Zwei Heilige nach der Kur
Kelkheim: Kostbares Gerichtsbuch restauriert / „Einzigartiges Kulturerbe"

Von Annette Friauf

Ein Bild von zwei Männern in blutroten Gewändern, dazu ein dritter Kopf ohne Körper - das kann keine harmlose Geschichte sein. Einer trägt einen Heiligenschein, dem anderen sitzt eine Bischofsmütze auf - was die Sache nicht unverdächtiger macht. Der Herr rechts trägt eine Miniatur-Kirche, der Heilige umgreift ein Messer - merkwürdige mittelalterliche Welt. Der Künstler, den Kunsthistoriker unter den Schülern Albrecht Dürers wähnen, hat diese expressive Tuschzeichnung vor etwa 500 Jahren erstellt.

Zwei Heilige nach der Kur


Die kolorierte Handzeichnung fertigte höchstwahrscheinlich ein Schüler Albrecht Dürers an.

Wer sich in Legenden so gut auskennt wie der Kelkheimer Stadtarchivar Dietrich Kleipa, der weiß gar eine für Laien profane Mantelfalte richtig zu deuten. „Was dem Heiligen Bartholomäus hier über dem Arm hängt, ist seine eigene Haut." Die dem Märtyrer nebenbei bemerkt bei lebendigem Leibe abgezogen worden ist. Karl der Große, der Mann rechts, macht „als umstrittener Heiliger", so Kleipa, ein religiöses Gesicht.

Die kolorierte Darstellung der beiden Patrone des St. Bartholomäusstiftes in Frankfurt, zu dem Kelkheim einst gehörte, als es ganze 38 Häuser zählte, ist ein wertvoller Schatz. Fachleuten zufolge liegt der Auktionswert zwischen 500.000 und 750.000 Euro. Bürgermeister Thomas Horn (CDU) ließ dieses „einzigartige Kulturerbe" für 8000 Euro restaurieren. Spezialisten legten gleich auch Hand an das Gerichtsbuch, aus dessen Innenklappe die Zeichnung stammt.

Meist im Safe

Das Original, das zwar in den Farben noch erstaunlich leuchtet, aber von Lochfraß übersät ist, wurde in einem Offenbacher Atelier entnommen, retuschiert und verglast. Ein Faksimile illustriert jetzt das Buch. Eine zweite Kopie soll Schaustück der Bibliothek werden, die nach Horns Angaben Anfang 2009 im Stadtmitte-Neubau eröffnet wird. Kelkheimer sollen das Bild anschauen können - auch auf Geburtstagskarten, die Menschen ab 70 Jahren aus dem Rathaus bekommen. Das Gerichtsbuch selbst, mit Einträgen zwischen 1514 und 1590 Kelkheims ältester Band, befand sich lange in Hornau in Privatbesitz. 1939 erhielt es die Stadt. Meist ruhte es in einem Safe. Im Winter 2000/2001 zählte es zu den prominenten Exponaten einer Ausstellung des Frankfurter Dommuseums, die sich mit der Verehrung Karls des Großen befaßte.

Jetzt wurde es in Berlin instand gesetzt. Roststellen mußten ausgespachtelt werden. Um den bereits eingesetzten Tintenfraß zu stoppen, ergänzte die Restauratorin die Handschriften. Der schweinslederne Einband gehört  wohl zu einem Gerichtsbuch von 1790. Von der mittelalterlichen Schrift sind nur noch sieben doppelseitig beschriftete Seiten vorhanden. In Neuhochdeutsch verfaßt, erzählen sie nicht etwa vom Schicksal des Heiligen Bartholomäus, sondern von weltlichen Dingen, Kauf- und Erbschaftsangelegenheiten. Textprobe: „Item Gilberts hen von Sultzbach abkaufft ein placken Weingarten."

Frankfurter Rundschau – 26.9.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR