Erinnerungen an schlimme Schicksale

Eschborn. „Es gibt am Turm der evangelischen Kirche in Eschborn eine Bronzetafel zu Ehren der Opfer des Krieges. Ich konnte nie an ihr vorbeigehen, ohne vor ihr im stillen Gedenken, die Namen lesend und den Einzelnen mir ins Gedächtnis zurückrufend, stehen zu bleiben.“ Das sagt der gebürtige Eschborner Günter Kümmel und ergänzt: „Viele von ihnen kannte ich persönlich. Es waren Verwandte, Nachbarn oder Bekannte aus dem damals kleinen Ort, in dem jeder jeden kannte und denen man täglich begegnete und die durch den Krieg aus dem örtlichen Leben herausgerissen wurden.“

2004 beschloß Günter Kümmel, Jahrgang 1932, ein Gedenkbuch für diese Menschen zu schreiben. Das 142-seitige Werk liegt nun vor. „Den Eschborner Opfern des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus zum Gedenken“ ist sein Titel. Hansjörg Ziegler, Ehrenbürger der Stadt und ein geschichtskundiger Eschborner, hat die Dokumentation in der Reihe „Eschborner erzählen“ herausgegeben. Die Stadt Eschborn hat das Buch nun in einer Auflage von 200 Stück nachdrucken lassen und dies auch finanziert.

Günter Kümmel hat sich um Vollständigkeit bemüht: Mehr als 170 Personen hat er in seiner Schrift erfaßt. Sie sind namentlich und mit Fotos aufgeführt, sofern diese vorhanden waren. Er berichtet über ihren familiären und beruflichen Hintergrund, über die Art, wie sie zu Tode kamen, und ergänzt dies durch seine persönlichen Erinnerungen an diese Menschen, wie er sie als Bub erlebt hat.

Kümmel erzählt die Schicksale von Gefallenen, Bombenopfern und Flüchtlingen sowie Vertriebenen, aber auch die Schicksale von Opfern des nationalsozialistischen Unrechtsstaates, die im KZ und durch Euthanasie ums Leben kamen oder als Zwangsarbeiter hierher verschleppt wurden. Seine Darstellung geht unter die Haut. So schildert er, daß Hermann Kaufmann, der einzige jüdische Bürger Eschborns, 1943 im KZ ermordet wurde, während dessen Sohn Karl für Nazi-Deutschland in Rußland kämpfte.

Er berichtet vom Gärtnersohn Karlheinz Epp, der wegen „seelischer Erkrankung“ in die Anstalt Hadamar gebracht wurde und kaum 13-jährig dort 1943 umkam. „Er ging mit mir in den Kindergarten“, erinnert sich Kümmel. Deutlich wird, wie hart es manche Familien getroffen hat: etwa die Hills, deren Bauernhof im August 1942 bombardiert wurde. Das Ehepaar Berta und Wilhelm Hill, ihre kleine Tochter Irene und die Oma Johanna, sowie der polnische Zwangsarbeiter Wladyslaw Przeklasa kamen dabei um. Es gibt Familien, die drei Gefallene und mehr betrauern mußten, etwa die Familie Christ, wo der Vater und zwei Söhne im Feld blieben, oder die Riehns, die drei Söhne verloren. Auch die Familie des Ersten Stadtrats Mathias Geiger hat mit dem Obergefreiten der Marine, Theo Geiger, ein Opfer im Andenken. Die Tragödien lassen sich endlos fortsetzen.

Unterstützt wurde Kümmel bei seinem Projekt tatkräftig von Stadtarchivar Gerhard Raiss. Er überprüfte vor allem die Lebensdaten, Todesorte und die Grablage – etliche Opfer genießen auf dem Eschborner Friedhof ewiges Ruherecht. Die Recherchen waren schwierig, die Quellenlage kompliziert. Zwar leben viele Familien von Getöteten noch hier, doch die direkten Angehörige, die sie kannten, sind oftmals schon verstorben. So bleiben von manchen Menschen nur die Namen. Auch sie sind aufgelistet.

Das Buch ist gegen eine Spende von fünf Euro ab jetzt im Stadtmuseum am Eschenplatz, Telefon (0 61 96) 4 90-2 32, erhältlich. Das Museum ist am Samstag, 14. Juni, 15 bis 18 Uhr, und am Sonntag, 15. Juni, 14 bis 18 Uhr, das nächste Mal geöffnet. Eine ähnliche Dokumentation für Niederhöchstadt ist in Arbeit. (ku)

Höchster Kreisblatt - 12.6.08 - mit freundlicher Erlaubnis des HK

Lesen Sie auch die Gedenktafel mit den Namen der Eschborner Opfer.