Zu Hause in der Geschichte
Kelkheim: Der gebürtige Amerikaner John Provan besitzt ein privates Militärarchiv mit vielen historischen Schätzen

Von Stephan Degenhardt

Die Pappkartons stapeln sich in dem kleinen Kellerraum. Acht Schritte vor, drei zur Seite -weiter kann Historiker John Provan in seinem Privatarchiv nicht gehen. Doch das vermeintliche Durcheinander ist gut organisiert - und beherbergt museumsreife Schätze.

Zum Beispiel auf Schallplatten geschnittene Tonaufnahmen von den Nürnberger Prozessen gegen die Kriegsverbrecher des Dritten Reichs: Reporter des US-Radiosenders AFN hielten den verurteilten Nazis kurz vor ihrer Hinrichtung am Galgen für ein paar letzte Worte das Mikrofon hin. Oder, weniger makaber, vertrauliche Fotos von John F. Kennedy. Sie zeigen den ehemaligen amerikanischen Präsidenten in der US-Kaserne Hanau beim Mittagessen.

Fast 350.000 FotonegativeZu Hause in der Geschichte 002

Der Kelkheimer Provan durchforstete in den vergangenen Jahren die Archive der US-Kasernen in Deutschland und kam so zu seinem wertvollen Besitz. Sein Streifzug durch die Militärgeschichte begann 1994, als das Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Frankfurt schloß. „Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort ", sagt der gebürtige Amerikaner. Er sah zufällig, wie die Soldaten Bände der Militärzeitung Stars and Stripes vernichten wollten, protestierte, holte sein Auto und lud die bis zu 70 Jahren alten Zeitungen in den Kofferraum. Heute ist er der einzige Mensch in Europa, der alle Exemplare von Stars and Stripes besitzt. Aus den anderen US-Kasernen in Darmstadt, Hanau, Gießen oder Würzburg rettete er fast 8000 Schallplatten und 350.000 Fotonegative aus den Nachkriegsjahren vor der Vernichtung. Seit über fünf Jahren läuft sein Scanner ohne Pause, über 120.000 Negative hat er in wahrer Sisyphusarbeit schon digital gespeichert.

Schatzsuche wie Indiana Jones

Der 54-Jährige hat einen Ausweis, mit dem er die Kasernen betreten darf. Wenn er dort nach historischen Schätzen stöbert, verhält er sich in etwa wie Indiana Jones auf der Suche nach dem heiligen Gral. Mit Taschenlampe und Schraubenzieher bewaffnet wühlt er in den Archiven und alten Kasernenräumen. In der Frankfurter US-Zentrale spürte er so ein altes Namenschild von General Dwight D. Eisenhower auf, das nach dem Zweiten Weltkrieg in dessen Büro auf dem Schreibtisch stand.

Daß Provan mit solch Feuereifer und Einsatz für den Erhalt historischer Dokumente kämpft, erklärt er mit seiner amerikanischen Mentalität. „So ein Projekt ist eigentlich gar nicht möglich", sagt er. Viele seiner deutschen Historikerkollegen hätten schon längst aufgegeben oder gar nicht erst angefangen. „Wenn eine Kaserne geschlossen wird, muß ich in wenigen Minuten entscheiden, was ich mache und dann mit dem Auto vorfahren. Die Deutschen haben da noch mit ihren bürokratischen Abläufen zu tun."

Provan hat noch zwei weitere Archive: eins in Hofheim nahe des Bahnhofs, das andere bei Mannheim in einem alten Bunker. „Dort lagern noch mal Dokumente im Umfang von elf LKW-Ladungen", sagt er. In Kelkheim lebt der Historiker seit 1977; heute wohnt er quasi in seinem eigenen Museum. Überall in seiner Wohnung finden sich Gegenstände von historischer Bedeutung: Modelle von Zeppelinen, alte Grammophone, Militäruniformen oder Plakate, die Ende der 1940er in Europa um Zustimmung für das Marshallprogramm werben sollten.

Seinen Lebensunterhalt verdient Provan mit der Ausstellung seiner Exponate. Im vergangenen Jahr konzipierte er mit einem Kollegen eine Ausstellung über Elvis Presley, der 1958 in Friedberg stationiert war. Provan besitzt nicht nur viele Fotos des King of Rock'n'roll; in seinem Archiv lagert auch das letzte Interview, das Presley gab, bevor er Deutschland verließ.

Provans Traum ist, ein Museum zur Geschichte des Landes Hessen aufzubauen. Das Land sei schließlich am Schreibtisch von Eisenhower entstanden, sagt er. Das Namensschild vom Schreibtisch des Generals hat er ja bereits.

Provans Ausstellung „Kindheit in der Nachkriegszeit" ist bis zum 17. Oktober im Kelkheimer Stadtmuseum zu sehen.

John Provan zeigt seine Sammlung (oben!). Bild: MONIKA MÜLLER

Frankfurter Rundschau - 5.10.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

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