Eine römische Siedlungsstelle in Eschborn- Niederhöchstadt
Vorbericht der zweiten Grabungskampagne von 1988
Von Gabriele Seitz

Vorbemerkung

Der Bestand an im Boden ruhendem, materiellem Kulturerbe unserer Vorfahren ist heute - neben Neuerschließung von Wohn- und Gewerbegebieten sowie Straßen- und Brückenbauten - durch eine weitere Gefahrenquelle ständig bedroht. Fast unaufhaltbar ist die schleichende Zerstörung von Bodenurkunden1) durch immer tiefergreifende Pflüge und stärkere Traktoren. Die neuzeitliche Landwirtschaft dringt mittels beabsichtigter, ertragsfördernder Krumenvertiefung in archäologische Schichten ein und reißt aus den zwischenzeitig eingeebneten Ruinenplatzen große Fundmaterialmengen an die Oberfläche. Nach gründlichem Tiefpflügen oder Rigolen sind die Fundstellen meist regelrecht übersät mit Bautrümmern und Scherben. Die Ursache dieses Zerstörungsprozesses liegt aber nicht nur in der Auswirkung der größeren und schwereren Agrarmaschinen, sondern auch in dem von ihnen ausgelösten Bodenabtrag durch Wind und Regen und damit in einer gewaltigen, kaum mehr einzudämmenden Flächenerosion. Der einmalige und nur begrenzt vorhandene Vorrat an Kulturdenkmälern ist täglich diesen ständig fortschreitenden Vernichtungsmechanismen ausgeliefert und somit der Totalverlust vieler archäologisch-historischer Quellen absehbar.

Die Hauptaufgabe aller mit der Archäologie befaßten Institutionen, unsere einzigen Geschichtsurkunden aus schriftloser und wichtige aus schriftarmer Zeit zu schützen und zu bewahren, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben, ist unter diesen Gegebenheiten besonders schwierig zu erfüllen. In der Regel stellt die Durchführung einer archäologischen Untersuchung die letzte Maßnahme dar, ein Kulturdenkmal vor endgültiger Vernichtung systematisch aufzunehmen und angemessen zu dokumentieren. Obgleich planmäßig und dem Standard heutiger Grabungstechnik entsprechend, zerstört auch eine wissenschaftliche Ausgrabung die bislang noch erhaltene Restsubstanz an historischem Kulturgut. Daher muß das Gebot unserer Zeit lauten, „Bodendenkmaler als archäologische Reservate für künftige Forschergenerationen mit ihren entwickelten Möglichkeiten unangetastet im Boden zu belassen".2) Um aus dem Teufelskreis von unabwendbarer und schleichender Zerstörung und den dadurch verursachten Rettungs- und Notgrabungen zu entkommen, müssen die Denkmalämter personell wie finanziell so ausgestattet werden, daß sie diesen extremen Anforderungen gerecht werden können. Das Land Hessen, eine reiche und vielfältige Kulturlandschaft, hat die bedeutende Verpflichtung, der „Archäologischen Denkmalpflege" zur Ausübung und Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben den gebührenden Stellenwert einzuräumen.

Forschungsgeschichte

1986 wurde in Eschborn-Niederhöchstadt auf der Flur „Am Auernberg", einer sanft nach Nordosten zum Westerbach geneigten Geländeterrasse, eine römische Siedlungsstelle3) entdeckt.

Das bisher unbekannte Kulturdenkmal4) liegt größtenteils auf landwirtschaftlich genutztem Gelände und wurde durch intensive Beackerung in seinem bislang noch aussagefähigen Bestand extrem gefährdet. Ortsbesichtigungen ließen rasch erkennen, daß bei weiterer, uneingeschränkter Nutzung dieses Areals die vorhandenen archäologischen Befunde ausgelöscht und damit diese geschichtliche Bodenurkunde unkontrolliert beseitigt würde. Die vom Pflug zutage geförderten Lesefunde - Baumaterialien wie Bruchsteine, Ziegel und Dachschiefer sowie römische Fundgegenstände - erlaubten keinen näheren Aufschluß über den Siedlungscharakter, die ehemalige Ausdehnung und die genaue Zeitstellung des Objekts, weshalb sich die hessische Denkmalpflege5) gezwungen sah, dort 1987 und 1988 Rettungsgrabungen6) durchzuführen.

Grabungsbericht

Im Verlauf der zwei Grabungskampagnen wurden insgesamt 1.000 Quadratmeter Fläche archäologisch untersucht, worauf die derzeitige Beurteilung dieser römischen Siedlungsstelle beruht. Beiderseits eines 1987 ergrabenen, turmähnlichen Getreidesilos (A) von 7,50 X 8,40 in Größe erhoben sich zwei weitere Gebäude in massiver Steinbauweise (vgl. Abb. l und 2).

Von Bauwerk (B) fand sich eine aus Feldlesesteinen gebildete, unvermörtelte Fundamentrollierung, die etwa 0,80 m unter der heutigen Oberfläche gründete. Aufgehendes Mauerwerk war nirgends mehr erhalten. Erfaßt wurde der südliche Gebäudeabschnitt eines nordwestlich-südöstlich ausgerichteten, wohl ehemals langrechteckigen Bauwerks. Die südöstliche Gebäudeschmalseite ist bislang mit 9,30 m aufgedeckt worden, und die Längsseiten konnten auf gleiche Länge verfolgt werden.

Gleichzeitig mit der Errichtung von Bauwerk (B) wurde eine 5,80 in lange Verbindungsmauer zu Gebäude (A) erstellt, die beide Bauten nach Südosten gegen das übrige Areal abgrenzte. Die stumpf an die Ostecke von Gebäude (A) angesetzte Verbindungsmauer liefert einen wichtigen Hinweis, in Bauwerk (B) eine jüngere Baustruktur zu erkennen. - Die Bezeichnung beider Bauteile mit (A) und (B) ist damit auch chronologisch aufzufassen.

Römische Ausgrabungen Niederhöchstadt

Abb. 1: Grundrißplan der Steinbauten A-C (Stand 1988 ). — — = Grabungsgrenze.
 

Laut dem Grundrißplan handelt es sich bei den Steinbauten (A) und (B) um aufeinander bezugnehmende Baustrukturen, die beide parallel bzw. rechtwinklig zueinander angelegt und zeitlich aufeinander folgend erbaut wurden. Die Anbindung beider Gebäude wurde nachträglich durch die Errichtung einer weiteren Verbindungsmauer vervollständigt. Damit war ein 3,90 x 5,80 in großer Zwischenraum geschaffen. Wohl im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben wurde in der Nordostmauer von Speicherbau (A) ein 0,80 m breiter Durchlaß hergestellt, der den Zugang beider Bauteile untereinander ermöglichte. Es ist auf den schlechten Erhaltungsgrad des hangabwärts gelegenen Bauwerks (B) zurückzuführen, daß dort kein entsprechender Zugang festgestellt werden konnte.

In einem Abstand von 5,10 in südwestlich des turmartigen Speichers (A) kam ein langgestrecktes Steingebäude (C) zum Vorschein, das vollständig freigelegt wurde. Seine Ausdehnung mißt 9,30 x 17,20 m, wobei es auffälligerweise einen verschoben rechteckigen Grundriß besitzt. Die sich jeweils gegenüberliegenden Gebäudeseiten verlaufen parallel zueinander und zeigen identische Maße, die Gebäudeecken weisen jedoch spitze bzw. stumpfe Winkel auf. Der Grund, das Gebäude in solch eigenartiger Ausdehnung zu errichten, ist vermutlich eine ehemals festgelegte Grundstückseinteilung bzw. Grundstücksgrenze.

Gebäude (C) war entweder als mörtellose Stickung oder als seines großteiligen Steinmaterials beraubter Fundamentgraben faßbar. Einzig unmittelbar nordöstlich der südwestlichen Gebäudeecke hatte sich auf knapp zwei Metern Länge die unterste, in gelbsandigen Kalkmörtel gebettete Bruchsteinlage des Aufgehenden erhalten. Die Fundamentierung dieses Mauergevierts verlief in Verlängerung seiner südwestlichen Schmalseite nach Nordwesten über die Gebäudefront hinaus (Abb. 3). Ein solcher Befund wurde in vergleichbarer Weise bei Bauwerk (B) angetroffen. Es handelt sich vermutlich bei diesem auf insgesamt 4,10 in Länge festgestellten Fundament um den Rest einer freistehenden Mauer, die als Umfassung des ehemaligen Siedlungsareals diente. Alle drei Bauwerke berücksichtigen im Südosten eine einheitliche Bauflucht von insgesamt 46 m Länge, die eine bodenrechtliche Vorgaben7) beachtende Baukonzeption nahelegt. Nur die schwach fundamentierte, freistehende Verbindungsmauer zwischen den Bauwerken (A) und (C) hält die geradlinige Gebäudeflucht nicht ein, sie verläuft maximal 3,70 in nördlich davon. Möglicherweise befand sich an dieser Stelle eine Toranlage (vgl. Rekonstruktionszeichnung Abb. 4). - Der zentrale, nach Nordwesten gerichtete Haupteingang von Gebäude (A) zeigt an, daß sich die bislang ergrabenen Bauwerke um einen offenen Innenhof gruppierten.

Blick von Südwesten

Abb. 2: Blick von Südwesten von einer Feuerwehrleiter auf die 1988 freigelegten Steinbauten B und C. Die in der oberen Bildmitte ausgesparte Flache wurde 1987 ergraben und birgt den turmartigen Getreidespeicher.

In einer Entfernung von 21 m südwestlich der beschriebenen Gebäudegruppe verlief eine 2,60 in breite Straßentrasse, die beidseitig von schmalen, muldenförmigen Gräben begleitet war. Neben diesen fanden sich zudem zahlreiche Wagenspuren, die eine rege Benutzung dieser Verkehrsader bezeugen, die von Frankfurt/M.-Nied kommend in Richtung auf den Kleinen Feldberg führte8).

Datierung

Aus sich heraus datierende Fundgegenstände (Münzen, Gewandspangen [= Fibeln], Keramik) verweisen den Siedlungsbeginn in das 2. Jahrhundert n. Chr. und belegen ein kontinuierliches Fortleben bis um die Mitte des 3. Jahrhunderts. - Baufugen und Überschneidungen der angetroffenen Befunde verdeutlichen die zeitliche Abfolge der Steinbauten: Der massive, turmartige Rechteckbau (A) repräsentiert die erste Steinbauperiode; das nur teilweise aufgedeckte Bauwerk (B) sowie das langgestreckte, parallelogrammförmige Gebäude (C) folgten wohl im fortgeschrittenen 2. Jahrhundert; vermutlich wurden alle Bauteile am Beginn des 3. Jahrhunderts zu einem geschlossenen Gebäudekomplex vereint.


Deutung

Mit Ausnahme von Gebäude (A), das aufgrund seiner kennzeichnenden Baukonstruktion und des signifikanten Gewichtssteins9) als Getreidespeicher10) angesprochen werden kann, fanden sich in den übrigen Bauteilen keine über den Grundrißplan hinausreichenden Hinweise, die sicheren Aufschluß über den Charakter dieses römischen Fundplatzes geben und die Deutung der Anlage erleichtern würden. - Die Beurteilung und Einordnung dieses Kulturdenkmals ist beim derzeitigen Kenntnisstand schwierig, da zudem nur ein ausschnitthafter Einblick in diese Siedlungsstelle11) gewonnen werden konnte.

Die topographische Lage (unmittelbar an einer römischen Straße, oberhalb des Westerbachs) und die Nähe zu gleichzeitig bestehenden römischen Gutshöfen (z.B. Schwalbach am Taunus und Steinbach) legen nahe12), den Siedlungsplatz in Eschborn- Niederhöchstadt als andersartig einzustufen. Die 1987 und 1988 durchgeführten Grabungen konzentrierten sich auf den südöstlichen Gebäudetrakt des Anwesens, der im letzten Bauzustand aus vier verschiedenartigen und unterschiedlich großen Steinbauten gebildet wurde und einen offenen Innenhof umschloß. Das älteste Bauwerk ist der mehrstöckige, turmartige Getreidespeicher, der den Siedlungsplatz weithin sichtbar im umliegenden agrarischen Nutzland überragte (vgl. Abb. 4). Mit der späteren Anbindung der übrigen Gebäude (B und C) erhielt dieser Baukörper und damit die gesamte Siedlungsstelle einen wehrhaft anmutenden Charakter).

Möglicherweise bestand eine Aufgabe des römischen Anwesens in Eschborn- Niederhöchstadt darin, die Versorgung der römischen Truppen mit Naturallieferungen zu gewährleisten. Eine Sondersteuer (annona militaris), die seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. zunehmend auf den Städten und Kommunen und damit auf der Provinzbevölkerung lastete14), umfaßte - außer dem lebenswichtigen Getreide - Wein, Öl, Essig und Fleisch, aber auch Viehfutter, Holz und Kleidung15). Literarische Nachrichten aus römischer Zeit geben uns Kenntnis, wer diese Lieferungen erhielt, nicht jedoch, wie die administrative und technische Durchführung des Einzugs (Festsetzung der zu erbringenden Liefermengen, Benennung der Ablieferer, Registratur und Weitergabe) bewältigt wurde. Denkbar ist, daß man die landwirtschaftlichen Erzeugnisse - insbesondere das Getreide - auf den Landgütern erntete und in Silos speicherte16).

Für einen solchen Verwendungszweck war sicherlich auch die verkehrsgeographische Lage des Anwesens von Bedeutung. Es muß daher - wenn Überlegungen zu weiteren möglichen Funktionsbereichen dieser Fundstelle angestellt werden - die vorbeiziehende Straße Berücksichtigung finden. Denn römische Straßen17) erforderten Einrichtungen, die den Verkehr der Reisenden und der Waren erst ermöglichten: Raststätten und -plätze, Umspannstationen sowie Reparaturbetriebe18). - Es erscheint beim derzeitigen Kenntnisstand jedoch besser, den bisher geäußerten Vermutungen vorerst keine weiteren Spekulationen anzufügen.


Ausblick

Die Lage19) der beschriebenen Siedlungsstelle in Eschborn-Niederhöchstadt in unmittelbarer Nähe zum Civitas-Hauptort Nida (Frankfurt am Main-Nordweststadt), an einer Straße, die das dicht besiedelte Hinterland mit den Militäranlagen auf dem Taunuskamm verband, gibt diesem Platz in Zusammenschau mit den bislang erzielten Erkenntnissen einen besonderen Stellenwert. Daher ist für 1989 die weitere Erforschung20) dieses Kulturdenkmals geplant, bevor durch intensive landwirtschaftliche Nutzung die letzten Erkenntnismöglichkeiten geschwunden sind.

Gebäude C und Umfassungsmauer


Abb. 3: Blick von Südwesten auf Gebäude C und die in Richtung Nordwesten verlaufende Umfassungsmauer.

Rekonstruktionsversuch!

Abb. 4: Ansicht der römischen Steinbauten von Süden (maßstabsgetreuer Rekonstruktionsversuch)

Rad und Sparren - 1989 - 17 - mit freundlicher Erlaubnis des Herausgebers


Anmerkungen
Auf die Wiedergabe der zahlreichen, detaillierten Anmerkungen verzichten wir an dieser Stelle. (Webmaster)

Wo ist die Ausgrabungsstätte? Folgen Sie dem Link! Auf dem Bild ganz links / unten: Ortsausgang Richtung Kronberg, an der S- Bahn-Linie S 4.