1 Mark Strafe für zu schnelles Radeln im Ort:
Alltag in Eschborn

Eschborn war vor 100 Jahren, aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, ein landwirtschaftlich geprägter Ort. Das hat sich auch in den Rechnungsbüchern aus dieser Zeit niedergeschlagen.

Eschborn. Der Eschborner Friedhof muss vor 100 Jahren nicht nur etwas größer, sondern viel zu umfangreich gewesen sein. So groß nämlich war er, dass es sich lohnte, dort Hafer anzubauen. Viel Arbeit machte sich die Gemeinde damit allerdings nicht, die Ernte wurde «auf dem Halm» versteigert. Johann Börner, ein Eschborner Landwirt, musste also selbst ernten und erhielt den Zuschlag für 30 Mark.

100 Brezeln für 10 Mark

Wie viel Geld das war? Ein Vergleich bietet der Kauf von Brezeln für die Schulkinder zum Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. am 27. Januar 1910: 100 Stück lieferte die Bäckerei Karl Rapp für 10 Mark. Der Eschborner Polizeisergeant verdiente in diesem Jahr 1200 Mark, Bürgermeister Johann Gottlieb Kerber 1500 Mark. Dabei muss man allerdings bedenken, dass der Polizist hauptberuflich arbeitete; Bürgermeister aber war man damals nur nebenberuflich. Der Feldhüter musste mit 700 Euro auskommen.

Unendlich viele Daten und Fakten dieser Art findet man, wenn man die alten Rechnungsbücher der Stadt Eschborn durchschaut. Diese reichen bis ins Jahr 1790 zurück, und Stadtarchivar Gerhard Raiss hat sich angewöhnt, sich zwischen den Jahren jeweils den 100 Jahre alten Band vorzunehmen. Das eröffnet den Blick in eine ganz andere Welt, ein bäuerlich geprägtes Dorf mit damals knapp 1500 Einwohnern.

Billige Ziegenböcke

Beim Blättern in dem Band fällt auf, wie viel der Ort zur Unterstützung des Landwirtschaft damals getan hat. Drei Gemeindebullen hielt man damals zu Zuchtzwecken – zwei davon wurden 1910, da zucht-untauglich geworden, an den Frankfurter Viehhändler Adolf Gutenstein verkauft, von dem man dann auch zwei neue Tiere kaufte. Deren Unterhaltung kostete jährlich jeweils 400 Mark – da waren die beiden Ziegenböcke mit je 100 Mark deutlich günstiger.

Aber für die Landwirtschaft wurde noch mehr getan. Im Auftrag der Gemeinde wurden Obstbäume gezogen und verkauft, viel Geld wurde die Vertilgung von Mäusen ausgegeben, und der Feldhüter Peter Epp bekam über sein eigentliches Salär hinaus 25 Mark – für das Verscheuchen der Stare und das Abschießen von Raben und Sperlingen. Außerdem wurden hohe Strafen gegen alle verhängt, die sich dabei erwischen ließen, als sie von fremden Äckern Kartoffeln und Obst stahlen.

Überhaupt, die im Rechnungsbuch ebenfalls festgehaltenen Strafmandate haben ihren Unterhaltungswert. Weithin handelt es sich um Ordnungswidrigkeiten oder kleinere Vergehen, denn schwere Fälle landeten natürlich vor Gericht. Aber beim Verkehr zum Beispiel sorgte die Gemeinde rigoros für Ordnung.

Eine Mark Strafe – dafür hätte er zehn Brezel bekommen – musste beispielsweise der Tagelöhner Jochen Wink bezahlen, weil er mit dem Fahrrad zu schnell durch den Ort fuhr. Die gleiche Summe zahlte Landwirt Berthold Junghenn, weil sein Fahrrad unbeleuchtet war. Heinrich Flugel wurde mit 1,50 Mark zur Kasse gebeten, weil er auf seinem Fuhrwerk in der Rödelheimer Straße ein Nickerchen machte. Richtig teuer wurde für einen gewissen Franz Josef Vogel, der durch Schreiben und Schimpfen und durch groben Unfug aufgefallen war. Sechs Mark sollte er dafür bezahlen – wenn nicht, gab es zwei Tage Haft.

Was fällt noch auf beim Blättern im Kassenbuch des Jahres 1910? Armenbüchsen standen in den Gastwirtschaften, in denen Spenden für Bedürftige gesammelt wurden. Im Gasthaus des Ludwig Windecker betrugen die Einnahmen fünf Pfennige. Aber die Gemeinde spendierte den Schulkindern die Tinte – dass nur die Lehrer die angeschafften 26 Liter Tinte verbraucht hatten, ist unwahrscheinlich. Ein Liter rote Tinte und drei Pfund Kreide wurden außerdem abgerechnet.

Heftig langte die Gemeinde bei der Vergnügungssteuer zu – der Feuerwehr wurden für eine Tanzveranstaltung am zweiten Weihnachtsfeiertag 10 Mark in Rechnung gestellt. Die Hundesteuer – heute in Eschborn abgeschafft – betrug damals 1,75 Mark pro Jahr und Hund; bei 199 Hunden kamen damit 348,25 Mark zusammen. Auf alle Fälle löblich: Auch die Ausgaben für zwei Exemplare des «Höchster Kreisblattes» sind vermerkt.

Höchster Kreisblatt - 26.1.10 - mit freundlicher Erlaubnis des HK