeben werden könne. Desweiteren bat er darüber informiert zu werden, ob Conlogio auf die weitere Strafe bestehen wolle, oder ob er wegen Rudolfs Reue Großmut zeigen und eine Milderung der Strafe bewirken wolle.

Von Baader schrieb am 26. November, daß man nach dem Aufenthaltsort des Rittmeisters geforscht habe, dieser aber nicht aufzufinden sei. Im Namen des Rittmeisters bat er um Erlassung der Zuchthausstrafe.

Am Jahresende erhielt Schultheiß Johann Adam von Oberamt zwei Geldstrafen, die mit dem Fall Rudolf nicht in Verbindung standen, zum einen 3 Reichstaler wegen Subordination (im Original: "Subordinazion", = Gehorsam) widrigen Betragens und zum anderen ebenfalls 3 Reichstaler wegen zwei eigenmächtig vorgenommenen Versteigerungen, also 6 Reichstaler beziehungsweise 9 Gulden. Da weitere Schwalbacher an diesen beiden Vergehen beteiligt waren, nämlich die Gerichtsschöffen Heinrich Lorenz und Lorenz Henrich in beiden Fällen, in letzen Fall der Gemeindevorsteher Peter Benn und Nikolaus Flach, nahm das Oberamt insgesamt 22 Gulden und 30 Kreuzer Strafgelder ein.

Vier Monate waren vergangen. Am 24. März 1795 teilte Wallau der Landesregierung mit, daß Rudolf Abbitte geleistet hat und das entsprechende Schreiben an den Feldkriegskommissarius von Baader weitergeleitet wurde, sowie daß Rittmeister Conlogio nicht aufzufinden war und von Baader um Erlassung der Zuchthausstrafe für Rudolf gebeten hatte. Desweiteren fragte er an, ob Rudolf mit der ihm zugedachten Tracht Schläge belegt werden solle.

Am 10. April erklärte die Landesregierung, daß die Zuchthausstrafe erlassen ist, die Schläge aber ausgeführt werden sollten.

In einem Schreiben vom 21. August ist zu lesen, daß die Vollstreckung der Strafe nun zu erfolgen habe, eine Notiz auf demselben Blatt mit dem Datum des nächsten Tages erklärt die Sache als erledigt.

Bald darauf, am 24. September, wurde die Festung Königstein erneut von den Franzosen besetzt.

Im gleichen Jahr wurde in Schwalbach Schultheiß Adam entlassen, Nachfolger wurde der Schöffe Heinrich Lorenz. Dessen Mitbewerber waren Joseph Bommersheim und Konrad Scherer gewesen. Obwohl Bommersheim bei der Wahl 3 Stimmen mehr erhielt, wurde dieser nicht ins Amt übernommen, da er neben seiner Brauerei auch Wirtschaft betrieb. Das traf auch auf Scherer zu, da dieser aber die wenigsten Stimmen erhalten hatte, war dies ohne Belang.

Es dauerte nur wenige Jahre, dann wurde trotz seiner Vorgeschichte Johann Rudolf Schultheiß von Schwalbach. Schon 1786 hatte seine zwei Jahre ältere Schwester Elisabeth den aus Soden stammenden Maurer Jakob Schichtel geheiratet. Um wegen seiner Wirtschaft nicht in einen Konflikt zu geraten, ließ Rudolf diese von seinem Schwager betreiben. Trotzdem kam es zu einer Beschwerde durch den Schwalbacher Bürger Adam Roth, so daß Johann Rudolf am 7. November 1803 bat, daß man ihm die Wirtschaft gestatten oder aus dem Schultheißenamt entlassen solle. Am 11. Februar des folgenden Jahres legte er das Amt nieder, sein Cousin Johann Adam Rudolf folgte ihm im Amt.

1801 trat Johann Rudolf als Zeuge bei der Hochzeit seiner Cousine Anna Maria Rudolf mit dem Weber Anton Kreiner auf.

Am 15. Juni 1808 starb Ehefrau Eva, eine geborene Baum aus Zeilsheim, im Alter von 43 Jahren, die Ehe war kinderlos geblieben. Ein viertel Jahr später, am 19. September, heiratete er Anna Maria Aumüller aus Stierstadt. Bei seiner Hochzeit besaß Rudolf neben Haus, Hausrat, Äckern und 200 Gulden an Bargeld, die er für Einquartierungen im Jahr 1806 von den Freiherren von Greiffenclau erhalten hatte, noch an Tieren 2 Pferde, 2 Kühe, 8 Schafe, 3 Schweine, 2 Gänse und 4 Hühner, sowie an Getreide 10 Malter Korn, 15 Malter Gerste, 25 Malter Hafer, 2 Malter Weizen und ein Malter Erbsen. Seine neue Frau brachte noch in die Ehe außer Äckern, Getreide, Hausrat, landwirtschaftlichen Geräten und Geld noch 2 Ochsen, 3 Kühe, ein einjähriges Rind, 3 Schweine, 3 kleine Schweine (wohl Ferkel), 3 Gänse, 9 Schafe, 4 Hühner und einen Hahn mit. Als einziges Kind wurde 1811 Sohn Johann geboren.

Mit der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815, an der nassauische Soldaten ebenfalls beteiligt waren, darunter auch der Schwalbacher Nikolaus Eberhard, und der darauf folgenden Verbannung Napoleons auf die Insel St. Helena, sollte bald wieder Frieden ins Land kommen. Kurz vor der Schlacht brachen in Indonesien zwei Vulkane aus, Staub und Asche gelangten in die Atmosphäre und verteilten sich um die gesamte Welt, was zur Folge hatte, daß man 1816 von einem Jahr ohne Sommer sprach. Weltweit gab es Ernteausfälle und auch das Main-Taunus-Gebiet und seine Einwohner waren betroffen.

Wie weit Johann Rudolf betroffen war, ist nicht bekannt. Zwei Wochen vor seinem 50. Geburtstag starb er am 13. Dezember 1816. Die Todesursache war etwas ungewöhnlich, denn er ertrank in dem in seinem Haus befindlichen Brunnen. Der bereits erwähnte Anton Kreiner wurde zum Vormund des noch kleinen Sohnes Johann, und als dessen verwitwete Mutter 1817 Stephan Peter Endrich aus Sindlingen heiratete, war er auch ihr Trauzeuge. Doch Johann Rudolf hatte auch Schulden hinterlassen, so war sein Haus mit 1000 Gulden belastet. 250 Gulden hatte der Forstjäger Hild zu erhalten, 60 Gulden die Gemeinde Schwalbach und 566 Gulden die Erben der ersten Frau in Zeilsheim.

1825 sollte das zweistöckige Haus "Zur Krone", welches einen Wert von 3000 Gulden hatte, versteigert werden, doch es gab kein Gebot hierfür, letztlich erwarb es für 1800 Gulden ein Herr Keim aus Oberliederbach, wohl ein Verwandter des dortigen, inzwischen aber verstorbenen Pfarrers.

Nachdem auch Peter Endrich 1834 starb, lebte die nun zweifach verwitwete Anna Maria noch bis 1857. Der Sohn aus erster Ehe Johann Rudolf heiratete 1850. An ihren Sohn aus zweiter Ehe erinnert dessen Grabstein auf dem alten Schwalbacher Friedhof. Jakob Endrich ist die älteste dort vorfindbare Person, geboren im Jahr 1819.

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Abb. 3: Grab Endrich

Quellen:
Kirchenbucharchiv Limburg: Kirchenbuch Schwalbach

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Abt. 106 Nr. 1521, Abt. 230 Nr. 1138/12, Abt. 230 Nr. 1960/2, Abt. 330 R2 1794

Bilder:
Abb. 1 bis 3: Fotos von M. & M. Geisler

Aus:
Heimat & Geschichte Schwalbach am Taunus
Ausgabe 2 - Juli 2007

Nachtrag
Johann Rudolf heiratete seine erste Ehefrau Eva Baum am 17. Januar 1792, im Hochzeitseintrag des Zeilsheimer Kirchenbuches wird er noch nicht als Wirt bezeichnet. Evas Vater war Heinrich Baum, seine Familie stammt ursprünglich aus Sulzbach. Ihre Mutter Anna Maria Wollstadt war in Hattersheim geboren worden. Eine Schwester Evas hatte wenige Jahre vorher den verwitweten Fischbacher Schultheißen Heinrich Leicher geheiratet.