Die rechtliche und soziale Situation der Juden im Main-Taunus- Kreis im 17. Jahrhundert
WERNER SCHIELE

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatte eine neue Periode jüdischer Ansiedlungen eingesetzt. Eine Bereitschaft zur Duldung Andersgläubiger war den einzelnen europäischen Staaten durch Reformation und Kirchenspaltung aufgezwungen worden. Die abgenötigte Toleranz bezog sich zwar nur auf christliche Minderheiten, kam jedoch auch den Juden zugute. Infolge der Vertreibungen im 15. und 16. Jahrhundert aus nahezu allen deutschen Städten ließen sich Juden nunmehr vor allem in kleinen Orten und auf dem Land nieder. Insbesondere die Reichsritterschaft, kleine Duodezfürsten und die geistlichen Territorien waren zur Aufnahme von Juden bereit. Grundlage für die Rechtssituation eines im Gebiet des jetzigen Main-Taunus-Kreises lebenden Juden war der vom Landesherren gewährte Schutz. Dieser Schutz, auf dessen Erteilung ein Anspruch nicht bestand, berechtigte den Juden, sich an einem bestimmten Ort mit seiner Familie niederzulassen, dort zu wohnen und einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Das wichtigste Dokument war der Schutzbrief.  In diesem war die Dauer der Aufenthaltsberechtigung festgelegt, wobei Verlängerungsmöglichkeiten üblicherweise vereinbart werden konnten und auch wurden. Nicht nur bei der Nichtzahlung des Schutzgeldes, sondern auch ohne jegliche nähere Begründung konnte das Schutzverhältnis aufgekündigt werden. Bei der Neuwahl eines Kurfürsten im Erzstift Mainz mußte der Schutz erneuert werden, da er automatisch mit dem Tod des Vorgängers erloschen war. Diese Unsicherheitsfaktoren beeinflußten die Existenzbedingungen der Juden entscheidend. Des weiteren war im Schutzbrief die Höhe des jährlich zu zahlenden Schutzgeldes festgelegt und in den meisten Fällen auch der Umfang der wirtschaftlichen Betätigung. Der Schutz erstreckte sich nicht nur auf den Inhaber des Schutzbriefes, sondern auch auf seine Ehefrau, die unverheirateten Kinder sowie das Gesinde und auf die gegebenenfalls in seinem Haushalt lebende verwitwete Mutter. Der Text eines Schutzbriefes für einen in Flörsheim wohnenden und hier aufgenommenen Schutzjuden ist aus dem Jahr 1698 überliefert.

„Wir Johan Philips freyherr Greiffenklau von Vollrat, von Gottes Gnaden Dechand undt Capitul gemeiniglich des Hohen Dhomb Stifts zu Maintz thun kund undt bekehnen hirmit, für uns undt unsere Nachkommen, daß wir Mayer Juden zu flersheim, Aarons Sohn, auf sein undertheniges ansuchen in unseren Schutz daselbsthin auf undt ahngenohmmen haben, thun das auch hirmit undt kraft dieses brief also undt dergestalt, daß Er sambt seinem weib, kindern undt gebroodet Gesind alda wohnen in unserm schutz, schirm undt vertrettung die zuläsige undt ohnverbottene Handtierung treiben, gegen unsere Underthanen daselbst keine übermeßige wucher üben, sondern gegen denen selben sich schiedlich, friedlich undt bescheidentlich erweisen und sich schließlich also verhalten soll, daß uns derentwegen keine erhebliche Klagden zu kommen, undt wir dardurch veruhrsacht werden mögen, Ihm alsochen Schutz wieder zu entsetzen. Für diesen schutz solle Er uns gleich andern daselbst wohnenden Juden jährlich /: so lang dieser schutz wehren undt wir einen solchen bey unser jederzeit beliebiger revocation stehen wird /: zu unserem Depositariat Ambt termino Martini zahlen undt entrichten zwanzig fünf Gulden. Desen zu uhrkund haben wir zu und dieser brief unsers Capituls gewöhnliches Insiegel uftrucken lassen. So geben Maintz den 22 July im Jahr Eintausend Sechshundert neuntzig undt acht".

Die in Flörsheim lebenden Juden hatten ein jährliches Schutzgeld von 25 Gulden zu zahlen. Mit dieser Summe forderte das Domkapitel einen erheblich höheren Betrag als andere Landesherren im Umkreis. Der Landgraf von Hessen-Darmstadt erhob 1620 für die in Eberstadt ansässigen Juden dreizehn Gulden und 22 Albus, der Graf von Hanau- Münzenberg für die Schutzjuden in Münzenberg in den Jahren 1603 bis 1609 zwischen acht und sechzehn Gulden.
Schutzjuden MTK336

Anweisung an die Zöllner zur strikten Erhebung des Leibzolles (1705). Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 100, Nr. 215

In Biedenkopf mußten Juden zwischen 1604 und 1624 zirka 10 Gulden jährlich zahlen. Hingegen lagen die Schutzgelder in den Orten des Mainzer Domkapitels jeweils bei und über 20 Gulden, in Hochheim am Main 1619 bei ebenfalls 25 Gulden, in Hallgarten im Rheingau 1671 bei 27 Gulden und in Bingen im Jahr 1628 bei 39 und 1684 bei 20 Gulden. Noch 100 Jahre später betrug das Schutzgeld für die in der Stadt Hofheim am Taunus niedergelassenen Juden 1782 nur 20 Gulden, in den übrigen Orten des Amtes Hofheim 10 Gulden. Auch hieraus laßt sich ersehen, welch überaus hohe Abgaben das Mainzer Domkapitel seinen jüdischen Untertanen abverlangte.

In Ermangelung einer ausreichenden Anzahl von Unterlagen und Informationen ist es schwierig, die Kaufkraft des Geldes im 16. und 17. Jahrhundert zu bestimmen und auf die heutigen Verhältnisse zu übertragen. Trotzdem soll dieser Versuch unternommen werden. Ein Rechnungsgulden, auch Rheinischer Gulden genannt, wurde 1590 in 27 Albus bzw. 216 Pfennige unterteilt. Nach der von Kratz 1961 entwickelten Indextabelle (Mainzer Zeitschrift, Jahrgang 56/57, 19617 62, Seite 203) entsprach ein Albus in den Jahren 1596 bis 1604 einem Kaufwert von 0,98 DM. Das Schutzgeld von 25 Gulden kann dementsprechend auf 675 Albus bzw. 661,50 DM für das Jahr 1961 hochgerechnet werden. Für 1998 läge der Kaufwert bei 1971 DM.

Voraussetzung für die Aufnahme als Schutzjude war der Nachweis eines bestimmten Vermögens. An der Anwesenheit armer Juden waren die Landesherrschaften nicht interessiert. Nicht selten nahmen Juden von Verwandten und Geschäftspartnern Darlehen auf, um ein bestimmtes Kapital vorweisen und die Aufnahmekriterien erfüllen zu können. Des weiteren war die Aushändigung des Schutzbriefes nicht nur von der ersten Schutzgeldzahlung, sondern auch von der Leistung weiterer Gebühren und Auslagen abhängig. Da die Schutzaufnahme eines einheimischen Juden zumeist in Zusammenhang mit dessen Verheiratung und dem gleichzeitigen Ausscheiden aus dem vom Vater abgeleiteten Schutz stand, mußte für die Heiratserlaubnis eine Abgabe gezahlt werden, ebenso auch für diejenige der Braut. Kam letztere nicht aus einem Ort des Domkapitels, erhöhte sich die Gebühr für die Heiratserlaubnis bis auf die doppelte Summe.

In nahezu allen Territorien war die Anzahl der Schutzbriefinhaber begrenzt. Das Mainzer Domkapitel setzte die Höchstzahl der in Flörsheim lebenden Juden bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf 14 Familien fest. Bei Wegzug oder Tod eines Schutzjuden erhielt zumeist der älteste Sohn einer Familie eine Aufenthaltserlaubnis Die weiteren Kinder mußten in andere Länder abwandern. Einzig die Ritterschaft von Bettendorf, Landesherren des Dorfes Niederhofheim, gestatteten einen höheren Anteil jüdischer Bevölkerung in ihrem Ort. Hier lebten 1706 zehn jüdische Familien neben 28 christlichen.

Daß sich das Mainzer Domkapitel nicht scheute, Notlagen in Kriegszeiten auszunutzen, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1628. Abraham aus Eschollbrücken und Hayum aus Arheilgen sahen „wegen betrübten Kriches" keine Möglichkeiten, an ihren Wohnorten zu bleiben, sondern wollten „auß Höchster Noth uns anderwehrts heußlich niederschlagen". Sie boten das bisher für einen Wohnsitz in Flörsheim verlangte Schutzgeld von 25 Gulden an. Jedoch forderte das Domkapitel von ihnen einen halben Reichstaler wöchentlich. Dies waren, da der Taler damals 1 1/2 Gulden entsprach, ein Jahresbetrag von 39 Gulden. Das Domkapitel begründete seine Mehrforderung mit der Tatsache, daß auch die Juden im domkapitelischen Ort Bingen diese Summe zahlen würden. Bingen als befestigte Stadt versprach im damaligen 30jährigen Krieg allerdings einen bedeutend besseren Schutz als das Dorf Flörsheim, ungeachtet der damals bestehenden Ortsmauer. Hierauf wiesen Abraham und Hayum in ihrer Antwort hin, „weill dieselbe (d. h. die Judenschaft in Bingen) in einer wohlverwahrten Stadt leben, "ohne gefahr dieselbe bey tag und Nacht handeln und wandeln können, wie aber in ermeltem Flersheim nach zur Zeit ohne höchste Leibes und Lebensgefahr nit zu wachen ist". Die abschließende Entscheidung des Domkapitels ist nicht überliefert.

Die fiskalischen Motive des Landesherren bei der Behandlung der Juden sind auch bei einer anderen Steuer deutlich. Verzog das Kind eines Schutzjuden im Zusammenhang mit einer Eheschließung ins Ausland, wurde ein Abzugsgeld, auch Nachsteuer oder zehnter Pfennig genannt, fällig. Berechnungsgrundlage war der voraussichtliche Erbanteil des ins Ausland übergesiedelten Kindes oder sein Heiratsgut. Kurfürst Damian von Hartard von zur Leyen begründete 1676 die Einführung der Abzugssteuer damit, „daß endlich bei begebenden Sterbfällen sehr wenig übrig geblieben und also an den sonsten insgemein schuldigen zehenden Pfennig wir und unser Erzstift sehr stark vernachtheiligt und vervortheilt werden". Als 1693 eines der neun Kinder der Witwe Schöngen aus Weilbach verzog, übermittelte der Zollschreiber in Höchst der Mutter die Aufforderung, innerhalb von acht Tagen die Nachsteuer zu entrichten. Diese bat um Befreiung der Schuld. „Alß ist hierauf mein demütigstes gantz flehentliches Pitten, Euer Churfürstlich Gnaden wollen nicht allein mein augenscheinliches Elendt undt täglichen mangel, sondern auch die biß dahin gehabte befreyung in mittleidenschaftliche erwegung ziehen, undt demnach ahn Herrn Zollschreibern in Höchst gnedigst referihren zu lassen, daß derselbe mir Armen verlaßenen wittib mitt dergleichen abforderung hinfüher verschonen undt wider daß alte Herkhommen nicht belästigen möge, solches wirdt der Almächtige Gott Euer Churfürstlich Gnaden reichlich wieder belohnen". Die Antwort ist nicht überliefert. Die weiteren, in anderen Fällen ergangenen Anordnungen des Kurfürsten lassen nicht auf Nachgiebigkeit schließen. Erst 1732 hob Kurfürst Philipp Karl von Elz die Nachsteuer auf. Für die domkapitelischen Orte erfolgte eine inhaltlich gleiche Anordnung durch den Domdechanten im gleichen Jahr.

