Eine komplette Familie in den Tod gerissen

Eschborn. Der Gang der Dinge hängt allzu oft von Zufälligkeiten ab, vom Wetter beispielsweise. Die Eschborner Familie Hill beispielsweise hätte den 25. August 1942 wohl überlebt, wäre der Himmel über dem Rhein-Main-Gebiet nicht bewölkt gewesen. Wie sie zu Tode kam, das berichtet Eschborns Stadtarchivar Gerhard Raiss im jetzt erschienen 34. Heft der Zeitschrift Rad und Sparren. Diese Zeitschrift des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus ist für fünf Euro im Buchhandel zu haben.

Am 24. August 1942 entschied das Oberkommando der britischen Bomberverbände, in der nachfolgenden Nacht die Stadt Frankfurt anzugreifen. Schon in dieser Phase legten es die Alliierten darauf an, auch die Zivilbevölkerung zu treffen, um sie kriegsmüde zu machen. Das beweist auch ein bei diesem Angriff abgeworfenes Flugblatt, in dem die Bevölkerung aufgefordert wurde, die Nazis zu stürzen. Und der Frontsoldat schließlich, so kalkulierten die Briten, sollte keinen Sinn mehr in seinem Kampf sehen, wenn zu Hause alles zerstört war. Bekanntlich ging diese Rechnung nicht auf.

226 Bomber starteten an diesem 24. August ab 21 Uhr von verschiedenen Flughäfen in Südengland, angeführt von einer so genannten Path Finder Force (Pfadfinder-Gruppe). Diese Spezialeinheit war dafür ausgebildet, Ziele zu finden und zu markieren. Allerdings war die Truppe gerade erst aufgestellt worden, der Angriff auf Frankfurt war der zweite Einsatz – von Erfahrung konnte da keine Rede sein.

Dazu kamen erschwerte äußere Bedingungen. Der Himmel war bewölkt, am Boden war es dunstig – kurz, die «Pfadfinder» fanden ihr Ziel nicht schnell und nicht richtig. Natürlich funktionierten auch die Verdunkelungsmaßnahmen. Kurz nach Mitternacht gab es in Frankfurt und Umgebung Luftalarm, wenig später feuerte die Luftabwehr. Die Flugzeuge kreisten auf der Suche nach Zielen über der Region, und ein großer Teil der Bomben wurde auf gut Glück abgeworfen. Nieder gingen sie im gesamten Gebiet zwischen Idstein und Hanau.

Vor allem Brandbomben waren es, aber auch Sprengbomben, darunter 23 Luftminen. Sie hatten mit 2,60 Metern Länge etwa die Größe eines Badeofens und wurden in Deutschland daher so genannt. Gefüllt waren sie mit 1800 Kilogramm Sprengstoff, der eine solche Druckwelle auslöste, dass ganze Gebäude einfach umgerissen wurde. Eine solche Bombe traf den Hof der Familie Hill an der Neugasse und ließ dort kaum einen Stein auf dem anderen.

Als das Wohnhaus einstürzte, begrub es unter sich Wilhelm Hill, 41 Jahre alt, seine Ehefrau Berta Hill, geborene Dahlem, 33 Jahre alt, und ihre achtjährige Tochter Irene. Ums Leben kam außerdem, die 70 Jahre alte Mutter des Bauern, Johanna Hill, geborene Graf. Keine Chance hatte schließlich der Landarbeiter Wladislaw Pozeklasa – die Zwangsarbeit in Nazi- Deutschland brachte dem 18-jährigen Polen auf diese Weise ausgerechnet von alliierter Hand den Tod. Noch heute erinnern die Gräber der Familie Hill und von Pozeklasa auf dem Eschborner Friedhof an diesen Tag.

Raiss hat bei seinen Recherchen herausgefunden, dass der Angriff des 25. August 1942 auf deutscher Seite 29 Tote, 21 Schwerverletzte und 61 Leichtverletzte kostete. Aber auch 17 britische Bomber gingen alleine bei diesem Flug verloren, 77 Besatzungsmitglieder kostete der Angriff das Leben. Eines der abgeschossenen Flugzeuge gehörte zu der diesmal so wenig erfolgreichen Pfadfindergruppe, es schlug am Ortsrand von Kalbach auf einen Acker auf. Raiss hat sich im britischen Militärarchiv über das eingesetzte Material informiert, die Maschinen der Typen Wellington, Sterling, Halifax und Lancaster transportierten insgesamt über 90 000 Brandbomben, 120 Sprengbomben, 53 weitere Bomben und 130 Luftminen nach Frankfurt. (bt)

«Rad und Sparren», die Zeitschrift des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus, ist erhältlich bei Dietrich Kleipa, Telefon (0 61 95) 58 37, und Stadtarchivar Gerhard Raiss, Telefon (0 61 96) 48 46 70. Über den örtlichen Buchhandel ist das Heft ebenfalls zu beziehen.

Höchster Kreisblatt - 05.11.2005 - mit freundlicher Erlaubnis des HK / den Originalbericht aus Rad und Sparren bringen wir später - wenn wir dann endlich dürfen. Obwohl es sich um eine Eschborner “Sache” handelt... und einen Eschborner Autor dazu. Also. Leute, lest Rad und Sparren...