„Zahl der NS-Opfer ist höher"
Hattersheim: Historikerin Anna Schmidt erforscht Schicksale von Juden / Ausstellung geplant
Von Barbara Helfrich

Die Nationalsozialisten haben Geschäft und Werkstatt des jüdischen Schusters Max Hubert aus Eddersheim in der Pogromnacht im November 1938 geplündert und seine Wohnung verwüstet. Nachdem seine Existenz ruiniert war, zog Max Herbert nach Frankfurt. Im September 1942 wurde er ins Lager Theresienstadt gebracht, wo er im März 1944 starb. Zehn weitere Okriftler, acht Eddersheimer und drei Hattersheimer wurden deportiert. Andere Juden konnten rechtzeitig auswandern, so die Brüder Ferdinand und Ludwig Lang, Seifenfabrikanten aus Okriftel. Ihre Schwestern Paula und Charlotte wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Die Historikerin Anna Schmidt hat ihr Forschungsprojekt zur NS-Zeit in Hattersheim erst begonnen. Doch schon jetzt ist klar: Weit mehr Menschen als bislang angenommen wurden in Hattersheim, Eddersheim und Okriftel Opfer von Verfolgung und Repression.

Die Namen von 166 Opfern hat sie bereits ausfindig gemacht, vor allem im Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden. Denn im Hattersheimer Stadtarchiv sei „die Überlieferung nur sehr bruchstückhaft". So hofft Stadtarchivar Wilfried Schwarz darauf, daß Bürger Fotos und Dokumente aus der NS-Zeit zu dem Projekt beisteuern - gerne auch nur zum Kopieren.

In etwa drei Monaten will Anna Schmidt ihre Forschungsergebnisse präsentieren, sie sollen auch als Broschüre veröffentlicht werden. Zum 70. Jahrestag der Pogromnacht plant die Stadt zudem eine Ausstellung. Mit vorbereiten sollen sie Zehntkläßler der Heinrich-Boll- Gesamtschule.

Zahl der NS-Opfer885

Die Historikerin Anna Schmidt arbeitet derzeit die Hattersheimer NS-Geschichte auf.

Keine Quellen zu Sinti und Roma

Die Forschungsergebnisse sollen auch Grundlage für die Entscheidung sein, ob auch in Hattersheim Gedenksteine für Verfolgte des NS-Regimes verlegt werden, sagte der Hattersheimer Bürgermeister Hans Franssen (SPD) gestern. Das Stolpersteine-Projekt des Künstlers Gunter Demnig läuft in mehr als 250 Kommunen.

Anna Schmidt hat auch die NS-Geschichte Hofheims erforscht. Dort ließ sie ebenfalls Zeitzeugen befragen, was in Hattersheim nicht geplant ist: Denn zum einen gibt es immer weniger Bürger, die in der NS-Zeit schon erwachsen waren. Zum anderen sind Zeitzeugenbefragungen laut Schmidt „aufwendig und methodisch schwierig" und würden daher den Rahmen des Projekts sprengen.

Über jüdische Familien will sie in den kommenden Wochen forschen, weitere Themen sind Zwangsarbeit und Widerstand. Schmidt hat zudem herausgefunden, daß in Okriftel Sinti und Roma lebten. Doch ihrem Schicksal in der NS-Zeit auf die Spur zu kommen, werde schwierig, da zu diesem Thema die Quellen fehlten.

Fotos und Dokumente aus der Hattersheimer NS-Zeit sucht das Hattersheimer Stadtarchiv, Telefon 06190/917737.

Frankfurter Rundschau - 6.11.07 - mit freundlicher Erlaubnis der FR