Allerdings kam es zu keiner ersatzlosen Streichung dieser Abgabe. Der Kurfürst nahm nur vordergründig zur Kenntnis, daß bei „denen dermahligen schlechten und nahrungslosen Zeiten" die Juden bereits „mit vielen schweren Herrschaftlichen und gemeinen Lasten beschweret" waren und sie große Anstrengungen unternehmen mußten, diese Abgaben zu leisten. In Wirklichkeit strebte er ein anderes, besser zu praktizierendes Abechnungs- und Erhebungsverfahren an. Denn er setzte eine jährliche Abgabe von 100 Gulden für die Judenschaft des Erzstiftes an und überließ es den einzelnen Gemeinden, eine Aufteilung vorzunehmen. Die Judenschaft verpflichtete er gleichzeitig, diese Abgabe einzuziehen und an die Hofkammer abzuliefern. Ein derartiges pauschales Abrechnungssystem hatte das Domkapitel bereits einige Jahre zuvor für ihre Ortschaften eingeführt und der Judenschaft in Bingen als Gemeinde im wichtigsten Ort des domkapitelischen Gebietes aufgegeben, 50 Reichstaler Abzugssteuer zu zahlen. Die Juden von Bingen ihrerseits mußten sich nunmehr darum bemühen, den auf die übrigen jüdischen Gemeinden des Domkapitels entfallenden Anteil einzuziehen. Unter Vermittlung des Domdechanten verpflichteten sich die Flörsheimer und Hochheimer Juden am 24. Oktober 1714 „für sich, ihre Kinder und Kindeskinder biß zur Ewigkeit'' 10 Gulden pro Jahr an die Binger Judenschaft zu zahlen.

Die schimpflichste und demütigendste Steuer für Juden war der Leibzoll. Er war an den Zollstationen der jeweiligen Landesgrenzen zu zahlen. Während Christen jedoch nur für Warenladungen und Vieh Zoll zu entrichten hatten, mußten Juden auch für ihre Person diese Abgabe leisten. Hierin lag das diskriminierende Moment, einen Juden wie ein zum Schlachthof getriebenes Stück Vieh zu behandeln. Die beschämende Situation, die bei der Entrichtung des Leibzolles entstand, wurde — mit wenigen Ausnahmen — keinem Juden erspart. Außerdem erschwerte diese Steuer den Handel der Juden in einem erheblichen Umfang. Bei der starken territorialen Zersplitterung des deutschen Reiches waren jüdische Kaufleute ebenso wie Kleinkrämer gezwungen, oft mehrere Grenzen an einem Tag zu überqueren.
Schutzjuden MTK337

Leibzollzettel aus dem Jahr 1785. Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 106, Nr. 1506.

Die finanzielle Belastung war nicht gering. Zollstellen existierten zudem nicht nur an den Außengrenzen des Erzstiftes Mainz, sondern sogar zwischen den Orten, in denen der Kurfürst und das Domkapitel bzw. der Domprobst die Landesherrschaft ausübten. Eine wichtige Zollstelle war deshalb diejenige in Hochheim, die für die Juden auf dem Weg von und nach Mainz zuständig war. Daneben befanden sich Zollstationen in Flörsheim, Kastel, Kostheim, Weilbach, Wicker und eine weitere bedeutende — insbesondere für den Zoll zu Wasser — in Höchst.

Der Kurfürst von Mainz ließ am 25. August 1600 eine Leibzollordnung veröffentlichen, in der genaue Anweisungen für Zöllner, Gewaltboten, Finanzkammer, Rentmeister, Rentschreiber, Diener und Stadtknechte erteilt wurden, wie der Zoll erhoben, verbucht und abgeführt werden sollte. Dem Zoll zahlenden Juden war ein Zollzettel, auf dem das Rad als Mainzer Wappen aufgedruckt war, als Nachweis seiner Leistung auszuhändigen. Diesen Zollzettel hatte er jederzeit auf Verlangen vorzuzeigen. Im Jahr 1691 betrug der Leibzoll an der Zollstelle Höchst fünf Albus pro Person.

Die Zolltarife für den Zeitraum 1712/1713 erlauben einen noch weitergehenden Vergleich. Zu diesem Zeitpunkt war der Leibzoll auf drei Albus festgesetzt. Für einen Ochsen, eine Kuh oder ein Rind hatte der die Zollgrenze passierende Gewerbetreibende jedoch nur vier Pfennige zu entrichten, für eine Milchkuh, ein Schwein oder ein Schaf zwei Pfennige. Auch der Zoll für ein Ohm Wein (ca. 140 bis 160 Liter) war mit zwei Albus und vier Pfennigen noch niedriger. Bei der damaligen Umrechnung und Geldparität von einem Albus zu acht Pfennigen hatte dementsprechend ein Jude für seinen Grenzübertritt ohne Waren ebenso viel zu zahlen, wie ein christlicher Bauer, der sechs Kühe oder zwölf Kälber oder Schweine zum Markt im nächsten Zollbezirk trieb. Die Handelstätigkeit der Juden wurde durch diese diskriminierende Steuer erheblich eingeschränkt. Die zumeist am Rande des Existenzminimums lebenden Juden waren jedoch auf Mobilität angewiesen, insbesondere die kleinen Hausierer, die in den umliegenden Dörfern ihre Kramwaren absetzen wollten. In kaum einem deutschen Staat wurde der Leibzoll abgeschafft. Noch nicht einmal das viel beschworene und gerühmte Zeitalter der Aufklärung brachte eine Änderung. Erst 1806 erfolgte im Herzogtum Nassau die Aufhebung der entwürdigenden Abgabe.

Neben Schutzgeld, Leibzoll, Abzugsgeld und den Abgaben bei der Hochzeit hatten die Juden an die jeweilige Landesherrschaft Bede, teilweise auch Schätzung und Landrettungssteuer zu zahlen. Bede war eine Immobiliensteuer und mußte von den Hauseigentümern gezahlt werden. Schätzung und Landrettungssteuer waren Abgaben, die der Kurfürst der gesamten Judenschaft im Erzstift auferlegt hatte. Die einzelnen jüdischen Gemeinden mußten sich intern selbst auf eine gerechte Verteilung einigen. Die Steuererhebung für die Orte des Mainzer Domkapitels hatte die jüdische Gemeinde in Bingen vorzunehmen.

Als Verbrauchssteuer, ähnlich der heutigen Mehrwertsteuer, wurde die Akzise erhoben. Als 1655 der evangelische Metzger Nicolas Beck sich um eine Ansiedlung in Flörsheim bemühte, erbot er sich zum einen, „catholisch zu werden" und regte des weiteren an, den Juden das Schlachten zu verbieten. Im Hinblick auf den beabsichtigten Konfessionswechsel genehmigte das Domkapitel die Ansiedlung des Metzgers, weigerte sich jedoch, Maßnahmen zu ergreifen, die nach der eigenen Einschätzung der Domherren die Vertreibung der Juden zur Folge gehabt hätten. So erlegte das Domkapitel den jüdischen Metzgern eine neue Steuer auf und verlangte pro Pfund Schlachtfleisch eine Akzise von zwei Pfennigen.

Nur auf dem Wege des Schächtens können Juden nach mosaischen Gesetzen reines und verzehrbares Fleisch erlangen. Ein Ankauf bei einem christlichen Metzger, der die rituellen Vorschriften nicht beachtete, kam im 17. Jahrhundert nicht in Frage. Das Schächten mußte durch einen Juden erfolgen, der die Schlachtbestimmungen genau kannte und dessen Fähigkeiten durch eine rabbinische Bescheinigung ausgewiesen waren. Deswegen waren Juden dringend auf eine Schlachterlaubnis der Obrigkeit angewiesen. In Konflikt mit den christlichen Metzgerzünften kamen sie vorrangig aus wirtschaftlichen Gründen. Denn das nicht verwertbare Fleisch — die Hinterviertel der Tiere gelten als terefa, d.h. rituell unrein — versuchten die Juden an christliche Einwohner des Dorfes zu verkaufen und unterboten dabei in vielen Fällen die Preise der Zünfte. Eine weitere, weniger bekannte und mit dem Leibzoll vergleichbare Abgabe wurde den Juden mit dem Würfelzoll abverlangt. Während der Leibzoll in einer Geldabgabe bestand, beinhaltete der Würfelzoll die relativ wertlose Übergabe von Würfeln. Häufig bildete der Würfelzoll eine Ergänzung zum Leibzoll, vergleichbar einem Trinkgeld für den Zöllner. Aus diesem Grunde erfolgte weder eine Verbuchung noch eine Abrechnung über diese Einnahmen gegenüber der Finanzkammer des Domkapitels. Die Quellenlage ist dementsprechend wenig aussagekräftig. Die Würfel waren ursprünglich zum Spielen geeignet und sollten den Zöllnern die Wartezeiten verkürzen helfen. Spätere Exemplare des „Judenwürfels" konnten, da zu klein, nicht mehr zum Spielen verwendet werden. Hierunter fallen auch die im Zollturm von Höchst gefundenen Würfel. Der Würfelzoll war damit zu einer diskriminierenden Strafe geworden. Den Juden sollte bedeutet werden, daß sie einer wertlosen Sache glichen, für die ein wertloser Zoll erhoben wurde. Der Würfelzoll war nicht in allen deutschen Territorien bekannt. Ein Schwerpunkt des Verbreitungsgebietes lag im 16. und 17. Jahrhundert im Erzstift Mainz, ein weiteres in der Landgrafschaft Hessen. Als Zollstationen im Rhein-Main-Gebiet sind folgende Ortschaften nachgewiesen: Breckenheim, Delkenheim, Diedenbergen, Eppstein, Hausen vor der Sonne, Lorsbach, Massenheim, Mechthildshausen, Medenbach, Nordenstadt, Oberliederbach, Unterliederbach, Wallau, Wildsachsen und Höchst.

Neben den an die Landesherrschaft abzuführenden Steuern hatten die Juden auch an die Zivilgemeinde Abgaben zu entrichten. Daneben mußten sie in den meisten Orten, wie auch die christlichen Untertanen, Hut,

Wacht, Fronden und Schröterdienste leisten. Hut betraf die Bewachung der Ortstore, Wacht den Wachdienst innerhalb der Ortsmauern und auf dem Feld. Der Schröterdienst bestand im Transport des Weines auf die Kähne bzw. in die Weinkeller. Mehrfach hatten die Juden in Flörsheim gebeten, sie von diesen persönlichen Diensten zu befreien. Hierauf entband das Domkapitel die Juden von der Ableistung gegen eine jährliche Zahlung von vier Gulden. 1645 gelang es auch den Juden in Kronberg, gegen eine Ablösung von 3 Gulden, sich von der Durchführung von Wacht, Hut und Fronden befreien zu lassen.

Der lang andauernde Streit um Wacht und Hut überrascht. Denn durch ihre Ausgrenzung vom Status eines Untertanen und die Unterstellung unter ein besonderes Fremdenrecht konnten die Juden zu den aus dem Lehnssystem des Mittelalters abgeleiteten Pflichten wie Fronden und Wachten eigentlich gar nicht herangezogen werden. Anderenfalls hätte dies eine nicht gewollte Annäherung der Stellung der Juden an diejenige eines christlichen Untertanen bewirkt. Aus diesem Grunde waren nahezu alle Landesherrschaften bereit, den Juden eine Ablösung in Geld zu bewilligen.

Letztlich kann auch für die Orte zwischen Main und Taunus die Feststellung gelten, die ein Rheingauer Amtskeller im Jahr 1782 über die Steuer- und Abgabenverpflichtungen der Juden im domkapitelischen Eltville getroffen hat: „Ein Jud, er handle viel oder wenig, bezahlt also 3mal soviel als der handelnde Christ in der ersten Reihe". An anderer Stelle findet sich für die Mainzer Juden im 18. Jahrhundert der Hinweis, „daß ein armer Jud siebenmal mehr Abgaben als ein bürgerlicher professionalist leisten muß".

Wiederholt versuchten Juden, Häuser zu erwerben. Die dabei entstandenen Probleme waren ebenfalls typisch für die Benachteiligung der Juden im 17. Jahrhundert. Eine diesbezügliche Eintragung im Flörsheimer Gerichtsbuch lautete: „Uf  heut dato den 24. Juny zeiget Barme Jut ahn, daß er Johan Stein Churfürstlicher Camerdiener in Meintz habe abgekauft seine Behausung bey dem Katzenstul gelegen neben dem gemein hauß vor und umb 260 fl, das halbe ahn (hier fehlt in der Urkunde der Zahlungszeitpunkt für die erste Rate), und das andere halb auf weynachte. Her gegen dreibet Johannes Naurmer den Juden bey der Erste Clag ab und stelt sich vor ein Nachbar ( )". Nach Artikel 24 des Mainzer Landrechtes besaßen Blutsverwandte des Verkäufers das Recht, innerhalb von sechs Wochen nach Verkauf einer Immobilie diese zum gleichen Preis zu erwerben. Dieses private Vorkaufsrecht konnte jeder in der Gemeinde und im Erzstift lebende Untertan innerhalb von sechs Monaten ausüben, falls der Käufer außerhalb des Erzstiftes ansässig war. Die Ausübung dieses Vorkaufsrechtes wurde Abtneb genannt. Da Juden keine gleichberechtigten Untertanen waren und unter den Bedingungen eines Fremdenrechtes im Erzstift lebten, mußten sie zu jeder Zeit mit Ansprüchen christlicher Einwohner rechnen. 1761 wurde durch den Kurfürsten die Ausübung des Abtriebsrechtes auf 30 Jahre begrenzt. Innerhalb dieser Zeitspanne war die Rechtsposition eines hausbesitzenden Juden ungesichert.

Die auf dem Land lebenden Juden arbeiteten als Trödler mit Kleinwaren, als Vieh- und Getreidehändler und als Pfandleiher. Sie deckten damit den täglichen Bedarf der bäuerlichen Bevölkerung. Reichtümer konnten sie hierbei nicht erwerben. Nur wenige Juden waren vor der Mitte des 19 Jahrhunderts als Weinhändler und Geldverleiher tätig. Der Erwerb von Ackerland und Weinbergen war ihnen untersagt, als Handwerker konnten sie — mit Ausnahme als Metzger — nicht arbeiten. Denn die Zünfte waren nicht nur Berufsorganisationen, sondern auch religiös ausgerichtete Bruderschaften, die Juden nicht aufnahmen. Abgesehen von Nathan und Mela aus Diedenbergen, die bis 1621 häufiger als Darlehensgeber mit höheren Beträgen genannt wurden, sind wohlhabende Juden in diesem Zeitraum nicht hervorgetreten. Die von den Verwaltungsbeamten gefertigten Berichte über die Situation der Juden in den jeweiligen Ämtern und Vogteien lauteten über Jahrhunderte hinweg sehr ähnlich „lebt in größter Armuth", „ist ganz verarmt und hat nichts zu leben, ernährt sich säuerlich", „hat derselbe öfters in mehreren Tagen keinen Bissen Brod im Haus und ist also bettelarm".

Quellen

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Akten der Abteilungen 65,100, 101,105 und 106 Bayrisches Staatsarchiv Würzburg, Mainzer Domkapitelprotokolle Bände 25 bis 50, Mainzer Polizeiakten

Stadtarchiv Flörsheim, Gerichtsbücher 1645-1674 und 1729-1743

Stadtarchiv Mainz, Akten der Abteilungen 21 und 23

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 2000 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors
25.10.05